: „Wir machen Opposition“
Der Vorwahlkampf für die Hamburger Bürgerschaft am 23. September kommt auf Touren. Die Parteien befinden in diesen Wochen über ihre Programme und SpitzenkandidatInnen oder haben dies bereits getan. Zeit für erste Interviews. Heute im taz-Gespräch: Die Spitzenkandidatin des Regenbogen, Heike Sudmann.Nächsten Montag: Der sozialdemokratische Titelverteidiger, Bürgermeister Ortwin Runde
taz: Was, Frau Sudmann, machen Sie am 24. September?
Heike Sudmann: Da werde ich in vielen Interviews erklären müssen, warum der Regenbogen mit 6,8 Prozent in die Bürgerschaft eingezogen ist.
Die Erklärung würde uns schon jetzt interessieren. Nach Umfragen liegt der Regenbogen zurzeit bei gerade mal 2 Prozent.
Diese Umfragen sagen auch, dass mehr als 30 Prozent noch unentschlossen sind, wen sie wählen werden. Und es ist ganz deutlich, dass die Unzufriedenheit mit der Politik, die Rot-Grün in Hamburg macht, weiter wächst. Das haben wir gerade jetzt bei den Protesten gegen die Castor-Transporte nach Gorleben sehr deutlich erlebt. Da haben wir von sehr vielen gehört: „Ihr seid die Einzigen, die noch was gegen den Atomstaat machen.“
Der Regenbogen also als Sammelbecken für enttäuschte Grüne?
Der Großteil derer, die uns wählen werden, sind sicher Leute, die von den Grünen enttäuscht sind. Es werden auch einige von der SPD zu uns kommen und viele Linke, die bereits vor vier Jahren gar nicht mehr gewählt haben. Das sind Menschen, die anerkennen, dass auch bei einem anderen großen Thema, der Zerstörung des Mühlenberger Lochs für den A380, der Regenbogen die einzige politische Kraft war, die Widerstand geleistet hat. Wir allein haben dem Märchen der SPD, ganz Hamburg stünde hinter dem Airbus, etwas entgegengesetzt. Das sind Sachen, die uns viele Sympathien gebracht haben.
Genützt hat es aber in beiden Fällen nichts.
Es hat mehr genützt, als Sie jetzt unterstellen. Denn für Veränderungen ist auch die öffentliche politische Auseinandersetzung wichtig. Und die haben wir mit unseren konkreten Vorschlägen für eine andere Politik kräftig beinflusst. Natürlich ist es für eine so kleine Gruppe, wie sie der Regenbogen in der Bürgerschaft ist, immer schwierig, etwas durchzusetzen. Und dann noch gegen diesen Senat. Aber wir haben unsere Stimme laut und kompetent erhoben, und ich denke, viele Menschen haben uns gehört.
Manche werden aber denken, eine Stimme für den Regenbogen ist verschenkt, weil die eh an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern werden.
Mal abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass wir scheitern: Ich finde, dass eine Stimme verschenkt ist, wenn ich sie einer Partei wie der GAL gebe, die dann in der Bürgerschaft nicht die Politik macht, für die ich sie gewählt habe. Und nach den letzten vier Jahren dürfte es vielen Menschen schwer fallen, Rot-Grün noch als kleineres Übel zu betrachten und zu wählen.
Warum hat der Regenbogen überhaupt mit der PDS geflirtet?
Wir haben uns immer als ein Projekt verstanden, das versucht, die linken Kräfte in dieser Stadt zu bündeln. Daher haben wir auch mit der PDS gesprochen, um zu gucken, welche Gemeinsamkeiten es gibt. Diese Gespräche haben allerdings mit dem PDS-Vorstand stattgefunden, der nun wieder abgesetzt worden ist. Mit dem jetzigen Liste Links-Vorstand, der nun wieder in der PDS das Sagen hat, haben wir keine Berührungspunkte. Daher gibt es auch keine weiteren Gespräche.
Mal angenommen, der Regenbogen zieht tatsächlich in die Bürgerschaft ein: Streben Sie dann eine Regierungsbeteilung an?
Nein. Wir sehen keine politische Kraft in Hamburg, mit der eine Koalition sinnvoll sein könnte. Wir werden Opposition in der Bürgerschaft machen und uns nicht kaufen lassen.
Und wenn eine Situation eintreten würde, in der Regenbogen das Zünglein an der Waage wäre?
Die Situation kann nicht eintreten ...
Rechnerisch schon: Ein Patt zwischen Rot-Grün sowie CDU-Schill, und Regenbogen könnte die entscheidende Kraft sein.
Dass die CDU mit Schill koalieren würde, ist ein Skandal. Wenn zugleich Rot-Grün abgestraft würde für ihre schlechte Politik der vergangenen Jahre, wird der Regenbogen gewiss nicht der Mehrheitsbeschaffer für SPD und GAL sein. Kommt nicht in Frage.
Rot-Grün tolerieren auch nicht?
Nein, denn Tolerierung würde ja heißen, die unsoziale Politik von rot-grün durch die Zustimmung zum Haushalt jedes Jahr abzusegnen.Dann würde Regenbogen mit Fundamentalopposition eine Große Koalition aus SPD und CDU geradezu erzwingen. Wohl kaum ein politischer Fortschritt.
Das Drohpotenzial einer Großen Koalition ist ja kleiner geworden, denn in vielen Punkten könnte sie nichts schlechter machen, als SPD und GAL es schon gemacht haben. Die rot-grüne Standortpolitik – nicht nur wegen des A380 – kann mit der CDU kaum schlimmer werden, die Verkehrspolitik wird ohnehin von der Handelskammer bestimmt, und die rigorose Abschiebepraxis ist jetzt schon menschenfeindlich.
Regenbogen würde also aus Prinzip auf Möglichkeiten verzichten, einiges von dem besser zu machen, was Sie gerade aufzählten?
Nein, nur wir setzen auf andere Mittel. Ich denke, dass über öffentlichen und oppositionellen Druck innerhalb und außerhalb des Parlaments viel mehr zu erreichen ist. Mit der real existierenden SPD kann man keine soziale und ökologische Politik mehr machen, mit den Grünen ebenso wenig. Das hat wenig mit Prinzipien, aber viel mit der Wirklichkeit zu tun.
Klingt nach einer Absage an die Gestaltungsfähigkeit des Parlamentarismus. Warum wollen Sie überhaupt in die Bürgerschaft?
Das ist eine Absage an die Gestaltungsfähigkeit von SPD und GAL. Regenbogen will in die Bürgerschaft, um dieses Forum zu nutzen. Leider hat man zu den Medien oft nur Zugang über das Parlament, über Anträge, über Pressekonferenzen – obwohl die Bürgerschaft sicher nicht das Ende aller Träume ist. Wir haben in den zwei Jahren seit Mai 1999 bewiesen, dass in der Opposition viel zu erreichen ist, und das wollen wir fortsetzen.
Wir können uns nicht erinnern, dass auch nur einer Ihrer Anträge beschlossen wurde.
Tja, rot-grün hat fundamental-oppositionell selbst die Anträge von uns abgelehnt, gegen die sie inhaltlich nichts sagen konnten. Doch auf der parlamentarischen Bühne hat mensch eine lautere Stimme. Die Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen zum Beispiel hat der Regenbogen in Hamburg zu einem Thema gemacht, an dem die anderen nicht mehr vorbei konnten. Dass Hamburg eine Initiative auf Bundesebene startete, dass auch die Handelskammer sich für die Hamburger Stiftung für ZwangsarbeiterInnen eingesetzt hat, wäre ohne unsere parlamentarischen Aktivitäten wohl kaum geschehen.
Der lange Arm des Regenbogen reicht demnach sogar bis in die Handelskammer.
Da kann man mal sehen, was eine linke Opposition alles vermag.
Aber auch im Bezirk Bergedorf haben wir gerade von Rot-Grün einiges erreicht: Eine antifaschistische Woche, die Umstellung der gesamten Verwaltung von Atomstrom auf Grünen Strom, eine unabhängige Beratungsstelle für SozialhilfeempfängerInnen.
Dafür stimmte Regenbogen für den SPD-Kreisvorsitzenden Krupp als neuen Bezirksamtsleiter. Sieht nach Tolerierungsmodell aus, oder?
Nein, denn Tolerierung würde heißen, in der gesamten Legislatur die Politik der anderen Partei zu akzeptieren und ihrem jeweiligen Haushaltsentwurf zuzustimmen. In Bergedorf ging es einzig und allein um die Wahl des Verwaltungsleiters.
Einige ehemalige grüne FreundInnen halten den Regenbogen schlicht für linkspopulistisch.
Und für politisch unreif, wie Krista Sager vor zwei Wochen im taz-Interview behauptet hat. Das fällt wohl in die Abteilung kleine Gehässigkeiten, die überlasse ich ihr.
Populistisch ist jemand, der mit einfachen Antworten auf komplizierte Fragen hausieren geht, so wie Schill. Uns mit dem zu vergleichen, ist eine Frechheit. Ausgerechnet von Leuten, die nur noch Sonntagsreden gegen Rechtsradikalismus halten.
Es ist der Regenbogen, der gegen Faschisten auf die Straße geht, der Demos organisiert. Grüne habe ich da schon lange nicht mehr gesehen, auch keine Leute von der SPD. Die sagen immer, wir Demokraten in der Bürgerschaft müssten gegen Rechts zusammenhalten, aber wenn es konkret wird auf der Straße, dann kommt niemand.
Der Regenbogen liegt bei den Umfragen bei zwei Prozent, Heike Sudmann persönlich hat dagegen weit bessere Werte. Wie kommt diese Diskrepanz zustande?
Ich bin als Gruppensprecherin einfach bekannter als andere und erscheine auch häufiger im Fernsehen. Und Regenbogen ist für viele noch nicht so greifbar wie eine konkrete Person. Vielen ist noch gar nicht klar, dass wir keine Episode sind, sondern auch weitermachen.
Dann müsste es also einen Heike Sudmann-Personenwahlkampf geben?
Jedenfalls ein Wahlkampf, der mit wenig Geld auskommen muss, also einfallsreich sein wird. Themen werden dabei im Vordergrund stehen. Ob es zusätzlich eine personenbezogene Komponente geben wird, ist noch nicht geklärt. Aber wir werden die Bekanntheit der fünf Abgeordneten in der Bürgerschaft nutzen. Wir wären ja schlecht beraten, wenn wir das nicht täten.
Welches sind die drei Zukunftsthemen, die dem Regenbogen in dieser Stadt am wichtigsten sind?
Als erstes nenne ich soziale Grundrechte. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass alle Menschen die gleichen Rechte und Zugangschancen haben. Das zielt auf alle Bereiche des Lebens ab, egal ob es um Kindertagesbetreuung geht oder um den Besuch von Schulen und Hochschulen. Natürlich werden wir weitermachen beim Thema Atomausstieg. Und wir werden wohl leider auch weiter aktiv sein müssen gegen Rassismus und Faschismus, wenn die Nazis hier auch künftig auf die Straße gehen sollten.
Auch für Sie eine Wette: Der Regenbogen bleibt unter fünf Prozent als sechststärkste Partei, hinter der FDP und knapp vor der Statt Partei.
Natürlich halte ich dagegen. Wir kommen klar über fünf Prozent hinter Schill und den Grünen.
Interview: Peter Ahrens/Sven-Michael Veit
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