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Verbot mobilisiert und eint linke Szene

Autonome wollen sich die Mai-Demonstration nicht nehmen lassen. Politische Differenzen zurückgestellt

Dem Verbot des Berliner Innensenators Eckart Werthebach (CDU) zum Trotz: Der revolutionäre 1. Mai findet statt. Unabhängig davon, ob die Verfügung Werthebachs vor Gericht bestand hat oder nicht. Darin ist sich zumindest die linke Szene einig.

Zum einen soll ungeachtet des angekündigten polizeilichen Großaufgebots Kreuzberg ein Schwerpunkt der linken Mobilisierungen werden. Die Hoffnung der Szene: dass das angekündigte harte Durchgreifen der Beamten auch Unbeteiligte trifft und verärgert. Auch an der DGB-Demonstration am Vormittag und den Protesten gegen den NPD-Aufmarsch wollen sich die Autonomen beteiligen. Das Brisante daran: Die Veranstaltung des Gewerkschaftsbundes endet im Regierungsbezirk Mitte. Genau dort also, wo im vergangenen Jahr die „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ entlanggehen sollte, aus Sicherheitsgründen aber von Werthebachs Innenverwaltung verboten wurde.

Auch die für den Abend des 30. April am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg geplante Veranstaltung „Reclaim the Streets“ oder das von der Polizei veranstaltete Kinderfest in der Bergmannstraße könnten zu Sammelpunkten der Szene – und so zum Problem für die Ordnungshüter – werden. „Hingehen und ‚mitmachen‘ hahaha“, wird auf Diskussionsforen im Internet bereits vorgeschlagen, sowie: „Mit ein bisschen Glück kommen wir auch nach Mitte durch.“ Schon für morgen Abend ist am Breitscheidplatz eine Kundgebung „Gegen das Verbot des revolutionären 1. Mai“ angemeldet.

Gestern legte ein Einzelanmelder beim Verwaltungsgericht Einspruch gegen das Verbot ein. Die von ihm angemeldete Veranstaltung war am Abend zuvor ebenfalls untersagt worden – wie am Vortag schon eine für denselben Ort und Zeitpunkt angemeldete Demonstration der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) unter dem Motto „Preußen war schon immer scheiße“. Zur Not soll der Rechtsweg bis zum Bundesverfassungsgericht bestritten werden, hieß es.

Verbot hin, Gerichtsentscheid her – demonstrieren will die linke Szene am Tag der Arbeit auf jeden Fall. „Die 1.-Mai-Demo gibt es seit 14 Jahren, daran ändert auch ein Verbot von Herrn Werthebach nichts“, erklärte gestern AAB-Sprecher Marc Schlosser.

Die Gruppe gehe davon aus, dass sie wie angemeldet um 18 Uhr auf dem Kreuzberger Oranienplatz demonstrieren könne, und habe mittlerweile bereits prominente Unterstützer für die Veranstaltung gewonnen: Unter anderem wollen sich die PDS-Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt, die frühere Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth und der Landesverband der Jusos für die Demonstration stark machen.

Auch in der linken Szene hat das Verbot der Innenverwaltung einen Mobilisierungseffekt. Teile der autonomen Politaktivisten hatten sich zuvor wegen Differenzen mit der AAB schon gar nicht mehr für die angekündigte „revolutionäre Demonstration“ interessiert. Die Werthebach-Maßnahme wollen sie aber keinesfalls untätig hinnehmen. Der Innensenator als gemeinsamer Feind eint die zerstrittene Szene.

„Angesichts der Situation stellen wir bestehende Unstimmigkeiten zurück“, erklärten gestern Vertreter linker Gruppen, die gewöhnlich in Abgrenzung zur AAB einen „unabhängigen Block“ auf der Demonstration organisieren. Aus anderen Städten hätten sich bereits Autonome angekündigt, um bei Bestehen des Verbots „die Demo mit uns durchzusetzen“.

Eine neue Einigkeit, die sich im Internet nachlesen lässt. Die zuvor geführten Flügelkämpfe zwischen Anarchisten, autonomen Kommunisten und anderen Linken sind mit dem erstmaligen Verbot der 1.-Mai-Demo passé. „In solchen Tagen und Studen“, so heißt es jetzt, müssten alle gemeinsam „gegen den Staat“ vorgehen. DIRK HEMPEL

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