: Auch Ost-Stunk im Wendland
Eigentlich ist der Wendland-Protest eine recht westdeutsche Angelegenheit: Christoph Deckert aus der Altmark ist einer der wenigen Ost-Bauern vor Ort
aus dem Wendland THOMAS GERLACH
Christoph Deckert hat nichts gegen das beschissene Wetter. „Ich hatte erst Bedenken, ob ich das hier mitmachen kann“, sagt der 34-Jährige. Ein bisschen ungelenk winkt er von seinem Traktor herunter. Hinter ihm sitzt Johanna, die Tochter, acht Jahre. Würde ein lauer Wind wehen und wäre es trockener – Deckert würde in der Altmark im Norden Sachsen-Anhalts Stickstoff streuen. Die Stunkparade müsste ohne den Bauern aus dem Landkreis Salzwedel durch das Wendland rollen. Der 34-Jährige drückt den Fahrhebel nach vorn, der Trecker schießt los. Sein „Fendt“ ist kein gemütlich tuckernder Haufen Eisen, von denen es auch viele auf die Stunkparade geschafft haben, er steuert ein High-Tech-Gerät.
Christoph Deckert ist eine Ausnahme auf der Stunkparade. Deckert ist ein Bauer aus dem Osten. Das Wendland liegt eingekeilt zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Trotzdem demonstrieren kaum Bauern von dort. Es ist, als ob der Grenzzaun noch stünde. „Warum das so ist?“ Der Trecker rollt, er ruckelt, ein Mann bietet Kaffee an, Deckert winkt – so was macht er wirklich selten. „Es sind andere Strukturen, es gibt viel mehr Genossenschaften.“ Und da funktioniere manches anders. „Ich kenne den Vorsitzenden einer Genossenschaft, der wäre auch gern hier dabei. Wenn der dann seine Leute fragt, wollen die Geld sehen.“
Christoph Deckert war schon vor vier Jahren dabei und er fuhr im November 99 mit nach Berlin. Ein Ost-Bauer auf Protestzug, das Kind im Trecker, ein Mann, der nicht viel Worte macht. Im Stall und auf dem Acker ist keine Zeit, zu diskutieren. Ein wortkarger Überzeugungstäter, der seine Worte sorgsam wählt: „Man entwickelt sich ja persönlich, dazu gehört es auch, Sachen kritisch zu sehen.“ Deckert wuchs im Sperrgebiet zur innerdeutschen Grenze auf, dort haben sich die Leute noch mehr geduckt als sonst im Land, die Renitenten wurden schon unter Ulbricht an die Oder deportiert.
„Nichts sehen, nichts hören, so ist auch das Dritte Reich entstanden.“ So hat auch die DDR 40 Jahre lang durchgehalten. Und Gorleben hat damals keinen gejuckt, die Ost-Jacke war näher als die West-Hose. Und bei manchen ist das heute noch so.
Heftiger Applaus auf der Straße. Castor-Gegner aus der Altmark! steht auf dem Transparent, die Leute dahinter jubeln ihrem Altmark-Bauern zu. Der winkt von oben, etwas schüchtern. „Na ja, es tut einem auch ganz gut.“ Wo sind Bauern heute noch Helden? „Wir sind ja auch für diese Leute unterwegs. Ich hoffe, dass da auch was zurückkommt.“ Sicher ist sich Deckert nicht. Wir Bauern, heute bejubelt, und morgen sind wir Tierquäler, Umweltverschmutzer und profitgierige Agrarindustrielle!
Dannenberg kommt in Sicht, der erste Wasserwerfer auch – versperrt den Weg zum Castor-Verladekran. „Das ist doch eklig, wie die so da stehen. Das zeigt doch die ganze Schieflage. Wasserwerfer auf Menschen zu richten.“ Nein, Christoph Deckert braust nicht auf. Aber Bauern als Gangster zu behandeln, als „unappetitliches Pack“, wie es Manfred Kanther vor vier Jahren formulierte?
Bei Christoph Deckert war die Polizei neulich auch auf dem Hof. Die haben das Auto weit weg geparkt, sind auf den Hof gegangen ohne zu fragen, haben sich umgeschaut und sind wieder fort. Wie man das seit Jahrhunderten so macht bei Spitzbuben. Und in der DDR war das ja auch so: Wer den Kopf gehoben hat, war unter Generalverdacht. Tausend Jahre gibt es hier Bauern oder zweitausend, wer weiß das schon.
Und jetzt steht in dieser Wellblechbude im Wald bei Gorleben Atommüll rum. Wenn da was passiert, kann Christoph Deckert seine Milch gleich wegkippen. Wer würde dann noch Käse aus der Gegend kaufen?
Trecker machen Eindruck, sind stark. Trecker haben keine Wasserkanonen und keine Räumschilde. Profile graben sich ein in den Boden, ziehen ihre Spur auf den Asphalt der Straßen, durch Dannenberg. Die Wiese kommt in Sicht: Endlich. Parken und runter vom Bock.
„Stell dir vor, die lassen einen noch nicht mal pinkeln!“ Carsten Niemann ist verblüfft. Der Freund und Nachbar von Deckert hat die ganze Zeit ein wenig Bier getrunken, jetzt muss es raus. Doch er kommt nicht ins Gebüsch, irgendwo dahinten liegt das Gleis, die Polizei lässt keinen durch. „Noch nicht mal pinkeln!“ Gorleben wird Atomklo, aber Pinkeln ist verboten. Das verstehe einer. Carsten Niemann versteht’s nicht, Christoph Deckert auch nicht. Deswegen kommen die beiden Altmark-Bauern wieder. Morgen schon.
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