: „Jesus hat nie wirklich existiert“
Interview MONIKA GOETSCH
taz: Was haben Sie eigentlich gegen Jesus, Herr Carotta?
Francesco Carotta: Gar nichts. Ich habe nur etwas gegen die so genannte wissenschaftliche Theologie, die Jesus komplett demontiert hat. Die Leben-Jesu-Forschung ist die Geschichte ihres Scheiterns.
Das Scheitern des Versuchs, den historischen Jesus zu rekonstruieren.
Genau. Die Forschung hat zwei unterschiedliche, gleichermaßen unbefriedigende Antworten hervorgebracht. Zum einen, dass Jesus ein Nobody gewesen sein könnte, einer von vielen anderen, der das Glück hatte, postum berühmt zu werden. Monty Python hat ja gezeigt, dass an Erleuchteten und Wunderheilern damals nun wirklich kein Mangel herrschte. Die andere Antwort lautet: Jesus hat nie existiert. Er setzt sich zusammen aus Mythen und Legenden, denen man nachträglich eine Existenz angedichtet hat. Wir haben also die Wahl zwischen einem Nobody und einem Niemand. Dann ist allerdings unerklärlich, warum sich das Christentum so plötzlich mit einer solchen Wucht ausgebreitet hat. Wie Nietzsche schon sagte: Man sucht das Streichholz, das die Prärie in Brand gesetzt hat. Aber Nobody oder Niemand kann nicht das Streichholz gewesen sein.
Für Sie ist das Streichholz Cäsar. Warum?
Anders als die Leben-Jesu-Forschung, die sich nur mit den Evangelien auseinander setzt, habe ich über den Tellerrand geschaut. Cäsar hat mich zunächst nur hobbyweise beschäftigt. Das Bild, das wir normalerweise von ihm haben, ist das des Feldherrn und Diktators. Forscht man aber über die Asterix-Lektüre hinaus, stellt man fest, dass die zeitgenössischen Bilder Cäsars ein ganz anderes Porträt zeichnen: das der clementia, der Milde Cäsars. Denn Cäsars politisches Programm war ja: „Liebet eure Feinde!“ Man sieht auch einen gemarterten Cäsar, das ergreifende Bild eines Mannes, der ebenso gut der gekreuzigte Jesus sein könnte.
Und doch war Cäsar nun mal Feldherr.
Sicher. Aber man muss ihn mit den anderen Herrschern der Antike vergleichen. Alle haben damals Krieg geführt. Aber Cäsar wollte eine neue Strategie einführen. Statt seine Feinde zu verfolgen und ewig Rache zu üben, wollte er seinen Gegnern verzeihen. Weil er ermordet wurde, sagen die einen, seine Versöhnungspolitik sei gescheitert. Die anderen behaupten, er habe postum gesiegt. Genau diese Debatte finden wir um die Versöhnungsbotschaft Jesu.
Das ist zunächst nicht mehr als eine Parallele. Wie kommen Sie darauf, dass Cäsar und Jesus sich nicht nur ähnlich waren, sondern Jesus Cäsar gewesen ist?
Ich habe auf zeitgenössischen Darstellungen nach weiteren Parallelen gesucht. Und erstaunlicherweise alle Motive des Christentums auch bei Cäsar gefunden: die Wiederauferstehung, die Himmelfahrt, das Kreuz, den Heiligenschein, alles. Also habe ich die Biografien der beiden verglichen. Das Ergebnis hat mich verblüfft: Das Evangelium folgt genau dem Schema der Cäsar’schen Biografie.
Das könnte doch ein literarisches Muster sein.
Aber die Strukturen stimmen absolut überein! Beide kommen sie aus einem Land im Norden, Gallia beziehungsweise Galiläa, überqueren einen gefährlichen Fluss, betreten eine Stadt, Corfinium oder Kapharnaum genannt. Und während Cäsar den feindlichen Befehlshaber verjagt, der die Stadt besetzt hält, verjagt Jesus den unreinen Geist, von dem ein Mensch besessen ist. Wobei „besessen“ und „besetzt“ ein und dasselbe lateinische Wort bezeichnet: obsessus. Solche Wort- und Namensähnlichkeiten sind doch bemerkenswert.
Sie glauben an eine fehlerhafte Übertragung der Wörter?
Ich denke, die Abweichungen bewegen sich im Rahmen der damals üblichen Kopistenfehler. Wollte man einen Text duplizieren, musste man ihn von Hand abschreiben – oder man schrieb nach Diktat. So schlichen sich Fehler ein. Außerdem haben Kopisten die Tendenz, Unverständliches durch Bekanntes zu ersetzen. Gallia war einem Syrer kein Begriff, aber vielleicht Galiläa. Corfinium, die erste Stadt, die Cäsar einnimmt, kennt der Kopist vielleicht nicht. Aber wohl Kapharnaum, die erste Stadt, in die Jesus kommt. Solche Umschreibungen können Fehler sein, aber auch Absicht: um eine Geschichte dem Leser und Zuhörer näher zu bringen. Das ist wie mit den „Sieben Samurai“, die später als Western verfilmt wurden.
Das sind doch alles keine Beweise, höchstens Indizien.
Darum habe ich geschaut, ob die Umschreibungen konsequent durchgeführt wurden. Ob es also bei jeder Cäsar’schen Belagerung im Evangelium einen Besessenen gab. Und tatsächlich: Es war so. Und man stößt auf weitere Wortähnlichkeiten. Wichtiger noch sind aber Übereinstimmungen in den Aussprüchen von Cäsar und Jesus.
Zum Beispiel „Veni, vidi, vici“ – „Ich kam, sah und siegte“. Daraus wird bei Jesus: „Ich ging hin und wusch mich und ward sehend.“ Denn „ich wusch mich“ und „ich siegte“ sind im Griechischen klanglich und schriftlich zum Verwechseln ähnlich: enikisa und enipsa. Auch andere Aussprüche Cäsars findet man bei Jesus. Zum Beispiel: „Wer auf keiner Seite steht, ist auf meiner Seite.“ Im Evangelium lautet er so: „Wer nicht wider uns ist, ist für uns.“
Sie haben also ähnliche Bilder, Biografien, Orte und Sprüche gefunden. Aber Jesus wurde gekreuzigt, Cäsar erstochen.
Cäsar wurde ermordet. Danach fand ein Prozess statt, der die Frage diskutierte, ob Cäsar ein Tyrann war oder nicht. Schließlich wurde er als Pontifex maximus bestattet. Üblich wäre gewesen, ihn als Wachsstatue in vollem Ornat darzustellen. Stattdessen zeigte man ihn liegend, mit seinen Wunden und der blutbefleckten Toga, und hängte die Wachsfigur an ein kreuzförmiges Siegesmal, ein Tropaeum. Als das Volk das sah, probte es den Aufstand und suchte nach den Mördern.
Die Geschichte von Jesus ist ganz ähnlich. Bei seiner Gefangennahme wurden Waffen gezückt, es gab Verletzte. Während des Prozesses sprach Jesus nicht. Nur einmal sagte er etwas, und zwar: „Du sagst es.“ Aber das heißt doch nur, dass er selbst nichts gesagt hat. Und das ist sehr auffällig. Jeder politische Gefangene nutzt doch seine Zeit, um zu reden.
Aber Jesus starb doch erst am Kreuz.
Gerade das halte ich für äußerst fragwürdig. Jesus hing dort mit einer Stichwunde unter der Brust. In einem Evangelium steht, der Täter heiße Longinus. Longinus, nämlich Cassius Longinus, hieß aber auch der Mann, der Cäsar den tödlichen Dolchstoß versetzt hat. Anscheinend wurde ja auch Jesus der Prozess postum gemacht. Und die Kreuzigung war nur die Aufhängung eines wächsernen Simulacrums. Im Koran steht deutlich, dass Jesus nicht gekreuzigt, sondern nur gezeigt wurde. Auch im Frühchristentum hat man noch nicht von Kreuzigung gesprochen.
Und wie halten Sie es mit Auferstehung und Himmelfahrt?
Um den toten Cäsar spinnt sich ein Kult, der Kult um Divus Julius. Der Sieg über die Cäsar-Mörder wurde theologisch als seine Wiederauferstehung verstanden. Die Tatsache, dass er zu Gott gemacht wurde, war Cäsars Himmelfahrt. Und aus all dem wurden die Evangelien. Nun muss Jesus ja immer wieder herhalten für große Theorien: Für die einen ist er homosexuell, für die anderen ein Frauenheld . . . Auch Cäsar wurden all diese Dinge nachgesagt.
Unterscheidet sich Ihre Lesart denn grundsätzlich von all den anderen?
Die anderen sind subjektiv. Sie sagen nur etwas aus über ihre Autoren und sind Ausdruck ihrer Verlegenheit. Weil sich anhand der Evangelien keine Biografie Jesu schreiben lässt, baut sich jeder seinen eigenen Jesus zusammen.
Wenn man Ihrer Theorie folgt, ist das nicht mehr möglich.
Eben! Darum stört meine Theorie so. Das ist wie mit den Hieroglyphen. Als eines Tages die Hieroglyphen entschlüsselt wurden, war das eine Katastrophe! Weil in den Salons ganz Europas Hieroglyphendeuter damit beschäftigt waren, diese allegorisch zu lesen. Sie hatten natürlich viel spannendere Entschlüsselungen zu bieten als die Wirklichkeit.
Wie reagieren gläubige Christen auf Ihre Theorie?
Sie gehen nicht darauf ein. Oder sie sagen, sie können damit leben, weil es für ihren Glauben keinen Unterschied mache, wer Jesus wirklich war. Andere sind verstört, weil sie erkennen, dass ihr Glauben auch ganz anders aussehen könnte. Vielleicht macht es die Erinnerung an den historischen Cäsar ja viel leichter, das Prinzip Nächstenliebe umzusetzen. Außerdem könnte man viele Katechismusstreitigkeiten ad acta legen und dem Islam wieder näher rücken.
Bislang wird Ihre Theorie allerdings nicht besonders ernst genommen.
Stimmt. Man wittert Blasphemie. Cäsar war schließlich ein Mensch, der zu Gott gemacht wurde, nicht umgekehrt. Manche Buchhändler weigern sich darum, das Buch auszustellen. Andere werden von Kunden terrorisiert, die das Buch verurteilen, ohne es gelesen zu haben. Ein Redakteur, der das Buch als Dokumentation verfilmen wollte, hat Ärger mit seiner Redaktion bekommen. Es gibt Professoren, die erklärt haben, meine Arbeit sei hervorragend, aber zugleich nicht in die Danksagung aufgenommen werden wollten.
Leiden Sie darunter?
Ich kann damit leben. Meine Forschungen habe ich aus Neugier betrieben und mir viele Nächte damit um die Ohren geschlagen. Ich habe meine Firma aufgegeben, um das Buch schreiben zu können. Natürlich ist Applaus das Brot des Künstlers. Ich freue mich deshalb über alle, die das Buch gut aufnehmen und dankbar sind für diese Erweiterung ihres Horizonts.
Und wie geht es für Sie weiter?
Ich stelle meine Thesen in verschiedenen Sprachen ins Internet (www.carotta.de). Außerdem will ich weiter zum Thema forschen. Vielleicht komme ich auch einer Bitte nach, die viele an mich richten, und schreibe einen Roman darüber. Aber das wäre dann ja wieder nicht die Wirklichkeit, sondern pure Fiktion.
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