: Damit die Aktenberge wachsen
„Sie als Ostdeutsche verstehen doch, dass Sie keinen Anspruch haben“, sagen ihr die Anwälte des Landes Brandenburgs. Die Beweislast dafür liegt bei ihr
Protokoll: BETTINA GAUS
Demnächst findet gegen mich ein Prozess vor dem Landgericht statt. Das Land Brandenburg hat auf Herausgabe eines Grundstücks geklagt. Ich weiß nicht einmal, wo das Grundstück liegt. Ich bin nicht im Grundbuch eingetragen, ich habe keinen Anspruch darauf, und ich will es auch gar nicht haben. Aber der Prozess muss trotzdem stattfinden. Die zuständigen Leute vom Gericht haben mir erzählt, dass derzeit viele solcher Prozesse stattfinden. Das hängt mit dem Ablauf einer Frist zusammen.
Bei mir liegt der Fall so: Mein Großvater war nach dem Krieg Bürgermeister in einem Ort bei Berlin. Die Ernährungssituation war 1946 bekanntlich schwierig, und mein Großvater hat deswegen Bodenreformland bekommen. Nach ungefähr einem Jahr fing er dann wieder an, in seinem normalen Beruf als Ingenieur zu arbeiten, und der Familie ging es besser. Das Land wurde nicht mehr bearbeitet und geriet in Vergessenheit. Ich wusste von all dem nichts.
Im Mai letzten Jahres bekam ich einen Brief zugestellt. Der sah sehr offiziell und umfangreich aus. Er bestand aus einem Vordruck von drei oder vier Seiten. Ich habe den bis heute nicht zu Ende gelesen. Bei solchen Schreiben bekomme ich immer das große Gähnen. Da stand drin, ich sei der Erbe von Bodenreformland und ich solle einen Erbschein vorlegen für meine vor elf Jahren verstorbene Mutter und verschiedene Kästchen ankreuzen. Ich solle beweisen, dass ich für dieses Bodenreformland erbberechtigt bin. Das ist man nur, wenn man selber mindestens zehn Jahre in einer LPG oder einer GPG, also einer Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft, gearbeitet hat. Ich glaube, es gibt noch einen Grund, aber den habe ich vergessen. Also, man muss irgend einen Boden bearbeitet haben. Dann kann man das Land behalten. Wenn das nicht der Fall ist, hat man gar keinen Anspruch und muss das erklären.
Alle waren im Urlaub
So. Bis dahin hatte ich nichts von diesem Grundstück gewusst. Da der Brief so karg war, wusste ich nichts damit anzufangen. Ich dachte erst, er beziehe sich auf das Grundstück, auf dem das Haus meiner Großeltern stand und das wir schon vor 15 Jahren verkauft hatten. Es dauerte eine Weile, ehe ich die Leute durchtelefoniert hatte, die mir den Brief geschrieben hatten. Wie das immer so ist: Alle waren gerade im Urlaub, und niemand wusste genau Bescheid. Mir wurde nur gesagt: „Ja, ja, wir haben jetzt viele dieser Briefe verschickt. Wir sind dabei, die Grundbücher zu durchforsten, und da steht Ihr Großvater drin.“
Nach vielem Hin und Her bekam ich dann heraus: Mein Großvater hatte diesen Grundbucheintrag nie löschen lassen. Also gehörte ihm bzw. seinen Erben faktisch noch dieses Land. Ob das inzwischen Bauland ist oder immer noch ein Acker, weiß ich bis heute nicht. Das Grundstück hat einen Flurnamen, aber damit kann ich nichts anfangen. Man könnte sich ja kümmern, wenn man sich interessieren würde. Aber es hat mich nicht interessiert, und ich wusste ja, dass ich keinen Anspruch habe.
Ich habe also den Brief beantwortet und geschrieben, dass ich bisher nichts von dem Land gewusst habe, nie in einer LPG gearbeitet habe und deswegen auch nicht erbberechtigt bin. Ich habe auch keinen Erbschein, aber da ich ohnehin nicht erbberechtigt bin, brauche ich den ja wohl auch nicht vorzulegen. Für mich war die Sache damit erledigt.
Drei Wochen später kam der nächste Brief. Darin stand, ich solle bitte sagen, wo sich dieses Grundstück befindet und was damit passiert ist. Ich habe wieder geantwortet, dass ich von dem Grundstück nichts weiß und keine Ahnung habe, was damit passiert ist. Damit ist die Angelegenheit jetzt aber wirklich erledigt. Dachte ich.
Zunächst tat sich auch gar nichts mehr, bis Oktober. Dann bekam ich einen Brief persönlich zugestellt, ganz förmlich – so etwas habe ich überhaupt noch nie erlebt. Ein Herr übergab ihn mir, nachdem ich eine Unterschrift geleistet hatte. Das Schreiben entpuppte sich als Vorladung zu einem Gerichtstermin. Das Land Brandenburg hat mich auf Herausgabe des Grundstücks verklagt. In der Klage steht übrigens auch, dass ich keinen Anspruch auf das Land habe. Das habe ich nie bestritten, trotzdem werde ich verklagt.
Diese Sonderregelung für Bodenreformland ist nämlich im Jahr 2000 verjährt. Deswegen wurde mir der Brief im Oktober zugestellt, denn danach wäre ich wieder erbberechtigt gewesen. Dann hätte das Land Brandenburg das Grundstück verloren. Für Bodenreformland gab es diese Sonderregelung, dass man das Land nur erben kann, wenn man es bearbeitet. Was ich eigentlich einen ganz vernünftigen Grundsatz finde und wogegen ich auch gar nichts hätte. Aber nach diesem Stichtag hätte ich wieder einen Anspruch auf das Land gehabt. Da ich aber vor diesem Zeitpunkt ja bereits erklärt hatte, dass ich nicht erbberechtigt bin, ist das eine reine Formalität.
Wie ich später erfuhr, hätte ich diese Erklärung vor einem Notar abgeben müssen. Das Land Brandenburg hat im Zuge der Grundbuchprüfung – für die es zehn Jahre Zeit hatte – festgestellt, dass etliche Fälle offen sind. Um die Frist nicht verstreichen zu lassen, sind kurz entschlossen Gerichtstermine angesetzt worden zur Herausgabe des Landes. Das müssen sehr viele Fälle sein, denn alle Leute, mit denen ich gesprochen habe, waren total überlastet.
Nach dieser Vorladung war ich ein bisschen durcheinander. Wie alle ordentlichen Deutschen habe ich einen gewissen Respekt vor solchen Gerichtssachen, vor allen Dingen, weil ich sie nicht verstehe. Ich habe auch diese Klageschrift nicht verstanden. Ich wusste nicht, worum es geht oder was ich falsch gemacht habe. Dann habe ich wieder verschiedene Stellen angerufen und damit sehr viel Zeit verbracht.
Unter anderem habe ich das Gericht angerufen. Das erklärte sich aber für nicht zuständig. Die Leute dort meinten, ich solle die Firma anrufen, die damit beauftragt war, diese Sachen zu klären. Das ist eine Anwalts- und Notarkanzlei. Ich könnte mich aber auch gleich an die Anwaltskanzlei wenden, die diesen Prozess im Namen des Landes Brandenburg führen wird. Das habe ich getan und versucht, denen klarzumachen: Wenn ich Lotto spiele und die Zahlen nicht treffe, muss ich doch eigentlich nach gesundem Menschenverstand nicht den Lottoschein vorzeigen, um zu beweisen, dass ich nichts gewonnen habe.
Der vollständige Weg
Aber die sagten, es ist alles ganz anders. Man muss nach deutschem Recht und deutscher Bürokratie erst mal den ganzen Weg vollständig ausgestalten. Wir müssten jetzt diesen Grundbucheintrag, der noch auf meinen Großvater lautet, den müssten wir komplettieren, indem wir mich als Erbin eintragen, um dann vor einem Notar zu erklären, dass ich nicht anspruchsberechtigt bin. Die Kosten würde das Land Brandenburg übernehmen. An dem Punkt war ich dann so weit zu sagen: Mittlerweile überlege ich mir, ob ich das Land nicht doch haben will – ein Grundstück heutzutage, und wenn alle so hinterher sind, muss ja irgendwas dran sein. Da wurden sie ganz hektisch. Und sagten: Das brauchen Sie gar nicht erst zu versuchen. Die Leute aus dem Westen versuchen das alle, die verstehen nämlich die Vorschriften nicht. Aber Sie als Ostdeutsche, Sie verstehen das doch, dass Sie eigentlich gar nicht anspruchsberechtigt sind.
Danach war ich nun richtig interessiert, zugleich aber wollte ich die ganze Sache nach wie vor vor allem vom Hals haben. Deswegen habe ich gefragt, was ich denn nun tun solle. Ich hätte keine Lust, mir nun auch noch einen Rechtsanwalt zu nehmen. Dazu bin ich aber nach dieser Klageschrift verpflichtet. Ein Anwalt muss mich vor Gericht vertreten, und außerdem bin ich verpflichtet, persönlich zu erscheinen. Die Kosten für meinen Anwalt würde das Land Brandenburg übernehmen, hat man mir in dieser Anwaltskanzlei gesagt. Ich finde es zwar irgendwie nicht logisch, dass die gegen mich prozessieren und dann meinen Anwalt zahlen, wenn ich den Prozess verliere, aber – na schön. Es würde mich also wenigstens nichts kosten. Außer Zeit und Nerven.
Dann habe ich gefragt, ob man das nicht abkürzen kann, denn ich verweigere ja gar nichts. Ich habe von Anfang an gesagt: Das ist nicht meins, ihr könnt es behalten. Wieso soll dann der Prozess angesetzt werden? Das kostet doch auch alles Geld. Dazu sagten sie: Ja, es gibt noch eine Möglichkeit. Ich soll zu dem Prozess einfach nicht erscheinen. Dann ergeht gegen mich ein Versäumnisurteil, aber die Strafe bräuchte ich nicht zu bezahlen. Das übernimmt auch das Land Brandenburg, denn das Land hat ja dann, was es wollte. Das haben sie mir sogar schriftlich gegeben.
Das erschien mir aber nun ein bisschen merkwürdig. Wenn die bis dahin alles so genau nehmen, dann kann das nicht plötzlich so einfach sein. Da habe ich mir lieber doch einen Anwalt genommen. Nun muss ich also zu dem Termin hin. Irgendwie glaube ich, danach ist die Angelegenheit immer noch nicht abgeschlossen. Denn jedes Mal, wenn ich dachte, nun ist es vorbei, kam eine höhere, noch viel absurdere Stufe.
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