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Die Tataren rücken näher

Die Unruhe in der CDU nimmt zu. Die Fraktion soll ihren Chef zum Abtritt drängen, aber Klaus Landowsky will davon nichts wissen. Das Ergebnis: Rot-Rot-Grün rückt zusammen

von RALPH BOLLMANN

Es war der Tag der „Tatarenmeldung“, gestern im Abgeordnetenhaus: Tritt CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky noch im April zurück? Wird er anschließend in den Landesvorstand gewählt und für den Bundestag aufgestellt, um ihm einen „ehrenvollen Abgang“ zu ermöglichen? Hat der Betroffene, der bislang ungerührt auf einen Koalitionsbruch zusteuerte, diesem Plan gar zugestimmt? Von wegen, sagt Landowsky selbst. Alles eine „unwahrscheinliche Schreckensnachricht“: So jedenfalls übersetzt der Duden den „veraltenden“ Begriff, mit dem der so plötzlich gealterte Politiker die Meldung kommentierte.

Keine „Tatarenmeldung“ war es freilich, dass die Parlamentarier gestern mit den Stimmen aller Fraktionen die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses beschlossen – und den Senat aufforderten, bis Ende Mai einen Nachtragshaushalt vorzulegen, um den finanziellen Schaden aus der Bankaffäre auszubügeln.

Kein Wunder also, dass immer mehr Parteifreunde den Gedanken an einen Rückzug ihres Fraktionschefs immer weniger abwegig finden – eine Unruhe, die auch auf der CDU-Fraktionssitzung am späten Dienstagnachmittag zum Ausdruck gekommen war. Schon sorgen sich viele Hinterbänkler um ihren Parlamentsposten, wenn Landowskys Beharrungsvermögen die SPD zum Ausstieg aus der Koalition provoziert. Anfangs hätten viele gedacht, man könne das Gewitter einfach abwarten, formuliert ein Christdemokrat. Jetzt zeige sich aber, dass die dunklen Wolken partout nicht weiterzögen.

Es gab also viel zu bereden auf den Fluren des Landesparlaments – kein Wunder, dass es Landowsky nicht auf seinem Sitz im Plenum hielt. Dort hatte der – nach eigenem Bekunden – voll handlungsfähige Fraktionsvorsitzende ohnehin nicht mehr das Wort ergriffen, seit die Spendenaffäre vor mehr als zwei Monaten begann. Stattdessen zog er sich gestern lieber mit seinem möglichen Nachfolger Frank Steffel zu Krisengesprächen zurück. Oder er erläuterte den Journalisten, dass alle Rücktrittsgerüchte „völliger Quatsch“ seien. Über einen Wechsel in den Bundestag will sich der Exbanker „noch nie in meinem Leben Gedanken gemacht“ haben.

Der Zufall wollte es, dass Landowsky just in dem Moment den Plenarsaal wieder betrat, als Finanzsenator Peter Kurth (CDU) den „konsequenten Abbau zu risikoreicher Kreditengagements“ bei der landeseigenen Bankgesellschaft ankündigte. Jener Kredite also, für die Landowsky bis Anfang März im Konzernvorstand der Bank verantwortlich war. Der Fraktionsvorsitzende applaudierte sogar.

Hätte Landowsky länger auf seinem Platz ausgeharrt – ihm wäre nicht verborgen geblieben, wie weit die Koalition bereits auseinandergedriftet ist, weil er den richtigen Zeitpunkt für seinen Rücktritt verstreichen ließ. Zwar haben sich CDU und SPD auch bisher nur selten gegenseitig applaudiert, doch so groß wie gestern war die Nähe von SPD, Grünen und PDS noch nie.

Die Argumente der drei Parteien waren über weite Strecken kaum noch zu unterscheiden. Landowskys mangelnde Einsicht hat die drei Linksparteien zusammengeschweißt. Über die nötigen Einschnitte im Landeshaushalt könne man nicht mit jenem CDU-Fraktionsvorsitzenden verhandeln, der für das Desaster selbst verantwortlich sei – das verkündeten unisono die Fraktionschefs Harald Wolf (PDS), Wolfgang Wieland (Bündnisgrüne) und Klaus Wowereit (SPD).

Nur noch für seine eigene Partei, nicht mehr für die Koalition sprach dagegen der CDU-Haushaltsexperte Alexander Kaczmarek, der neben Steffel als – allerdings weniger aussichtsreicher – Kandidat für die Landowsky-Nachfolge gilt. Der „Wettlauf der Hiobsbotschafter“ lasse ihn unberührt. „Wir werden weiter regieren, und die Geister werden sich wieder verziehen“, sagte der CDU-Abgeordnete – und fand prompt das Mitleid des Koalitionspartners: Kaczmarek sei „in einer ganz blöden Rolle“, befand SPD-Fraktionschef Wowereit: „Er muss schönreden, was nicht mehr schönzureden ist, weil Landowsky als der eigentlich Verantwortliche nicht mehr reden kann.“ Die Tataren rücken immer näher.

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