: Demokratisierung – so what?
Die heiße Diskussion um die Demokratisierung der EU fiel aus: Die europäischen Sozialdemokraten demonstrierten beim SPE-Kongress Konsens – lieber schimpfte man über die Finanzpolitik der EZB
aus Berlin SABINE HERRE
Den größten Beifall bekam nicht Gerhard Schröder, und auch nicht Robin Cook, der neue Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). Den größten Beifall erhielt der Italiener Giorgio Napolitano, Vorsitzender der Verfassungskommission des Europäischen Parlaments. Denn Napolitano brachte all das auf den Punkt, was die linken Abgeordneten in Brüssel derzeit bewegt: Mit einer „Verfassung“, die von einem „Konvent“ aus nationalen und europäischen Parlamentariern erarbeitet werden muss, soll sich die EU „neu gründen“.
Einen schweren Stand hatte da der einzige Brite, der bei diesem Runden Tisch zur „Zukunft der erweiterten Union“ zu Wort kam. Albert Bore, Vertreter des EU-Ausschusses für die Regionen, machte sich genau für diese Regionen stark. Wenn die EU näher an die Bürger herankommen wolle, müssten auch die Entscheidungen in deren Nähe fallen. Damit sind dann auch schon die beiden extremen Positionen bei diesem – alle Veranstaltungen zusammengerechnet – kaum zwölfstündigen Berliner SPE-Kongress genannt. 281 Delegierte aus 20 Parteien und rund 1.500 Gäste sollten laut offiziellen Angaben gekommen sein, doch dort erlagen sie wohl anderen Attraktionen. Denn in den Räumen des Estrel-Hotels fanden sich meist nur rund 100 Interessierte ein. Und dies waren, so ein junger Delegierter enttäuscht, Männer über 50, keiner ohne Parteifunktion.
Dabei hätte dieser Parteitag richtig spannend werden können. Gerhard Schröder hatte mit seinen Vorschlägen zu einer Demokratisierung der EU-Institutionen die Vorlage geliefert; das gute Dutzend sozialdemokratischer Regierungs- und Staatschefs – auch aus den Beitrittsländern, der Schweiz und aus Serbien – hätte sie für eine wirkliche Debatte über die Zukunft Europas aufnehmen können. Stattdessen erging sich Frankreichs Premier Lionel Jospin in Belanglosigkeiten. Die SPD habe nun eben in Deutschland eine Debatte eröffnet, so what! Wann er selbst seine Vorstellungen zu Europa formulieren werde, ließ Jospin weiterhin offen. Die Überlegungen der französischen Sozialisten machte dafür der Parteivorsitzende François Hollande deutlich. Auch er sprach sich für eine Verfassung der EU aus, wichtiger war ihm jedoch etwa ganz anderes: Vor allem nach der Einführung des Euro im nächsten Jahr müsste die EU endlich eine „Wirtschaftsregierung“ erhalten. Angesichts der Politik des neuen US-Präsidenten müsste auch endlich die eigene europäische Verteidigungspolitik gestärkt werden. Ähnliches war aus der französischen, der griechischen und der belgischen Delegation auch schon bei der Debatte über die „Moderne soziale Marktwirtschaft“ laut geworden. „Die Europäische Zentralbank kann unabhängig oder einsam sein, im Moment gilt eher zweiteres“. Was so viel hieß wie: Die EZB soll endlich die Zinsen senken, um dazu beizutragen, dass die Wirtschaft wieder in Fahrt kommt. Tut sie es nicht, dann muss sie eben von den Finanzministern dazu gebracht werden.
Deutsche Reaktionen auf diesen Angriff auf die Unabhängigkeit der EZB gab es nicht, doch allgemein war auf diesem SPE-Kongress wenig von deutschen Sozialdemokraten zu hören. Bemerkenswerte Beiträge kamen allein von zwei „alten Europäern“. Dem ehemaligen EP-Vorsitzenden Klaus Hänsch, der das mangelhafte Funktionieren der SPE thematisierte. Und Erweiterungskommissar Günter Verheugen, dem es gelang, die Harmonie zu durchbrechen. „Das, was auf Kongressen wie diesem zur EU-Erweiterung gesagt wird, und das, was die Regierungen dann bei den Verhandlungen vertreten, klafft oft weit auseinander.“ Verheugen lehnt es entschieden ab, jetzt neue „Verhandlungspakete“ zu schnüren, also etwa die Reform der Agrar- und Strukturfonds mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu verbinden. Der Kommissar forderte, dass bereits beim EU-Gipfel in Göteborg Mitte Juni ein fester Zeitplan für den Beitritt aufgestellt wird. Die Warnungen Verheugens machten klar: In Brüssel befürchtet man, dass die Erweiterung nun, wo sie in ihre entscheidende Phase kommt, verzögert werden soll. Eine wirkliche Debatte löste dies freilich ebenso wenig aus wie die lahme „Berliner Erklärung“ für eine demokratischere EU, gegen die nur 12 Delegierte stimmten.
Für leichte Aufregung sorgte so nur die Wahl von Robin Cook. 16 Delegierte hatten sich entschlossen, dem britischen Außenminister ihre Stimme zu verweigern, um damit ein Zeichen gegen „die Unterwerfung unter die neoliberale Ideologie“ der SPE zu setzen. Ein bisschen spät allerdings, denn nach der Wahl Cooks war der Kongress zu Ende.
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