: Wahl in einem gespaltenen Ort
Im montenegrinischen Städtchen Kolasin ist die Bevölkerung in der Frage der Unabhängigkeit zutiefst zerstritten. Die Mehrheit der Projugoslawen wackelt
KOLASIN taz ■ Kolasin liegt in einem Hochtal, umgeben von den „Schwarzen Bergen“ Montenegros. Früher war das 4.600 Einwohner zählende Städtchen ein bekannter Wintersportort. Holzverarbeitung gibt es hier, ein Aluminiumwerk. Die den Stadtkern umgebenen Einfamilienhäuser zeigen den bescheidenen Wohlstand vergangener Zeiten an.Es ist ruhig in Kolasin – und das trotz der Parlamentswahlen, bei denen es letztendlich um die Unabhängigkeit des Landes von Serbien geht. Im Falle eines Sieges will die Regierungskoalition unter Präsident Milo Djukanović nämlich ein Referendum über diese Frage durchführen.
Noch vor zwei Jahren kam es in Kolasin zu Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen. Die Mehrheit steht in Opposition zur Regierung Montenegros, sie stützte noch vor Jahresfrist Slobodan Milošević, den damaligen jugoslawischen Präsidenten. Von der Unabhängigkeit Montenegros wollen die Proserben hier im Ort nichts wissen. Nach der Wahl von Djukanović zum Präsidenten Montenegros 1997 kam es sogar zu einer Spaltung der Stadtverwaltung. Plötzlich gab es zwei Feuerwehren, zwei Verwaltungen. Die Gräben sind tief, die damals aufgerissen wurden.
Inzwischen habe sich die Lage etwas beruhigt, sagen Aktivisten der „Demokratischen Partei der Sozialisten“ ( DPS ), die hinter „ihrem“ Präsidenten stehen. Dass die beiden Gruppen wieder miteinander reden, hinge auch damit zusammen, dass die überall präsente Polizei fest in der Hand der Regierung ist. Und dass mit den begonnenen Wirtschaftsreformen die Macht der alten Kommunisten gebrochen werde, die sich 1997 hinter Momir Bulatović, dem Freund Milošević’, in der SNP ( Sozialistischen Volkspartei) gesammelt hatten. Der die Regierung unterstützende Dragan Begović verspricht, dass die Stadt bei einem Wahlsieg seiner Partei „verschönert“ werde, dass man wieder um Touristen werben wolle und die Privatisierung der Holz verarbeitenden Betriebe vorantreiben würde. Der alte Bürgermeister von der „Sozialistischen Volkspartei“ habe das Budget der Stadt vor allem dafür verwandt, seine Anhänger zufrieden zu stellen. „Damit wird jetzt Schluss sein. Wir wollen endlich eine funktionierende Gemeindeverwaltung.“
Die Unabhängigkeit des Landes erwähnt er kaum. Sie ist für den 50-jährigen Ingenieur eine selbstverständliche Voraussetzung für die Zukunft Montenegros. Auch der neue Präsident Jugoslawiens, Vojislav Koštunica, führe die alte Politik Serbiens gegenüber Montenegro fort. Und die bestehe eben nun einmal darin, Dominanz auszuüben. „Wir müssen über unsere Zukunft selbst entscheiden können.“
Mile Suković, der ebenfalls etwa 50-jährige Vorsitzende der Volkspartei, geht davon aus, dass sich bei den Wahlen nichts an den Mehrheitsverhältnissen ändert. Die Djukanović-Leute würden die Wahl manipulieren. „Warum dürfen die 200.000 Montenegriner, die in Serbien leben und arbeiten, nicht mitstimmen, Flüchtlinge aus dem Kosovo, wie die 5.000 Roma, die in Montenegro aufgenommen wurden, aber doch?“ Suković kann seine Erregung kaum zügeln. „Ich bin ein wirklicher Montenegriner, meine Familie lebt hier seit Jahrhunderten, jetzt muss ich mir dies ansehen.“ Wahlbetrug würde die SNP nie hinnehmen. „Unsere Zukunft liegt in einem Zusammengehen mit Serbien.“ Über die Rechtmäßigkeit der Wahlen wachen 3.000 Beobachter.
ERICH RATHFELDER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen