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Vom Literaturbetrieb ausgebürgert

Buchvorstellung im Heine-Haus: Ein Tagungsband sucht nach Orten für Heinrich Heine  ■ Von Andreas Blechschmidt

Heinrich Heine und die Stadt Hamburg, das scheint die Geschichte eines schwierigen Verhältnisses zu sein. 1831 hat Heine das mit wenigen Versen kommentiert: „Die Wolken droben sind so klug! Vorüberreisend dieser Stadt, ängstlich beschleunigen sie den Flug.“

1830 verließ er die Stadt Hamburg in Richtung Pariser Exil und hat sie bis auf zwei Besuche nicht wieder gesehen. Und es scheint, als wenn Heines Emigration zumindest in Hamburg bis heute andauert. Der deutsche Schriftsteller und Jude Heine ist im Kulturbetrieb selten ein Thema. Diese Abwesenheit korrespondiert mit dem Schweigen jener universitären Zünfte in Hamburg, deren professioneller Gegenstand eigentlich unter anderem das Sprechen über die Angelegenheiten jüdisch-deutscher Kulturbeziehungen sein sollte.

Als Gegenrede zu diesem Schweigen versteht sich der jetzt beim Hamburger Verlag Dölling und Galitz veröffentlichte Band Das Jerusalemer Heine Symposium. Heinrich Heine. Gedächtnis, Mythos, Modernität. Itta Shedletzky, Dozentin für deutsche Literatur an der Hebräischen Universität Jerusalem, und Klaus Briegleb, emeritierter Literaturprofessor aus Hamburg und profilierter Heine-Forscher, zeichnen für die Herausgabe des Buchs verantwortlich. Die zwölf Beiträge des Bandes gehen zurück auf ein zum Jahreswechsel 1997/98 veranstaltetes Symposium.

Bei der Tagung ging es nicht um die Neuauflage einer philologischen Spezialveranstaltung zu Heine. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Verabredung eines interdisziplinären Austauschs zwischen VertreterInnen unterschiedlicher Gattungen unter dem Vorzeichen einer deutsch-jüdischen Debatte, deren gemeinsamer Bezug die Schriften Heines waren. Die im Band versammelten Beiträge wollen die beiden HerausgeberInnen durchaus auch als Kritik an der aktuellen deutschen Heine-Philologie verstanden wissen, von der sie feststellen, dass sie „nicht einmal in einem 'Heine-Jahr', oder dann im natürwüchsig nationalen Zeremoniell gerade nicht, relativ unbefangen über das Judesein des deutschen Schriftstellers H. Heine nachzudenken“ in der Lage sei.

Auf welche Affekte Shedletzky und Briegleb ohne Nennung konkreter Beispiele hier anspielen, sei mit einem Blick in das renomierte Heine-Jahrbuch des Jahres 1996 belegt. Dort heißt es im Zusammenhang mit der literarischen Verarbeitung des Rheinmotivs in Heines Werk: „Der Erzähler usurpiert ein deutsches Nationalsymbol, indem er es in den Kontext des jüdischen Geschichtsverständnisses stellt.“

Solche literaturwissenschaftlichen Ausbürgerungsverfügungen gegen Heine, denen offenbar der Gedanke eines philologischen Reinheitsgebots „deutscher“ Dichtung zugrunde liegt, gehören leider immer noch zum Alltag hiesiger Heine-Forschung. In diesen Perspektiven erscheint das Judentum Heines als formelhafte Analysekategorie, die den Juden Heine gegen den Konvertiten, den Marranen, ausspielt.

Nicht ohne Grund war Jerusalem der Ort des Symposiums, und die Wahl des Ortes spiegelt sich auch in den vorliegenden Buchbeiträgen wider. Die Chiffre „Jerusalem“ spielt in der Lyrik und Prosa Heines eine wichtige Rolle, sie ist im Bedeutungsrahmen von geschichtlicher Exilerfahrung und messianischer Erlösungshoffnung untrennbar mit der schriftstellerischen Arbeit Heines verbunden. Das Gespräch am topographischen Ort stand im Spannungsverhältnis zum geschichtlich-symbolischen Ort.

Von der anregenden und vielschichtigen Präsenz des Ortes Jerusalem im Diskontinuum deutscher jüdischer Geschichte zeugt schließlich die Bandbreite der Tagungsbeiträge. Sie reicht von der Untersuchung der Prosa Heines mit Hilfe der Witztheorie Freuds (Stéphan Mosès) über die jüdisch-religiösen Motive in der Lyrik (Jakob Hessing) bis hin zu Arbeiten Heines zu Philosophie und Denkgeschichte (G. Freudenthal und G. Motzkin).

Peter von Matt versucht eine Neuinterpretation von Heines Ratcliff, Sigrid Weigel erkennt in Heines Schriften eine „postalische Poetik“ als besondere Form der Gedächtnisarbeit. Die beiden HerausgeberInnen untersuchen den jüdischen Subtext in der Prosa Heines beziehungsweise seine biblische Schreibweise (Briegleb).

Klaus Briegleb wird nun am heutigen Abend im Heine-Haus den Tagungsband der Hamburger Öffentlichkeit vorstellen. Es ist zu hoffen, dass sein mit diesem Buchprojekt verknüpftes Plädoyer für eine „Debatte über den Stand und die Finanzierung deutscher kulturwissenschaftlicher Juda-istik im Allgemeinen und in Hamburg im Besonderen“ nicht ungehört verhallt.

Buchvorstellung und Lesung von Lyrik mit Heine-Bezug aus dem Warschauer Ghetto durch Christina Pareigis: heute, 19 Uhr, Heine-Haus, Elbchaussee 31

Das Jerusalemer Heine-Symposium (hrsg. von Klaus Briegleb und Itta Shedletzky), Dölling und Gallitz Verlag 2001, 218 S., 48 Mark

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