: Hotel Deutschland, Kanzlersuite
Während des Kalten Krieges wurde bei Bonn ein Atombunker für die Bundesregierung eingerichtet, der jetzt „zurückgebaut und verschlossen“ werden soll. Andreas Magdanz hat die „Dienststelle Marienthal“ auf Fotos und Videofilm dokumentiert
von RENATE PUVOGEL
Buchstäblich kurz vor Torschluss hat Andreas Magdanz, Fotograf aus Aachen, mit einer aufwendigen Aktion ein Zeugnis westdeutscher Nachkriegsarchitektur und -geschichte dokumentiert. Es handelt sich um die „Dienststelle Marienthal“, eine gigantische unterirdische Bunkeranlage, 20 km südlich der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn, im idyllischen Ahrtal. Dieser „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“ sollte während des Kalten Krieges, wie es offiziell heißt, im Ernstfall „die Handlungsfähigkeit der Staatsspitze gewährleisten“.
Der Bunker wurde zwischen 1960 und 1971 gebaut, um „allen Verfassungsorganen des Bundes im Krisen- oder Verteidigungsfall als gemeinsame Notunterkunft zu dienen“. 3.000 Regierungsbeamte und Abgeordnete hätten die zweischneidige Chance gehabt, 30 Tage in totaler Abgeschiedenheit zu überleben, um aus ihrer Maulwurfperspektive ein Volk zu regieren, das im Falle eines atomaren Angriffs möglicherweise überhaupt nicht mehr existierte.
Diese politisch fragwürdige und militärisch längst überholte Anlage hat nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Umzug der Regierung nach Berlin nun gänzlich ihre Berechtigung verloren. Deshalb soll sie nach vergeblicher Suche anderer Nutzungsmöglichkeiten „zurückgebaut und verschlossen“ werden, zu dem erklecklichen Finanzaufwand von 60 Millionen Mark. Wäre Magdanz nicht auf eine Anzeige im Handelsblatt aufmerksam geworden und hätte er sich nicht, inspiriert durch Paul Virilios „Bunker Archäologie“, vom Innenministerium die Genehmigung zur fotografischen Dokumentation eingeholt – das absurde Bauwerk wäre ebenso klammheimlich ausgelöscht worden, wie es einst geplant, gebaut und jahrzehntelang unterhalten wurde.
Deutsche Perfektion
Lage und Grundriss basieren auf einer 4 Kilometer langen Tunnelröhre als Teil einer Eisenbahnlinie, deren Bau 1910 aus strategischen Gründen in Richtung Frankreich, den einstigen „Erbfeind“, begann, mit Ende des Ersten Weltkrieges aber zum Erliegen kam. Selbtsredend wurde der Tunnel von den Franzosen geschleift, doch dann wieder hergestellt und gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zur Montage von V1- und V2-Raketen genutzt. Als die Bundesrepublik der Nato beitrat, entsann man sich des Tunnels und sah in ihm die Basis eines durch das Schiefergestein hervorragend geschützten Notbunkers für die Regierung.
Bei der „Dienststelle Marienthal“, intern noch harmloser bzw. zynischer „Rosengarten“ genannt, geht es um das europa-, wenn nicht weltweit umfangreichste Baugebilde. Von Architektur kann man nicht sprechen, denn es existieren nur zweckdienliche Innenräume, während sich die Außenhaut in Gestalt friedlicher Weinberge tarnt. Dementsprechend waren auch nicht Architekten, sondern Ingenieure am Werk, um die monströse Anlage mit deutscher Perfektion zu errichten. Auf einer Fläche von etwa 83.000 Quadratkilometern und einer Ganglänge von immerhin 19 Kilometer wurden in dem durch die Talsenke geteilten Bauwerk fünf selbstständig funktionierende Einheiten doppelgeschossig angelegt. 936 spartanisch eingerichtete Schlafzimmer, 897 Büro- und Konferenzräume, fünf Kommandozentralen, ebenso viele Großküchen, Waschräume und Frisiersalons, klinische Stationen samt Operationssälen sollten die notwendige Grundversorgung der ausersehenen Regierungsmitglieder sicherstellen. Bezeichnenderweise fehlt eine Bibliothek. Hingegen sind die geradezu erschlagenden Anlagen der Frisch- und Abwasserkanäle, der Belüftungs- und Beleuchtungssysteme dem Bauvolumen zuzurechnen. Man bedenke, dass der Steuerzahler für dieses „Exklusivhotel“ mittlerweile rund 3 Milliarden Mark berappen musste.
Der Marienthaler Bunker entzieht sich, wo immer man sich aufhält, gänzlich der Überschaubarkeit, man ist orientierungslos. Dass die kafkaeske Situation trotz der 38 Verbindungen zur Außenwelt klaustrophobische Ängste hervorgerufen hat, bezeugen noch heute traumatisierte Arbeiter des ständig anwesenden 180 Mann starken Wartungspersonals – das gesamte Unternehmen war eine Männerdomäne. Die beamteten Techniker und Angestellte waren zu strengster Geheimhaltung angehalten, genau wie jene Soldaten, die im Bunker einen dreiwöchigen Übungsdienst absolvierten, und wie die jährliche Abordnung von Regierungsmitgliedern.
Andreas Magdanz entreißt nun dieses politisch, militärisch und architektonisch absurde Monstrum gerade noch rechtzeitig dem stillschweigenden Verschwinden. Mit großem persönlichen Einsatz hat der 1963 in Mönchengladbach geborene Fotograf in den Jahren 1989 und 1990 sieben Monate lang den östlichen Trakt systematisch erforscht und mit der Großbildkamera markante wie belanglose Details in 1.000 Fotos, vorwiegend schwarzweiß, festgehalten. Hundert Fotos sind inzwischen zu einer stattlichen „Gebäudemonographie“ zusammengestellt und diese im Eigenverlag herausgebracht (www.dienststellemarienthal.de). Der vormalige Staatsminister Michael Naumann lehnte jegliche Förderung des Projektes als „nicht von bundespolitischer Bedeutung“ ab. Gleich seinen Politikerkollegen übersieht auch er, dass sich hier ein Künstler dagegen wehrt, wie wieder einmal ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte ohne öffentliche Diskussion vernichtet wird. Nicht nur die Fotos sollten von der Bundesrepublik angekauft werden, sondern es wäre nötig, wenigstens einen Teil der Anlage als authentisches museales Anschauungsobjekt zu erhalten – mit welchem Recht empören wir uns sonst über die verbrecherischen Zerstörungen von Kulturgut durch die Taliban, wenn wir uns der Denkmäler der eigenen Geschichte berauben? Undenkbar, dass irgendwann einmal Archäologen den Bunker als einen Fremdling innerhalb des deutschen Gebietes ausgraben werden, bevölkert von Menschen in Gestalt des „Gasmaskenprüfgerätes“.
Rosarote Bestuhlung
Magdanz hat den prachtvollen querformatigen Bildband mangels eines herausragenden Baudetails mit einem orangefarbenen Umschlag umgeben, den ein Bomber symbolisch mittig „überfliegt“ und zwar sinnfälligerweise feindorientiert, von Ost nach West. Das Logo entstammt einem der zahllosen Magnetsticker, die Magdanz im Innenleben eines Schrankes des militärischen Lagezentrums fand, das er erstaunlicherweise fotografieren durfte. Wenn man sich die unglaubliche Menge militärischer Symbole auf diesen Stickern anschaut, wie etwa „Überwasserstreitkräfte“, „Sperrflug“, „Abschirmung“ oder „Verluste“, die zahlreichen Ortsnamen und kryptischen Zeichen oder die politischen Landkarten aus den 60er/70er-Jahren, bekommt man eine Vorstellung von dem lächerlich anmutenden Irrsinn dieser militärischen Sandkastenspiele im Verhältnis zu einer seinerzeit tatsächlich denkbaren atomaren Weltkatastrophe.
Die Fotografien illustrieren den Weg, den ein Besucher innerhalb der östlichen Anlage von Ost-West nach Ost-Ost durchwandert; sie beginnen mit einem ebenerdig gelegenen Eingangstor, das unwillkürlich die Erinnerung an die Wachtürme der DDR wachruft. Diesem Foto folgt unmittelbar eine Abbildung von einer der Schaltzentralen, und diese wird wiederum abgelöst von einer Darstellung eines der schweren Eingangstore. So wird der Betrachter vom Fotografen von Beginn an in die Ambivalenz des gleichermaßen faszinierenden wie Grauen erregenden Konstrukts in seiner penibel durchdachten und dabei so abstrusen Planung verwickelt.
Der rein dokumentierende Bildband zeigt auch die bildnerischen und dramaturgischen Fähigkeiten des versierten Fotografen, der an der Fachhochschule Aachen bei Wilhelm Schürmann studiert hat. Um etwa die Aufmerksamkeit des Beschauers wach zu halten, streut er zwischen die Schwarzweißaufnahmen in ihrer wirklichkeitsgetreu bleiernen Ausleuchtung einige farbige Bilder. Sie setzen eine Zäsur zwischen einzelne Kapitel und fangen zudem die einheitlich festgefrorene Ästhetik der 70er-Jahre ein. So führt er etwa die rosarote Bestuhlung des Konferenzraumes vor, den orangefarbene Lampen ins Licht setzen, oder an anderer Stelle den Frisiersalon mit seinen blauviolett bezogenen Stühlen. Diesem Interieur gegenüber hat man beim Anblick des durch die Glasscheibe fotografierten Waschraumes unwillkürlich die perfiden Reinigungsmethoden in Konzentrationslagern vor Augen. Magdanz hat das zur Zeit des Fototermins leider schon reichlich dezimierte bewegliche Inventar gänzlich unberührt belassen, wodurch klinisch sterile Räume neben stilllebenartigen Situationen mit unachtsam vergessenem Werkzeug zu stehen kommen. Seiner Strategie gemäß hat Magdanz nichts manipuliert oder zugespitzt. Statt dessen schieben sich die nahen, bedrohlichen Ansichten der übermächtigen Technik bei aller Sachlichkeit dramatisch zwischen die vielfach zentralperspektivisch aufgenommene Berichterstattung.
Was die Fotografien nicht zu leisten vermögen, veranschaulicht unterstützend ein einstündiger Videofilm. In mehrteiligen Sequenzen schleust er den Betrachter durch die endlosen kathedralenhohen Gänge und kanalrunden Röhren und vermittelt durch die monotone Bewegung ein Gefühl des Schwindels, als würde sich ein gewalttätiger Schlund öffnen, natürlich weniger abstrakt als das „Kanalvideo“ von Fischli/Weiss. Begleitet wird die nervzehrende Bewegung durch zermürbend hallende, dumpfe oder zischende Geräusche, ausgelöst vom langsamen Zufallen tonnenschwerer Türen oder von der latenten Belüftung.
Graue Telefonapparate
Diesen Videofilm kann man derzeit in einer Ausstellung in der „Alten Rotation“ in Bonn anschauen. Das Interimsquartier des Rheinischen Landesmuseums gibt einen eindrucksvollen, wenn auch minimalen Einblick in das gesamte Unterfangen von Andreas Magdanz. Zwischen wenigen hochgezogenen Fotografien sind originale Gegenstände aus dem Bunker ausgestellt, so etwa ein Transportwagen, vollgeladen mit postgrauen Telefonapparaten, sowie ein Elektrowagen und auch die erwähnte anheimelnde Sitzgarnitur. So einprägsam diese realen Requisiten sind, sie können, aus dem Kontext genommen, nicht jene atmosphärische Wirkung erzielen, die von Fotos und Video ausgeht, ganz zu schweigen von jener eines Besuches unter Tage.
Gefragt nach seinen zukünftigen Plänen, erklärt Andreas Magdanz, dass er sich nach den beiden auch psychisch strapaziösen Projekten „Garzweiler“ und „Dienststelle Marienthal“ vorerst Themen widmen wolle, die nicht wieder ein dem Untergang geweihtes Problemfeld ins Visier nehmen. Dabei hat er wohl auch im Bewusstsein, dass das Fotografieren – Aktualität hin, Dokumentation her – immer mit dem Einfrieren eines Ist-Zustandes und letztendlich mit dem Tod zu tun hat.
Bis 22. 4., „Alte Rotation“, Bonn. Das Buch „Dienststelle Marienthal – Eine Gebäudemonographie“ ist im Eigenverlag erschienen (198 DM).
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