piwik no script img

Diepgen verweigert die Brust

Justizverwaltung trennt inhaftierte Mutter von ihrem Neugeborenen. Stillen ist unmöglich. Verbände des Strafvollzugs und der Anwaltschaft kritisieren Justizsenator Eberhard Diepgen (CDU) scharf

von PLUTONIA PLARRE

Eine 17-jährige Vietnamesin, die in Untersuchungshaft sitzt, wurde am Mittwoch kurz nach der Entbindung von ihrem Kind getrennt. Die Frau hatte in einem öffentlichen Krankenhaus eine Tochter zur Welt gebracht. Vier Stunden nach der Geburt musste sie ohne ihr Kind in die Frauenhaftanstalt Lichtenberg zurückkehren. Das Baby blieb auf der Säuglingsstation. Das bestätigte gestern Justizsprecher Sascha Daue. Die Mutter darf ihr Kind nun lediglich im Rahmen von Ausführungen besuchen. Es in ausreichendem Maße zu stillen ist somit unmöglich. Mit Empörung und Unverständnis haben Verbände des Strafvollzugs und der Anwaltschaft gestern auf die Trennung von Mutter und Kind reagiert.

Trotz des zunehmenden öffentlichen Drucks konnte sich die Justizverwaltung – an deren Spitze als Senator Eberhard Diepgen (CDU) steht – bis Redaktionsschluss nicht dazu durchringen, das Kind zusammen mit der Mutter in der Frauenhaftanstalt aufzunehmen. Es würden derzeit allerdings Gespräche mit dem Jugendamt Steglitz-Zehlendorf geführt, das Vormund der minderjährigen Mutter ist, sagte Justizsprecher Daue. Gestern Morgen hatte es noch geheißen, der Säugling werde bis auf weiteres in einem Kinderheim untergebracht.

Der Vorsitzendende der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, Rüdiger Portius, hat dem Regierenden Bürgermeister und Justizsenator Diepgen gestern vorgeworfen, mit einer Verschleppung der Entscheidung Tatsachen zu schaffen. „Mutter und Kind müssen rund um die Uhr zusammen sein können, egal wo“, forderte Portius. Wenn die Vietnamesin nicht aus der Haft entlassen werden könne, müsse eben eine Doppelzelle im Gefängnis frei gemacht oder eine Wand durchbrochen werden. Auch der Berliner Vollzugsbeirat hat Diepgen gestern aus gesundheitlichen und rechtlichen Gründen aufgefordert, „unverzüglich“ für die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind zu sorgen.

Nach dem Strafvollzugsgesetz sind besonders ausgestattete Haftplätze zur Unterbrigung von Müttern mit Kindern in den Justizvollzugsanstalten der Länder Vorschrift. Diese Vorgabe wird in Berlin aber seit geraumer Zeit schlichtweg negiert. Der Mutter-Kind-Bereich ist nach dem Umzug des Frauengefängnisses von Charlottenburg nach Lichtenberg und Pankow 1998 wegen angeblicher Ineffizienz und mangelnder Auslastung stillschweigend abgeschafft worden. Dies wird von der Justizverwaltung allerdings bestritten. „In Einzelfällen und nach Prüfung des Einzelfalls“ sei einer Unterbringung von Mutter und Kind nach wie vor möglich, heißt es.

Die Vietnamesin sitzt seit September wegen versuchten Mordes im Zigarettenhändlermilieu in Untersuchungshaft. Dass sie schwanger ist, ist der Justizverwaltung schon lange bekannt. Der Anwalt der Vietnamesin, Jasper Graf von Schlieffen, hatte kurz vor Ostern den Verdacht geäußert, dass es beschlossene Sache sei, das Kind in einer Pflegefamile unterzubringen. Die Justizverwaltung dementierte dies mit dem Hinweis, die Frage der Unterbringung sei noch offen. Bei der Prüfung müsse die lange Untersuchungs- und Strafhaft der Mutter mit einbezogen werden. Damit, dass das Kind eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommen und somit ganz schnell Handlungsbedarf bestehen könnte, hat bei der Justizverwaltung offensichtlich niemand gerechnet.

Anwalt von Schlieffen sagte gestern, seine Mandantin habe nur einen Wunsch: „Sie will zu ihrem Kind.“ Von Schlieffen hat schon vor Tagen eine Beschwerde beim Landesverfassungsgericht eingereicht. Rechtsanwältin Ulrike Zecher, die eine mitangeklagte Vietnamesin vertritt, verweist auf die zynische Begründung, mit der das Kammergericht im März eine Haftverschonung der Hochschwangeren abgelehnt hat: „Es ist nicht selten, dass Menschen unter den Folgen der Delinquenz ihrer Angehörigen leiden müssen. Das Kind wäre bei einer Trennung von der Mutter nicht notwendigerweise schlecht aufgehoben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen