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„Kein Freispruch erster Klasse“

■ Die Angeklagten im Toros-Prozess wurden freigesprochen. Die Begründung: mangelnde Glaubwürdigkeit der Frau. Staatsanwältin will Revision

Freispruch. Nach fast vier Monaten ist am Montag im Prozess um eine Mehrfachvergewaltigung im Viertel-Imbiss Toros das Urteil gefallen. Während alle Prozessbeteiligten diesen Ausgang des mehrmonatigen Verfahrens erwartet hatten, skandierte das Publikum im übervollen größten Saal des Landgerichts empört Sprüche wie: „Wir sind Lesben, wir sind viele, wir haben die Schnauze voll“. Darauf reagierte der Vorsitzende Richter Werner Oetken ungewöhnlich.

Statt dem Urteil eine prompte Begründung folgen zu lassen, wandte er sich mit einer Verteidigungsrede ans Publikum. „Noch nie fühlte sich die Kammer durch die Öffentlichkeit so unter Druck gesetzt.“ Ob die Anwesenden die unabhängige Gerichtsbarkeit abschaffen oder das Prinzip der Beweislast umkehren wollten? Antworten waren nicht gestattet. Stattdessen fuhr er fort, er glaube, dass für viele ZuschauerInnen eine Verurteilung als einzig richtiges Urteil von Prozessbeginn an festgestanden habe. Doch für eine Verurteilung habe die Kammer sich nach ZeugInnenaussagen nicht guten Gewissens entscheiden können. Zwischenrufe wie: „Haben Sie denn jetzt ein gutes Gewissen?“, verhallten. Erst als die Saaltüren vielfach hinter empörten ZuschauerInnen geknallt hatten und nur noch 15 da waren, fiel am Ende einer langatmigen Urteilsbegründung der Satz: „Dies ist kein Freispruch erster Klasse.“

„Es kann sein, dass der Angeklagte die Zeugin so vergewaltigt hat, wie sie es gesagt hat“, so Richter Oetken über den mit DNA-Spurenmaterial schwerer belasteten jüngeren von zwei Angeklagten. Über den älteren der beiden sei das – auch mangels Spuren – schwer zu sagen. Beiden Angeklagten sagte er: „Sie sind vielleicht schuldig. Mag sein. Ausgeschlossen ist das nicht.“ Doch nach dem Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ habe die Kammer nur zu einem Freispruch kommen können. Es habe zu viele Ungereimtheiten in den Aussagen der Zeugin gegeben, die eine Mehrfachvergewaltigung im Keller des Viertel-Imbiss Toros im vergangenen Juli angezeigt hatte. „Und auf deren Angaben hätten wir uns verlassen müssen.“

Den beiden Angeklagten kündigte der Richter an, sie würden für die sieben Monate, die sie in Untersuchungshaft saßen, entschädigt. Die Nebenklägerin war da schon lange nicht mehr im Gerichtssaal und von draußen schallte der lautsprecherverstärkte Protest ihrer UnterstützerInnen herein. Die hatten, wie die Vertreterinnen von Nebenklage und Anklage, die Prozessführung kritisiert. Das Opfer sei regelrecht durch die Mangel gedreht worden. Das schrecke ab, Vergewaltigungen anzuzeigen. Am Saalfenster zerplatzten geworfene Eier.

Schon eine Stunde vor der Urteilsverkündung war ein Demonstrationszug durch die Innenstadt gezogen, um auf das bevorstehende Ende des „Hexenprozesses“ aufmerksam zu machen. Dabei hatten die rund 200 DemonstrantInnen unter anderem gefordert, dass Strafkammern künftig hälftig mit Richterinnen besetzt werden sollten. Auch müsse es Schutzräume im Gericht geben, die verhindern, dass Opfer mit Tätern während der Verhandlung konfrontiert werden.

Direkt im Anschluss an das Urteil kündigte die Sonderstaatsanwältin für Sexualdelikte, Gabriela Piontkowski, Revision an. Die Anklägerin hatte nach detaillierter Beweiswürdigung auf fünf und sechs Jahre Freiheitsstrafe für die beiden Angeklagten plädiert. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin zum Tatgeschehen wertete sie in den wesentlichen Punkten als gegeben. Mögliche Widersprüche seien durch die Schwere der Tat erklärbar. Es sei davon auszugehen, dass das Opfer schockiert und deswegen verwirrt war. Wo unbeteiligte Zeugen die Aussagen der Frau nicht stützten und diese etwa nach der Tat biertrinkend im Imbiss gesehen haben wollen, erwog sie auch Absprachen der Zeugen – die aber so „kraus und wirr“ ausgefallen seien, dass sie nicht gegen die Darstellung der Frau sprächen.

Das Gericht dagegen folgte in seiner Urteilsbegründung in weiten Teilen den Plädoyers der Verteidiger. Von diesen hatte einer auf Freispruch plädiert. Der zweite Verteidiger hatte die Beteiligung seines Mandanten an einer Sexualstraftat im Keller des Imbiss als so wenig belegbar dargestellt, dass er sich eine Forderung ganz ersparte. Die Anzeige wegen Vergewaltigung durch die lesbische Nebenklägerin halte er „für so was wie einen Schutzmechanismus“, der bei der Frau quasi ausgelöst worden sei, nachdem sie erkannt habe, dass sie im stark alkoholisierten Zustand Sex mit einem Mann haben wollte; Vorsatz schließe er aber aus.

Die beiden Angeklagten schlossen sich ihren Verteidigern nur an. Auf eigene Letzte Worte verzichteten sie, wie sie schon während des ganzen Prozesses geschwiegen hatten. Das Gericht verließen sie durch einen Nebenausgang. Die Kammer hatte zu ihrem Vorteil ausgelegt, dass die Zeugin laut Blutprobe bei der Tat schwerst betrunken war, dies aber dementierte. Zusammen mit widersprüchlichen Äußerungen – einerseits: sie sei in den Keller, „mitgelatscht“, andererseits: sie habe geschrien – blieben Zweifel. Ebenso gebe es keine allzu erheblichen Verletzungen. Auch dass sie einen Zeugen der Lüge bezichtigte, der von ihr nach der Tat im Imbiss angemacht worden sein will, hatte die Kammer irrititert. Denn damit beanspruche die Frau, geistig präsent gewesen zu sein. Das aber stimme mit anderen Fakten nicht überein. ede

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