piwik no script img

Gekrauste Kameraden

Zu Besuch im weltweit einzigen Suppenhaar-Museum von Vardemünden

Die 40 Berufsjahre als Kellner in der Bahnhofsgastronomie haben bei Reginald von Chossy (73) Spuren hinterlassen: „Meine Füße sind kaputt, und die Verdauung ist auch hinüber.“ Letzteres ist deutlich zu riechen. Ständig entstreichen dem Rentner unkontrollierbare Darmwinde. Eine Berufskrankheit sei das, eine Folge zahlloser schneller Mahlzeiten, die er sich jahrelang während der Arbeitszeit und „oft bloß im Stehen, so huschhusch zwischendurch“ einverleibt hatte. Chossy hatte uns vorher gewarnt. Er könne gegen „die verdammte Pupserei“ nichts machen. „Schreiben Sie das ruhig. Dann wissen das die Leute schon mal, falls sie mich besuchen.“

Das aber sollten die Leute auf jeden Fall tun. Es gibt da schließlich noch eine weitere Hinterlassenschaft aus Chossys Kellnerjahren, wegen der sich ein Abstecher in seinen Wohnort Vardemünden immer lohnt: sein Suppenhaar-Museum. Eine weltweit einzigartige Sammlung von Haaren vor allem, die sich in Suppen fanden, und sonstigen Unappetitlichkeiten, die keiner gern aus seinen Mahlzeiten fischt. Über 2.300 solcher unfreiwilligen Essensbeigaben hat er seit 1962 eigenhändig zunächst, später dann mithilfe von Kollegen und Betroffenen gesammelt. In durchsichtige Kunstharzquader gegossen, hat er sämtliche Fundstücke für die Nachwelt konserviert und jetzt erstmals in einer Auswahl im Keller seines Hauses zur Besichtigung freigegeben.

Jedes Exponat ist mit einem Beizettel versehen, auf dem Chossy penibel Fundort und -datum sowie eventuelle Besonderheiten vermerkt hat. So kann man dem Zettel eines scharfkantigen, grob verhornten Zehennagels entnehmen, dass dieser am 22. August 1976 in der Küche der Gaststätte „Bei Mutti“ in Bebra „wohl versehentlich“ in eine Ochsenschwanzsuppe geriet und von einem Gast verschluckt wurde. Als Anmerkung liest man: „Gast, trotz Notoperation, an innerer Blutung verstorben.“ Neben einem anderen Schaustück, einer halb verwesten Maus, ist angegeben: „Maus in Käsesahnetorte. Fundort: Raststätte ‚Zur alten Vogtei‘ in Harnwegbüchen. Wirt wurde deshalb Konzession los. Selbstmord.“

Derart folgenschwere Funde bilden jedoch die Ausnahme in Chossys Sammlung. Tatsächlich sind es überwiegend jene sprichwörtlichen Haare in der Suppe, die das Gros der Ausstellung ausmachen. Chossy schätzt, dass schon er allein während seiner Kellnerzeit rund 50 Haare von den Tellern und aus den Terrinen seiner Gäste fingern musste. „Den meisten Ärger gab’s immer bei Schamhaaren“, erinnert er sich. In seiner Ausstellung präsentiert er einige dieser gekrausten Kameraden, von denen man noch nicht mal einen in seiner Duschwanne vorfinden möchte, geschweige denn in einer leckeren Hühnerbouillon. Dutzendfach nebeneinander aufgereiht, erkennt man allerdings erst, über welch große farbliche und formale Bandbreite das menschliche Schamhaar verfügt. Für eingehendere Studien hält Herr von Chossy Lupen bereit. Nasenhaare, ihrer typisch drahtenen Konsistenz wegen leicht zu identifizieren, sind gleichfalls mehrfach in der Sammlung vertreten. Als besonders eindrucksvoll erweist sich dabei ein Exemplar, an dessen Krusten ein gelblicher Schnupfenrest noch haftet. Mithilfe der Lupe sind gar blutige Schlieren darin zu erkennen.

Auch sein allererstes Sammelstück hat Chossy ausgestellt: Ein gut 20 Zentimeter langes, schwarzes Frauenhaar, das er laut Beizettel am 21. August 1962 in der Kieler Bahnhofsgaststätte aus der Rindsroulade eines Gastes zog. Der stürmte daraufhin in die Küche, wollte unbedingt wissen, von wem das Haar stammt. Schnell ward eine hübsche dunkelhaarige Küchengehilfin ermittelt. Zehn Monate darauf nahm sie jener Gast zur Frau. Reginald von Chossy hat ihr Hochzeitsfoto neben das Haar in die Vitrine gelegt.

Es war diese nette Begebenheit, die den Kellner anregte, fortan alles zu sammeln, was sich an den Köchen vorbei ins Essen schmuggelte; wobei Chossy keineswegs ausschließen will, dass nicht der ein oder andere Gegenstand vom Personal absichtlich beigemengt wurde. „Man kriegt da manchmal so einen richtigen Hass auf manche freche Gäste“, rechtfertigt er das. Er selbst habe immerhin einmal in ein Essen gespuckt, bevor er es servierte. Ob auch ein Haar von ihm in der Ausstellung vertreten sei? Ja, er habe da eins in Verdacht. „Vielleicht“, so überlegt er, „sollte man das mal durch einen dieser Gentests überprüfen.“ Sagt’s und lässt, seine Idee gleichsam unterstreichend, deutlich vernehmbar mal wieder einen fliegen. FRITZ TIETZ

Chossys Suppenhaar-Museum, Moorstraße 13, 22009 Vardemünden; geöffnet: Freitag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr; Eintritt: 12 Mark, 6 Mark ermäßigt für Ober und Kellnerinnen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen