: Wurst essen für die Agrarwende
Heute die nicht ökologisch aufgezoge Kuh essen, damit morgen die Rinder artgerecht gehalten werden können, ist eine schwer vermittelbare Logik
von BERNHARD PÖTTER
„Aus diesem Dilemma gibt es kaum einen Ausweg“, seufzte am Donnerstag vergangener Woche die grüne Agrarexpertin Ulrike Höfken im Bundestag. Gerade hatte die EU in Brüssel das zweite Rinderschlachtprogramm beschlossen, um den Zusammenbruch des europäischen Marktes für Rindfleisch abzuwenden. Denn die Ställe sind voll und die Schlachthöfe leer, die Menschen essen alles andere außer Fleisch. Das aber müssten sie wieder tun, wenn der Agrarmarkt ins Lot kommen und eine „Agrarwende“ erfolgreich sein soll. „Das einzige, was hilft, wäre, wieder mehr Fleisch zu essen“, sagt Höfken.
Denn was lange als gerechte Strafe für den BSE-Skandal empfunden wurde, beunruhigt nun auch Grüne und Umweltschützer. Je länger der Rindfleischmarkt am Boden liegt, desto mehr Geld muss die Regierung in die Stützung des Marktes investieren. Und je mehr Geld aus dem Haushalt von Verbraucherministerin Künast fließt, um die Sünden der Vergangenheit zu tilgen, desto weniger Geld bleibt übrig für die Agrarwende der grünen Ministerin. Die würde nach Schätzung des BUND-Agrarspezialisten Hubert Weiger etwa 500 Millionen Mark jährlich kosten (siehe Kasten).
„Ohne frisches Geld können wir nicht gleichzeitig die Absatzprobleme lösen und mit dem Umsteuern beginnen“, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium in Düsseldorf. Zu Deutsch: Wenn Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) nicht noch weich wird und der Markt trotzdem gestützt werden soll, wird es zumindest in diesem Jahr nichts mit der Agrarwende. Und für das zweite Aufkaufprogramm der EU sind die Mittel noch gar nicht berechnet. Gefahr droht der Agrarwende auch, wenn jetzt immer mehr kleine Höfe pleite machen, die als „Mischbetriebe“ Fleisch-, Milch- und Getreidewirtschaft machen. Wenn die kleineren Bauern aufgeben, bleiben nur die großen Höfe übrig, und Künast fehlen die Verbündeten.
Die Konsequenz: Gerade Agrarexperten aus den Umweltverbänden, die eigentlich mittelfristig für eine drastische Reduzierung des Fleischkonsums eintreten, werben inzwischen halblaut dafür, wieder mehr Fleisch zu essen. „Was im Augenblick passiert, ist die Absurdität hoch drei“, sagt etwa Lutz Ribbe, Agrarexperte des Umweltverbands euronatur. „Inzwischen haben wir das sicherste Rindfleisch, das es je gab, aber wir essen es nicht. Und die Leute steigen auf Fleisch von Hähnchen, Puten und Schweinen um, ein Bereich, in dem teilweise industrielle Pampe produziert wird.“ Heute wird bei allen Rindern das „Risikomaterial“ wie Rückgrat, Hirn oder Mandeln entfernt. Alle Kühe, die älter als 24 Monate sind, werden auf BSE getestet, ehe sie in die Wurst wandern. Bei jüngeren Bullen, die als Frischfleisch verkauft werden, wurden noch keine BSE-Erreger im Muskelfleisch nachgewiesen. Heute die nicht ökologisch aufgezogene Kuh aus dem Stall essen, damit morgen die Kühe artgerecht gehalten werden können: Ob die Verbraucher mit ihrem Misstrauen gegen die Versprechen der Fleischwirtschaft diese schwer vermittelbare Logik schlucken, bezweifeln die Experten.
Immerhin ziehe der Konsum von Rindfleisch leicht an und erreiche inzwischen „60 bis 70 Prozent“ des früheren Verbrauchs, meldet optimistisch der Präsident des Bauernverbandes, Gert Sonnleitner. Allerdings wurden nach Zahlen der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) seit Jahresbeginn nur etwa halb so viele Kühe zu Wurst verarbeitet wie im Vorjahr. Obwohl also 100.000 Kühe weniger auf dem Markt sind, sank der Preis von 3,70 auf 2,70 Mark pro Kilogramm.
Hätte dagegen jeder Deutsche seit Januar 350 Gramm Wurst mehr gegessen, wäre der Marktpreis stabil und Renate Künast könnte Geld für Umweltprogramme ausgeben. Agrarexperte Ribbe mahnt deshalb eine große Werbekampagne für den Verzehr von Rindfleisch an, die er selbst in einem internen Konzept zur Agrarpolitik für das Kanzleramt vorgeschlagen hat. „Das muss von den Umwelt- und Verbraucherverbänden kommen, weil die Bauern und ihre Vermarkter das Vertrauen verspielt haben.“
Doch mitten in der Sorge um ein Übergreifen der Maul- und Klauenseuche auf Deutschland hätte eine Werbekampagne „Esst Wurst für die Agrarwende“ einen schweren Stand. Die „Centrale Marketing-Gesellschaft“ (CMA) der deutschen Agrarwirtschaft beschränkt sich derzeit auf eine achtseitige Broschüre zum Thema BSE, die an 30 Millionen Haushalte verteilt werden soll.
Und auch der Deutsche Bauernverband (DBV) beruhigt zwar in einem „Verbraucher-Dialog“ seine Kunden, bleibt aber sonst in der Deckung. Nur zu gut erinnern sich die Landwirte an den Sturm der Entrüstung, weil sie bis zum 23. November 2000 Deutschland als BSE-frei bezeichneten. Nicht wieder anecken sei die Devise, sagt DBV-Sprecher Michael Lohse: „Alle haben uns abgeraten, jetzt vierfarbige Anzeigen mit einem leckeren Stück Fleisch zu schalten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen