: Martin Luther ist schuld
Barbara Vinken möchte das Rätsel lösen, warum in Deutschland unmöglich ist, was anderswo für Frauen als normal gilt: Kinder und Karriere zu haben. Ein Gespräch mit Vinken über ihr Buch „Die deutsche Mutter“ und die fatale These, Mütter seien die letzten Garanten einer humanen Gesellschaft
von BRIGITTE WERNEBURG
Es ist das Buch zum beginnenden Wahlkampf. Schließlich sei, wie sich eine Rezensentin ereifert, die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken mit ihrer Publikation „Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos“ auf „Krawall“ aus. In der gegenwärtigen verfahrenen Situation freilich, so möchte man meinen, lässt das doch hoffen. Krawall wäre das Wenigste, was nötig ist.
Nirgendwo in Europa, das ist der Ausgangspunkt für die Untersuchung der Professorin für Romanistik an der Universität Hamburg, stellt sich die Situation berufstätiger Mütter als so schlecht heraus wie in Deutschland. Nach der Wiedervereinigung gilt das auch für die neuen Bundesländer, in denen das noch zu DDR-Zeiten ganz anders war. Interessanterweise sind in Ländern wie Frankreich, Dänemark oder Norwegen, wo die Erwerbsquote der weiblichen Bevölkerung bei über 70 Prozent liegt, auch die Geburtenraten am höchsten, während Deutschland mit einer Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau und einer Erwerbstätigkeit von knapp über 50 Prozent weit abgeschlagen rangiert.
Wenn in Deutschland junge Paare zunehmend darauf verzichten, überhaupt Kinder zu bekommen, dann liegt das Problem nicht nur bei der Frage, inwieweit beide Partner sich die Kindererziehung teilen und welche Unterstützung sie dabei von Seiten des Staates und des Arbeitgebers erhalten. Das Problem liegt im fast völligen Fehlen staatlich unterhaltener, ganztägiger Kinderbetreuung, und es liegt in der Ablehnung von fremder Kinderbetreuung überhaupt.
„Für meine französischen wie für meine amerikanischen Freundinnen“, sagt Barbara Vinken an einem der ersten warmen Tage im Garten des Café Einstein, „ist es vollkommen normal, Kinder und eine Karriere zu haben. Das ist für sie absolut selbstverständlich, dass das zwei zu vereinbarende Sachen sind. Die Französinnen bekommen die Kinder früh und lassen sie in den staatlichen Einrichtungen betreuen. In Amerika bekommen die Frauen die Kinder erst spät. Wenn klar ist, dass ihre Karriere gesichert ist und so viel Geld da ist, dass man ein Kindermädchen anstellt.“
In Deutschland dagegen möchte die Politik eher auf die bezahlte Hausarbeit der Mutter setzen als auf das bezahlte Kindermädchen. Und schon jetzt setzt sie auf den Halbtagsjob der Mutter statt auf die Ganztagsschule, und auf den Erziehungsurlaub statt auf die Kinderkrippe. Doch das Merkwürdige dabei ist: Eigentlich sind alle mit diesem Zustand einverstanden. Besser: Alle wären damit einverstanden, stellte sich nicht heraus, dass die Geburtenrate so auf ihrem historischen Tiefstand bleiben wird. Und stellte sich nicht heraus, dass Deutschland im Vergleich zu allen anderen Industrienationen beschämend rückständig und unterquotiert da steht, was hoch qualifizierte Frauen in den entsprechenden beruflichen Positionen angeht. Was also tun? Zwar gab es das Modell der Kinderkrippe in der DDR, wo die Frauen folgerichtig auch mehr Kinder bekamen als im Westen. Doch dieses Modell wurde nach der Wende sang- und klanglos aufgegeben.
„Das lässt sich nur so erklären, dass die meisten es nicht wollten. Aber interessanterweise ist das nicht sagbar, dass dieses Modell nicht gewollt ist. Um zu sagen, was man will, bedürfte es des Umschwenkens in einen ganz anderen Diskurs, der ideologietechnisch nicht mehr zugelassen ist. Denn da definiert die Bevölkerung Emanzipation durchgängig so, dass beide Partner gleiche Chancen nicht nur im Sex, sondern auch im Beruf haben sollen. Doch dann ziehen die Frauen die Kinder wieder im Haus auf, arbeiten halbtags und geben ihre Berufschancen auf. Das ist die Realität, aber das sagt niemand.“
Anders als bei den Männern, die Ganztagskindergärten und überhaupt der kollektiven Kleinkinderbetreuung gegenüber relativ aufgeschlossen sind, ist die Skepsis, so steht es bei Vinken zu lesen, „der westdeutschen Mutter gegenüber der Kinderkrippe grenzenlos“.
In Deutschland, wo die Frau als verheiratete Mutter so gut wie alles aufgibt, was ihr Leben bisher ausmachte, muss die Kinderbetreuung rund um die Uhr dann wenigstens das allein selig machende Programm sein. Sonst wäre der Verzicht auf finanzielle Unabhängigkeit bei weiterer Berufstätigkeit ja eigentlich dumm. Wenn die Politiker also die Ganztagsschule als Wahlkampfthema entdecken, ist diese Entdeckung womöglich gar kein siegreiches Thema?
„Ich fürchte, ja. Das ist das Paradox, das Rätsel, das mein Buch lösen möchte. Warum ist das, was bei den anderen Müttern in Europa selbstverständlich ist, bei uns ein Ding der Unmöglichkeit? Da ist natürlich davon auszugehen, dass es um Mentalitäten geht, die in der longue durée angesiedelt sind. Man kommt nicht darum herum, nach Langzeiteinflüssen zu suchen.“
Deutscher Sonderweg
So wird in Vinkens historischer Recherche ein ideologisches Konstrukt kenntlich, das sie „die deutsche Mutter“ nennt. Und was diese auszeichnet, kann man im Spiegel der letzten Woche nachlesen, wo der Verfasssungsrechtler Paul Kirchhof sagt, dass „Mütter, nicht Manager und nicht Minister, die letzten Garanten einer humanen Gesellschaft“ seien. Womit Kirchhof formuliert, was kaum eine ihrer bisherigen Leserinnen Vinken wirklich abnehmen wollte, nämlich ihre These vom deutschen Sonderweg. Denn selbstverständlich ist die Äußerung Blödsinn. Es ist aber ein Blödsinn, der in Deutschland Tradition hat. Ihr Ausgangspunkt findet sich bei Luther, für den es außerhalb der Ehe kein Heil gab und der den weiblichen Existenzweisen jenseits von Mutterschaft und Ehe, die der Katholizimus noch kannte und anerkannte, ein Ende machte. Es ist heute verblüffend, über eine katholische Spiritualität zu lesen, in der Jesus als stillende Mutter bezeichnet wird. Mütterlichkeit, die als geistige Mütterlichkeit im Katholizismus auch Männern zukam, wurde bei Luther aufs platte Gebären reduziert. „In Deutschland sind wir in einer paradoxen Situation. Die Katholiken sind schon von einer solchen Selbstkritik erfüllt, dass sie schon gar nicht mehr wagen, was zu sagen. Während die Protestanten Kritik eigentlich nicht richtig gewöhnt sind, weil sie ja immer schon so selbstkritisch sind. Und die in protestantischer Tradition Stehenden denken immer, dass sie auf der Seite der Emanzipation und des Fortschrittes sind. Gut, die katholische Kirche hat sich hier auf diesen Sex-Diskurs spezialisiert und sich in eine Verliererposition manövriert, die absolut selbstmörderisch ist. Aber historisch ist es so, dass der Protestantismus in Deutschland zu einer absoluten Normierung und Normalisierung von Frauen geführt hat und die Frauen auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter festgenagelt hat. Und das war im Katholizismus absolut nicht so.“
Welt und Müttergeist
Zwangsläufig musste die geistige Mütterlichkeit doch wiederkehren. Nun aber im politischen Gewand. Und so arbeitete Heinrich Pestalozzi mit Unterstützung seiner Anhängerin, der preußischen Königin Luise, an der Vermütterlichung des hoffärtigen Adels, was diesen gleichzeitig verbürgerlichte und eine Revolution überflüssig machte. Am Müttergeist konnte eben die Welt genesen. Tatsächlich profilierte sich die deutsche Politik als Politik deutscher Mütterlichkeit gegen die Französische Revolution. „Die Mutterliebe steht gegen den kalten Buchstaben des Vertrags. Und ist damit gegen Frankreich gerichtet.“
Noch Ina Seidels Bestseller von 1930, „Das Wunschkind“, führt dieses Motiv als Kampf zwischen der französischen Eva, der ewigen Verführerin, die mit dem Sex den Tod über die Menschen bringt, und der deutschen Mutter Maria um deren Sohn Christoph fort. Das xenophobe wie misogyne Lob der Mutter auf Kosten der Frau hat Tradition. Heute verkörpert, so liest man bei Vinken, nicht mehr eine verräterische französische Eva das Bedrohliche der Welt, sondern eher Tschernobyl. Und im grünen Müttermanifest nimmt nun die Karrierefrau (die womöglich, gerade in dieser Partei, Ministerin [!] werden könnte) die Stelle der aristokratischen Rabenmutter ein. Denn ausgemacht gilt, „dass man als Mutter per se, gewissermaßen natürlich, ein guter Mensch ist, ein besserer Mensch. Texte wie das Müttermanifest verstellen eine Offenheit der Diskussion, indem sie sehr normativ den Müttern das Gutmenschentum zuweisen.“
Wenn man schließlich erfährt, dass sich die modernen Mütter schon in der Weimarer Zeit nicht nur für die moralische, sondern auch für die biologische Verbesserung des Menschengeschlechts zuständig fühlten, dann kommt einem die aktuelle Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik in den Sinn. In Deutschland scheint man sich nun ziemlich schnell auf ihr Verbot einigen zu wollen. Hat das auch etwas mit dem Gutmenschentum zu tun?
„Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass diese ganze Angst und Ablehnung in Deutschland mit den eugenischen Experimenten in der Nazizeit zusammenhängen. Die Verbesserung des Menschengeschlechts durch Mütterlichkeit, das ist auch in den skandinavischen Ländern durchaus einschlägig gewesen. Das ist der Weg, der in Dänemark zum Zug kam. Dänemark ist eine vermütterlichte Gesellschaft geworden, die unter dem neuen Stern der geistig-biologischen Mutterschaft antrat. In Deutschland haben das die Nazis gestoppt und die Mutter in diesen pseudoreligiösen Rassenkult gesteckt, weg aus der Politik und weg aus der Gesellschaft.“
Starker Mutterkult
Die Familie wird dann im Volkskörper aufgelöst, die Kinder gehören nicht mehr den Eltern, sie gehören dem Volk. Aber in Frankreich ist es doch auch der Staat, der sich umfassend der Kindererziehung annimmt? „Ich würde sagen, Frankreich ist eine familienorientierte, relativ stark patriarchalische Gesellschaft geblieben, obwohl die Republik die Kinder nimmt. Dass die Gesellschaft sich um die Kindererziehung kümmert, hat interessanterweise am Status der französischen Familie nicht wesentlich was geändert. Der Staat finanziert auch nie die Ehe. Er privilegiert immer die Kinder. Aber in Frankreich haben die Leute das Gefühl, dass sie noch immer die Wahl zwischen diesen beiden Großformationen Republik und Kirche haben, wodurch das Machtgefälle nicht so stark erscheint. In Deutschland ist der Nazipakt ein Pakt zwischen Söhnen und Müttern gewesen. Eine antipatriarchalische Veranstaltung, die den Vater extrem geschwächt hat. Petain war der Vater der Nation, Hitler natürlich nicht. Wir haben es hier mit einer Brüderhorde, mit einer starken Mutterposition zu tun.“
Gleichzeitig schränkten die Nazis das Frauenstudium ein. Ab 1936 wurden Juden und Frauen aus dem Staatsdienst entfernt, es gab keine Professorinnen, Richterinnen oder Staatsanwältinnen mehr. Wenn sich heute erweist, dass alle Länder mit einschlägiger faschistischer Vergangenheit – Deutschland, Japan, Italien, Österreich und Spanien – die niedrigsten Geburtenraten weltweit aufweisen, könnte das allerdings darauf hinweisen, dass der Mutterkult der jüngsten Vergangenheit doch stärker nachwirkt als Mentalitäten der longue durée.
Barbara Vinken: „Die deutsche Mutter.Der lange Schatten eines Mythos“.Piper Verlag, München 2001,368 Seiten, 44 DM
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