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„Wir sind nicht so frohe Typen“

 Moderation MATTHIAS URBACH

„Es geht der Bewegung darum, zu zeigen:Wir sind noch da“

taz: Herr Trittin, Herr Traube, Sie waren beide viele Jahre in der Anti-Atom-Bewegung aktiv. Sind Sie sich schon mal begegnet?

Traube: Ich erinnere mich nicht.

Trittin: Ich schon. Ein einziges Mal. Da war der „große Klaus Traube“, als ich noch kleiner Mann an der Basis war.

Ziehen Sie noch an demselben Strang?

Trittin: Wir wollen beide raus. Er glaubt, es geht schneller, als wir das machen.

Traube: Die Frage ist falsch gestellt. Wir beide operieren auf unterschiedlichen Ebenen. Ich als Bürger bin mit diesem Resultat nicht zufrieden – und überlege: Was kann ich machen, um es zu verbessern? Dieser Herr ist Minister und muss dafür sorgen, dass das ausgehandelte Atomgesetz überhaupt zustande kommt. Und bis das durch ist, darf er die Industrie nicht mal piesacken.

Soll der Castor-Transport blockiert werden?

Traube: Klar.

Trittin: Aber nein!

Warum nicht?

Trittin: Natürlich ist jeder vermiedene Transport ein guter Transport. Ich will auch die damit verbundenen Probleme nicht kleinreden. Aber dieser Rücktransport ist unabweisbar. Wir müssen leider ausbaden, was uns die Vorgängerregierungen eingebrockt haben. Wir sind völkerrechtlich verpflichtet, den Müll zurückzunehmen.

Traube: Aber die Blockade ist doch eine symbolische Aktion. Jeder weiß, dass der Castor am Ende da ankommt, wo er hinsoll. Es geht der Bewegung darum, zu zeigen: Wir sind noch da. Und wir sind nicht zufrieden mit dem Atomkonsens. Wir wollen dem weiteren Betrieb möglichst viele Steine in den Weg legen.

Trittin: Als Regierung können wir uns aber zu dem Rücktransport des Mülls aus Frankreich nicht symbolisch verhalten, sondern nur real.

Warum arbeiten Bewegung und Grüne nicht besser zusammen? Warum ist die Bewegung nicht froh, einen Atomkraftgegner in der Regierung zu haben?

Traube: Ich glaube, wir sind nicht so frohe Typen.

Trittin: Und ich glaube, dass es mit dem Atomkonsens auch Veränderungen gibt, die sich nicht in dem Rollenwechsel eines Parteisprechers zum Umweltminister erschöpfen. Auch andere Kräfte greifen zum Mittel der Blockade, etwa einige süddeutsche Landesregierungen, die mit dem Blockieren von Zwischenlagern versuchen, den Ausstieg zu verhindern. Ich will da nichts zusammenrühren, was nicht zusammengehört. Die Proteste in Gorleben sind legitim und verständlich – den Ausstieg bringen sie aber nicht voran.

Wäre es nicht eher schlecht für Ihre Position in der Regierung, wenn niemand mehr blockieren würde? Müssten Sie nicht froh über den Protest sein?

Trittin: Man ist nie froh, wenn gegen eine Entscheidung demonstriert wird, die man selber getroffen hat.

Warum raufen Sie sich denn nicht zusammen? Das letzte Wort über den Ausstieg ist ja noch nicht gesprochen.

Trittin: Der Atomkonsens hat schon einige Dinge geklärt. So kurios es klingt: Auch wenn die Unterschrift der Industrie noch fehlt, wir können ihr kein vertragswidriges Verhalten vorwerfen. Sie haben die Stillegung von Mülheim-Kärlich eingeleitet. Sie verzichten auf unnötige Transporte, obwohl sie zwei weitere Genehmigungen haben. Es gibt kein Indiz dafür, dass sich die Industrie nicht an den Konsens hält.

Traube: Das ist doch eine Illusion, die politische Konstellation ändert sich doch! Nach diesem Konsens soll der Ausstieg noch länger als 20 Jahre dauern. Die CDU hat bereits angekündigt, wenn sie gewählt wird, will sie den Ausstieg wieder kippen. Schon deswegen muss weitergekämpft und gezeigt werden: Wir wollen die Atomkraft nicht. Und unser symbolträchtigstes Mittel ist die Blockade in Gorleben.

Herr Trittin, Sie kämpfen an zwei Fronten, die Konservativen halten Sie für einen vaterlandslosen Gesellen, die Initiativen für einen Knecht der Atomindustrie. Sind Sie eigentlich stolz, deutscher Umweltminister zu sein?

Trittin: Ich versuche, meine Aufgabe, so gut ich kann, umzusetzen. Ich bin auf dem besten Wege, die Koalitionsvereinbarung abzuarbeiten. Ist das geschafft, kann ich zufrieden sein. Ich komme ja aus dem Norden, aus einer kalvinistisch geprägten Gegend. Und dort sagt man: „Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.“ Großes Pathos ist nicht meine Sache. Ich freue mich, das ist alles.

Sie können sich sicher noch erinnern, wie Sie vor vier Jahren in Gorleben vor Wasserwerfern eine Pressekonferenz abgehalten haben. Würden Sie nicht manchmal gern die Last des Amtes ablegen und lieber lustvoll den Castor blockieren?

Trittin: Jede Lebensphase hat ihre Vor- und Nachteile. Die Demonstrationen und Bauplatzbesetzungen haben zum faktischen Planungsstopp für neue Atomkraftwerke in Deutschland geführt. Ich behaupte also nicht, die Regierungsbeteiligung sei das einzig Seligmachende. Aber laufende Atomkraftwerke kamen dadurch nicht vom Netz.

Herr Traube, Sie haben in den Sechzigern für die Industrie den Siedewasserreaktor entwickelt, bevor Sie zum prominentesten Atomgegner wurden. Sind Sie nicht erleichtert, dass jetzt ein paar dieser Atommeiler abgeschaltet werden?

Traube: Nein, Rot-Grün hat die Chance für einen zügigen Ausstieg vertan. Das Einzige, was mich freut, ist, dass der deutsche Beschluss international ein Zeichen setzt.

Trittin: Welche Chance wurde hier vertan? Wir haben doch viel erreicht. In den Landesregierungen hatten die Grünen bislang versucht, über das Hochschrauben der Sicherheitsstandards Kraftwerke abzuschalten. Die Anti-Atom-Bewegung wollte durch eine Verstopfung der Entsorgungswege die Meiler vom Netz kriegen. Mit beiden sind wir nicht so weit gekommen wie nun mit dem Atomkonsens.

Traube: Einspruch, Euer Gnaden! Die Regierung hat ja gar nicht probiert, den Konflikt mit der Industrie zu wagen. Was, zugegeben, vor allem an Schröder und Müller lag. Die juristischen Folterwerkzeuge wurden nicht vorgeführt: Sowohl beim Nachweis einer geregelten Entsorgung als auch bei der Sicherheit hätte man den Betreibern das Leben richtig schwer machen können.

Trittin: Der Versuch rot-grün regierter Länder, über die Sicherheitsfrage zu einem Abschalten von AKWs zu kommen, war zehn Jahre erfolglos.

Traube: Das ging nicht, weil die Bundesregierung anders besetzt war und industriefreundliche Weisungen an die Länder erteilen konnte.

Trittin: Falsch. Wenn Sie sich die Fälle etwa in Schleswig-Holstein anschauen, werden Sie sehen, dass die Kraftwerke nicht wegen der Weisungswut der CDU am Netz bleiben mussten, sondern einzig und allein, weil sie eine unbegrenzte Betriebsgenehmigung hatten. Alle nachträglichen Eingriffe in diese Betriebsgenehmigung, auch im Namen der Sicherheit, laufen auf eine – juristisch sehr angreifbare – Enteignung hinaus, solange sie nicht 25 bis 27 Jahre Laufzeit gewähren. Der Unterschied zwischen Dissens und Konsens ist deshalb schlicht fünf Jahre.

Traube: Trotzdem kann eine Bundesregierung viel härter vorgehen als die Länder, schon weil sie das Atomgesetz ändern kann. Sie haben da längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, Herr Trittin. Man hätte etwa den Ansatz von Umweltminister Töpfer weitertreiben können: Der zwang die Betreiber, die Erfahrungen von Tschernobyl und Harrisburg zu berücksichtigen und Schutzmaßnahmen gegen Kernschmelzen einzurichten. Es gibt da keine objektiven Grenzen, wie viel Sicherheit nötig ist. Sie hätten die Daumenschrauben ordentlich anziehen können. Auch hätten Sie den Atombrennstoff ebenso besteuern können, wie Sie Erdgas für Kraftwerke besteuern.

Ist der Konsens nicht auch ein Ausdruck der Schwäche der Anti-Atom-Bewegung?

Traube: Das gebe ich gerne zu. Die Sache hätte sicher anders ausgesehen, wenn da noch mal 300.000 Menschen nach Berlin gezogen wären.

Trittin: Es hätten sicher auch ein paar zehntausend Menschen ausgereicht.

Aber es ist ja nicht so, dass wir den Konzernen das Leben leichter gemacht hätten. Allein die Besteuerung der Rückstellungen hat die Unternehmen 20 Milliarden Mark gekostet. Aber selbst wenn wir so vorgegangen wären, wie Herr Traube das vorschlägt, hätten wir trotzdem den Castor aus Frankreich zurücknehmen müssen.

Traube: Wenn wir tatsächlich noch die Abschaltung mehrerer Reaktoren in dieser Wahlperiode erlebt hätten, dann sähe der größere Teil der heutigen Kritiker des Atomkonsenses die Sache vielleicht anders – und würde nicht mehr blockieren.

Trittin: Wir sind reingegangen in die Verhandlung mit der Linie „25 Jahre Gesamtlaufzeit“ und sind rausgekommen mit 32 Jahren. Das ist doch nicht schlecht! Aber immerhin geben Sie zu, dass der Castor nur als Anlass genommen wird, um gegen den Atomkonsens zu protestiern.

Traube: Das ist nicht das einzige Motiv. Die Gorlebener wollen auch das geplante Endlager für Atommüll verhindern. Sie sehen jeden Transport in das Zwischenlager Gorleben als Zementierung ihres Standortes.

Wird Gorleben Endlager, Herr Trittin?

Trittin: Wir haben mit dem Moratorium die so genannte Erkundung des Salzstocks gestoppt – die ja faktisch einem Bau gleichkam.

Traube: Etwas mehr hat man schon erwartet: Nicht bloß ein befristetes Moratorium, sondern das Aus des Endlagers. Immerhin hat das Land Niedersachsen ganz offiziell festgestellt, der Standort sei ungeeignet.

„Die Proteste sind legitim – den Ausstieg bringensie nicht voran“

Trittin: Klar haben die Gorlebener gehofft, dass dort das Endlager geschlossen wird. Aber man kann uns nur an dem messen, was wir versprochen haben. Und das war: erstens das Moratorium; zweitens die Entwicklung von Kriterien für ein Endlager in Deutschland, um dann ergebnisoffen einen geeigneten Standort auszuwählen. Das haben wir eingehalten.

Wäre es nicht schwer für eine Bundesregierung, überhaupt noch ein anderes Endlager ins Gespräch zu bringen?

Trittin: Aber wir arbeiten doch bereits an neuen Kritierien für ein Endlager. 1999 haben wir eine Gruppe von Wissenschaftlern damit beauftragt, die Suche vorzubereiten. Da werden viele Aspekte untersucht, die einen Salzstock wie in Gorleben automatisch als Endlager ausschließen könnten.

Traube: Es sieht nicht danach aus, dass nun ernsthaft eine andere Lösung angegangen wird. Wenn Sie nun sagen, Sie wollen ein Lager in Granit statt in einem Salzstock, dann geht dasselbe Spiel vielleicht in Bayern los. Politisch wäre es einfacher, beim Endlager Gorleben zu bleiben.

Haben Sie Angst vor einem weiteren Gorleben in Deutschland?

Trittin: Wir sind nicht feige, wenn Sie das meinen. Um die Zahl der Castor-Transporte zu minimieren, schaffen wir schließlich gerade 13 Zwischenlager an den Atomkraftwerken. Da treffe ich nicht nur auf den Widerstand von Atomkraftgegnern, sondern auch von Konservativen, die den Ausstieg sabotieren wollen . . .

Traube: . . . eine unheilige Allianz . . .

Trittin: . . . die ich auch nicht in einen Topf werfen will.

Traube: Richtig, nur ist ein Zwischenlager nicht vergleichbar mit dem Eingriff durch ein Endlager. Sie gehörten doch auch mal zu denen, die „denen da oben“ misstraut haben. Und in 30 Jahren, wenn nach heutigem Bekunden die Zwischenlager aufgelöst werden sollen, regieren nicht mehr Trittin, Müller und Schröder.

Interessiert sich die Gesellschaft überhaupt noch für den Konflikt?

Traube: Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Gesellschaft es als oberstes Ziel ansieht, den Ausstieg noch weiter zu beschleunigen. Aber das heißt ja nicht, dass die anderen einfach . . .

Trittin: . . . hinter der Kulisse verschwinden.

Traube: Genau.

Trittin: Mit dem Konsens hat sich die Situation entspannt: Eine Dreiviertelmehrheit ist dafür, nicht sofort, aber bald auszusteigen, eine klare Mehrheit will den Müll aus Frankreich zurücknehmen. Eine Mehrheit sagt aber auch, dass sie Verständnis dafür hat, dass der Castor blockiert wird. Sie sehen: Es gibt in der Gesellschaft nicht mehr den harten Konflikt wie noch beim letzten Castor-Transport 1997.

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