: Der Tomatenfisch ist tot
■ Nie wieder Mittelalter: Die Ostberliner Inchtabokatables haben eine existenzielle Platte gemacht, gut wie ein Splattermovie
Irgendwann taucht die Frage auf. Das lässt sich nicht vermeiden bei einer Band, die vom Goethe-Institut nach San Francisco, Athen und Budapest geschickt wurde. Seid Ihr etwa deutsches Kulturgut? „Offensichtlich“, antwortet Robert Beckmann und muss lachen.
Der sympathische Glatzkopf mit dem Pseudonym B.Breuler nutzte sein Konzert im letzten Jahr in der Kesselhalle tatsächlich dazu, singend und geigend eine Lady aufzureißen. Seiner Fangemeinde wird durch die neue Platte „Mitten im Krieg“ eine schwere Prüfung auferlegt. Die Inchies, wie sie liebevoll genannt werden, haben sich mit diesem, ihrem sechsten Album endgültig von ihren Anfängen als vor allem live überzeugende Lieblinge der Mittelalter-Szene entfernt. „Ein Schritt“, sagt Beckmann, „den wir die Leute jetzt zwingen müssen, mitzugehen.“
Einst landete das schwer stampfende „Die Taube“ auf der mittlerweile berüchtigten Compilation „Neue Deutsche Härte“. Nichts davon auf „Mitten im Krieg“. Statt dessen: Langsam wabernde Lärmwände, unmerklich mutierende Stimmungen und die nahezu vollständige Auflösung von Songstrukturen. Die Platte wurde über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren produziert, in denen das Quintett zwar immer knapp an der Armutsgrenze, aber halt auch ohne alle Zwänge oder Vorgaben war. Vor zweieinhalb Jahren nämlich stiegen die Inchs aus ihrem Plattenvertrag aus. Das Label hatte nichts dagegen. In langwieriger Kleinarbeit wurde zuerst „blind improvisiert“ , und diese Tracks dann im Studio und am Computer bearbeitet. So findet sich auf „Mitten im Krieg“ zwar kein einziger elektronisch erzeugter Klang, aber nichtsdestotrotz eine stumpf-monotone Atmosphäre, wie man sie sonst eher von elektronischer Musik kennt. „Es gibt Beats“, erzählt Beckmann, „die sind nur aus meinem Atmen generiert.“
Das Ergebnis sind bis zu acht Minuten lange, klaustrophobische Tracks, die funktionieren wie ein guter Horror- oder Splatterfilm: Eigentlich kann man nicht mehr hingucken, aber die Lust an der eigenen Angst lässt einen die Augen weit aufreißen. „Die Musik drückt Ängste aus, die jeder hat“, sagt Beckmann, „aber auch die Ruhe, damit umzugehen.“
„Es war Winter, saukalt, man ging raus und draußen nur Essigfressen“, erzählt Beckmann, „und wenn man dann zurück ging ins Studio und wieder in die Musik eintauchte, war das eine Beruhigung, eine Zurücknahme aller Geschwindigkeit. Im Fernseher aber lief ein echter Krieg, und wir fühlten uns wie in einer Enklave.“ So kam die Platte zu ihrem Titel.
Thomas Winkler
8. Mai m Moments
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen