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Rektoriale Wahrheitsliebe

■ Prozessflut, Schwarzbücher und Meinungszensur: An der Universität Vechta sollen seltsame Dinge vor sich gehen

Ruhige Gegend, nette Menschen, übersichtliche Anlage: An der Universität Vechta lässt es sich studieren. Mit Stolz verweist die Pressestelle der angeblich kleins-ten Uni Deutschlands auf die „einzigartige Organisation“ und „neuen Wege der akademischen Ausbildung“. Ein berechtigter Stolz, findet Geschichtsprofessor Joachim Kuropka. Schließlich könne er seinen Studenten hier wunderbar das System einer Diktatur demonstrieren. Der praktische Anschauungsunterricht lasse keine Lehrstunde aus: Von „Mobbing“ über „Aktenvernichtung“ bis hin zu „Einschüchterung von kritischen Journalisten“.

Der als „Diktator“ Verdächtigte heißt Jürgen Howe und ist seit 1995 Rektor der Universität Vechta. Vor zwei Jahren ließ Howe 17 Lehraufträge streichen – wie sich nun herausstellte trotz eines Haushalts-“Übertrags“ von 2,6 Millionen Mark. Die protestierenden Studenten gründeten mit eigenen Mitteln eine Not-Uni. Das hat Howe gar nicht gefallen. „Seither“, klagt der Professor für Wirtschaftspolitik Hermann von Laer, „werden kritische Studenten und Professoren gemobbt und Linientreue honoriert.“

So sei der studentischen Hilfskraft Katharina Schulz wegen eines Links auf ihrer privaten Homepage ein Vertrag verweigert worden: Der Mausklick führte zu einem mit „Schwarzbuch“ betitelten Bericht über die Machenschaften des vermeintlichen Rektators. Dieser kann über derlei Vorwürfe nur lachen: „Die kommen von einer Oppositionsgruppe, die bei jeder Entscheidung den Untergang des Abendlandes fürchtet“, wehrt der Rektor ab. Und Frau Schulz? Ja, die habe gerade erst einen Prozess gegen ihn verloren. Die Studentin habe eine Dauerbeschäftigung erreichen wollen, was natürlich nicht gehe. Da man aber nicht nachtragend sei, werde sie sicher wieder einen Vertrag erhalten. Also kein Grund zur Aufregung. Alles in Ordnung.

Fast alles. Denn von einem gewonnenen Prozess kann nicht die Rede sein. Wie der offizielle Bericht des Arbeitsgerichts Oldenburg dokumentiert, musste der Rektor in Wahrheit einen Vergleich hinnehmen. Katharina Schulz hatte sich eine Garantie erkämpft: Howe ist demnach verpflichtet, einer erneuten Beschäftigung zuzustimmen. Eine rektoriale Kavalierslüge? Wohl kaum. Denn sowohl die schwach ausgeprägte Wahrheitsliebe als auch der politische Stil des Jürgen Howe fällt mittlerweile auch außerhalb des Lehrtempels auf.

So findet der Vechtaer Landrat Clemens-August Krapp (CDU) deutliche Worte: „Der Fisch stinkt vom Kopfe her. Der Kopf muss ab!“ Die Vielzahl der gegen Howe geführten Prozesse – von gegenwärtig vier Anklagen ist die Rede – sage alles. Und über den Vorwurf der Diktatur dürfe sich Howe nicht wundern: „Er schützt diejenigen, die ihn gewählt haben. Das kann man vielleicht einmal vor einer Wahl machen. Danach muss dann aber Schluss damit sein!“ Der Rektor, mahnt Krapp, sei nicht für einige Lieblinge da, sondern für die gesamte Hochschule.

Also auch für den allgemeinen Studentenausschuss, sollte man meinen. Doch der scheint an den derzeitigen Verhältnissen nichts auszusetzen. So ist auf der AStA-Seite der Universitäts-Homepage nicht viel mehr zu finden, als ein paar Telefonnummern, Ortsangaben und Treffzeiten. „Kein Wunder“, sagt Student Martin Jungwirth: „Die haben unsere Seite abgeklemmt!“ Wovon Herr Howe offensichtlich nichts weiß: „Eine Seite des AStA müsste es auf unserer Homepage geben.“ Eigentlich.

Johannes Bruggaier

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