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Jetzt soll auch noch Künast büßen

Das Ritual der Distanzierung will die FDP mit aller Macht im Bundestag fortsetzen. Nun soll Künast eine Unterschrift gegen den § 129a zurückziehen, die sie vor der Übernahme ihres Ministeramtes leistete

BERLIN taz ■ Die FDP will mit allen Mitteln dritte Kraft werden. Und zweistellig. Und 18-prozentig. Und auch Volkspartei natürlich. Für Letzteres braucht sie Wähler, für Ersteres attackiert sie die Grünen: Nach den Debatten um Außenminister Joschka Fischer und Umweltminister Jürgen Trittin soll es nun nach liberalem Willen Verbraucherministerin Renate Künast an den Kragen gehen: Wie ihre grünen Kabinettskollegen soll auch das Agrar-Starlett Buße tun; allerdings nicht für Tat oder Ausspruch, sondern für eine Unterschrift. Die damalige Grünen-Vorsitzende Künast unterzeichnete am 23. März 2000 den „Aufruf für die sofortige Freilassung und für die Abschaffung des § 129a“. Es ging um sechs Personen, die im Dezember 1999 unter dem Verdacht festgenommen worden waren, nach diesem Paragrafen des Strafgesetzbuchs Mitglieder einer terroristischen Vereinigung, der Revolutionären Zellen (RZ), gewesen zu sein. Ihnen wurden Anschläge in den 80er- und frühen 90er-Jahren zur Last gelegt. Künast und andere Unterzeichner, darunter Claudia Roth, Christian Ströbele (beide Grüne) und Gregor Gysi (PDS) protestierten, da die Straftaten „im Wesentlichen verjährt“ seien, es nur einen Kronzeugen gebe und „der § 129a ein politischer Ausforschungsparagraf“ sei. Doch nun ist Renate Künast Ministerin, vier mutmaßliche RZ-Mitglieder stehen seit dem 22. März 2001 vor dem Berliner Kammergericht, der Aufruf wurde noch einmal als Anzeige in der taz vom 21. 3. 2001 veröffentlicht und Guido Westerwelle ist fast FDP-Vorsitzender: Er forderte Anfang der Woche Künast und Roth auf, ihre Unterschriften zurückzunehmen. Sie hätten die „Axt an die Wurzel der Gewaltenteilung“ gelegt. Die Ministerin habe mit der Forderung nach Aufhebung der Haftbefehle „die unabhängige Justiz angegriffen“. Für linke Terroristen gebe es „genauso wenig ein Sonderrecht wie für rechte“.

Nun, die beiden haben nicht zurückgezogen, Claudia Roth meinte gar, Westerwelle sei „nicht einmal mehr ein Restliberaler“ – als früheres Mitglied der liberalen Jugendorganisation „schäme sie sich“ für ihn. Um der Sache zusätzliche Aufmerksamkeit zu verleihen, hat die FDP-Bundestagsfraktion noch einen Antrag ins Parlament eingebracht, wonach der Bundestag die Ministerin auffordern soll, sich „unverzüglich von dem Aufruf zu distanzieren“.

Von der Abgeordeten Roth allerdings wird dies nicht verlangt, Bundestagsmitglieder könne man „nicht per Parlamentsbeschluss auffordern, eine Unterschrift zurückzuziehen“, sagte Jürgen Koppelin, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP.

Zunächst sollte in einer Geschäftsordnungsdebatte geklärt werden, ob die Diskussion um Künast überhaupt kurzfristig auf die Tagesordnung im Bundestag gesetzt werden soll. Dann wurde aber laut Wilhelm Schmidt, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, auf den Debattenwunsch der FDP eingegangen.

So wird also heute im Bundestag wieder einmal darüber diskutiert werden, wer sich bei wem entschuldigen und was zurückziehen muss. In der Grünen-Fraktion sieht man der Debatte gelassen entgegen, die Abschaffung des Paragrafen 129a sei schließlich eine alte Parteiforderung. Der FDP hingegen geht es vielmehr um die Freilassungsforderung, die die heutige Ministerin im Aufruf mitunterzeichnete. In der SPD rechnet man mit einer 30-minütigen Debatte, irgendwann in den Abendstunden. Ob sich die FDP zu dieser Stunde als dritte Kraft wird profilieren können? Einen neuerlichen Versuch wird es auf absehbare Zeit nicht geben: Die Koalition hat schließlich nur drei grüne Mitglieder, die sich entschuldigen können. SEBASTIAN FISCHER

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