schröders frauenpolitik: Kein Schatten von Einsicht
Nennt man das Politik? Schlittenfahren wohl eher. Noch drei Jahre Freiwilligkeit gesteht Kanzler Schröder der Wirtschaft zu. Drei Jahre, in denen sie freiwillige Vereinbarungen zur Frauenförderung treffen sollen, danach erst droht ein Gesetz. Was steht im Koalitionsvertrag? Gesetzliche Regelungen zur Gleichstellung in der Privatwirtschaft. Was treibt Frauenministerin Bergmann seit geraumer Zeit? Ein Gesetz erarbeiten, das immer noch höchst moderat ist – aber eben ein Gesetz, das nach einer Übergangsfrist eine Automatik in Gang gesetzt hätte.
Kommentar von HEIDE OESTREICH
Und der Kanzler? Schwärmt vom Konsens im Schatten der Gesetze, womit man so wunderbare Erfahrungen gemacht habe. Etwa bei der bisherigen Gleichstellungspolitik in Unternehmen? Die sich dadurch auszeichnet, dass immer dieselben hundert Vorzeigefirmen sich gegenseitig zu ihren drei Vorzeigemaßnahmen gratulieren?
Die Gespräche seien noch nicht abgeschlossen, beschwichtigt das Frauenministerium – doch Schröder ist sich seiner Sache so sicher, dass er den Unternehmern schon jetzt die frohe Botschaft verkündet, dass sie in dieser Legislaturperiode garantiert gesetzesfrei davonkommen.
Der Kanzler hat nicht verstanden, kann man dazu nur sagen. Er hat nicht kapiert, was ihm das Bundesverfassungsgericht vor zwei Tagen bescheinigte: Diese Gesellschaft wird in Schwierigkeiten geraten, wenn die Erziehung von Kindern nicht erleichtert wird. Er hat ebenfalls nicht begriffen, dass die Wirtschaft qualifizierte Arbeitskräfte braucht und dass da ein Heer hoch qualifizierter Frauen bereitsteht. Die benötigen lediglich ein bisschen Entgegenkommen, in Form von flexiblen Arbeitszeiten etwa, weil es eben auch noch Kinder zu erziehen gilt. Das ist für Unternehmen kurzfristig unbequem, trotzdem muss die Politik langfristig denken. Deshalb braucht man ein Gesetz, das ein paar Essentials vorschreibt.
Das hat in den USA funktioniert. Dank affirmative action ist fast jede zweite mittlere Führungskraft weiblich; es gibt dort ein Äquivalent zur Verbandsklage bei Diskriminierungen, die class action; und es gibt dort die Bindung öffentlicher Aufträge an Frauenförderung. Das alles hat ein Klima geschaffen, in dem es selbstverständlich wurde, auf die Zahl seiner weiblichen Arbeits- und Führungskräfte zu achten. Auf solche, wirklich wenig schmerzhaften Mittel drei weitere Jahre zu verzichten, heißt, drei weitere Jahre zu verschenken.
inland SEITE 7
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen