: Der Namen als böses Omen?
Norbert und Stephan Lebert haben die Kinder von prominenten Nazis Ende der 50er- und Ende der 90er-Jahre darüber befragt, wie sie sich mit ihrem schweren Erbe auseinander gesetzt haben. Ein wichtiges und spannendes Buch
Martin Bormann, ein ehemaliger Pfarrer und Religionslehrer, hält die Trauerrede am Grab seiner Patentante. In Schulen spricht er über das Thema „Nie wieder Faschismus“. Aber auf dieser Beerdigung darf die Rede kein böses Wort über Adolf Hitler enthalten. Das hat der Sohn der Toten sich ausgebeten. Sein Name: Wolf-Rüdiger Heß. Sein Vater war Hitlers Stellvertreter. Der Vater von Trauerredner Martin Bormann war Hitlers Sekretär. Zur Beisetzung ist auch Gudrun Himmler gekommen, die Tochter des ehemaligen Reichsführer SS.
Politisch und in ihrer Haltung zum Dritten Reich könnte der Graben tiefer kaum sein, der die Trauergäste voneinander trennt. Aber die Genannten eint ein gemeinsames Schicksal: Sie sind durch den Zufall ihrer Geburt lebenslang zur Auseinandersetzung mit Schuld verdammt. „Was bedeutet es für dieses Land mit Namen Deutschland, dass die Täter, Mitläufer, Mittäter im Dritten Reich Kinder und Enkelkinder bekommen und ihnen ihre Aggressionen, ihre Feigheit, ihre Grausamkeit, ihr Schweigen, ihre Vedrängungsmechanismen weitergegeben haben?“, fragt der Journalist Stephan Lebert. Er hat die Beerdigung der Witwe von Rudolf Heß in einem Buch geschildert: „Denn Du trägst meinen Namen. Das schwere Erbe der prominenten Nazi-Kinder“.
Zwei Verfasser werden auf dem Einband genannt – aber der eine ist schon lange tot. Das Buch handelt nicht nur von Vätern, es ist zugleich ein Gedenkstein, den Stephan Lebert seinem 1993 verstorbenen Vater (und Kollegen) Norbert Lebert gesetzt hat. Der hatte 1959 für eine Zeitschriftenserie mit jungen Erwachsenen über ihre Gegenwart, ihre Hoffnungen und ihre Vergangenheit gesprochen. Es waren Menschen mit einem gemeinsamen Schicksal. Sie alle waren Kinder der Führungsspitzen des nationalsozialistischen Regimes.
Stephan Lebert hat das Manuskript erst Jahre nach dem Tod des Vaters gelesen. Er forschte nach, wie das Leben der inzwischen alten Menschen verlaufen ist. Und fand heraus: Das Leben der Väter hat das der Kinder bestimmt, im Guten wie im Schlechten. Als Norbert Lebert 1959 mit Wolf-Rüdiger Heß sprach, kannte der seinen Vater gar nicht. Er war erst drei Jahre alt gewesen, als Rudolf Heß nach England flog, und sollte ihn erst zehn Jahre später ein erstes Mal im alliierten Gefängnis in Berlin-Spandau sehen dürfen – bis dahin hatte der Häftling es abgelehnt, Besucher zu empfangen.
Und heute? „Mehr kann man einen toten Vater nicht lieben, verehren, bewundern, als er es tut“, schreibt Stephan Lebert mehr als 40 Jahre später über den Sohn. „So ist also die Geschichte des Wolf-Rüdiger Heß weitergegangen. Aus ihm ist ein glühender Verehrer von Adolf Hitler geworden.“ Ganz anders Martin Bormann. Auch er liebt den Vater, dem er „das Leben zu verdanken“ hat. Und er verurteilt den Politiker, der „schlimme Verbrechen begangen und schwere Schuld auf sich geladen hat“. Ein Seiltanz, bei dem ihn – wie Lebert schreibt – nur die Religion gehalten hat.
Eine kleine Anmerkung am Schluss des Buches deutet darauf hin, dass Bormann sich nicht umfassend genug beschrieben sieht: Er habe heute, 40 Jahre nach Erscheinen der Artikelserie von Norbert Lebert, „verschiedene Einwände“ gegen die damalige Darstellung. Eine diskrete Randnotiz, aber dennoch nicht unwichtig – sie deutet auf eine Schwäche des Bandes hin: So anrührend viele geschilderte Begebenheiten und vor allem die Entstehungsgeschichte des Buches auch sind, so ratlos lassen sie doch den Leser zurück, der die grundsätzliche Fragestellung ernst nimmt.
Das ist dem Zeitschriftenautor Norbert Lebert weniger anzulasten als dem Buchautor Stephan Lebert. 1959 hat die zwangsläufig knappe Form des flüchtigen Mediums für die Lebensgeschichte junger Erwachsener genügt – für den Anspruch, die Lebensgeschichten alter Menschen unter einem so schwierigen Aspekt zu erzählen, reicht sie nicht aus. Immer wieder möchte man es beim Lesen genauer wissen, nachfragen, um besser verstehen zu können, weshalb der eine diesen und die andere jenen Weg gegangen ist.
Vielleicht hätte Stephan Lebert besser daran getan, sich zu beschränken: auf die Biografien von Wolf-Rüdiger Heß und Martin Bormann beispielsweise, um diesen zugleich mehr Raum zu geben. Sein Vater konnte – musste vielleicht – noch in der Breite arbeiten. Dem Anliegen des Sohnes hätte etwas mehr Tiefe gut getan. Das gilt umso mehr, als es ihm nicht vollständig gelungen ist, das Werk des Vaters fortzuschreiben. Manche von dessen ehemaligen Gespärchspartnern sind tot, andere wollten sich nicht mehr sprechen lassen.
Der Einwand wiegt dennoch gering angesichts der unbestreitbaren Qualität des Buches: sich mit einem wichtigen, tabuisierten Thema auseinander zu setzen. unparteiisch, ohne Sympathie, aber auch ohne Selbstgerechtigkeit – mit einer Ausnahme. Es wäre nicht nötig gewesen – dem schlechten Beispiel anderer Medien folgend – den Ehenamen von Gudrun Himmler zu nennen, die sich ihr Leben lang um Anonymität bemüht hat Wenn zur Rechtfertigung allein die Tatsache genügt, dass ihre Lebensgeschichte sie zu einer unverbesserlichen Nationalsozialistin hat werden lassen, dann wird sie von Stephan Lebert eben doch mit einem anderen Maß gemessen als andere. Schade. Ein kleiner Fleck auf einem wichtigen Buch. BETTINA GAUS
Norbert und Stephan Lebert: „Denn Du trägst meinen Namen. Das schwere Erbe der prominenten Nazi-Kinder“, 224 Seiten, Karl Blessing Verlag, München 2000, 42 DM
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