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Ende einer Butterfahrt

Rauf aufs Schiff, rüber nach Polen, mit Schnaps und Tabak zurück – und tschüs! Doch der Spaß ist vorbei, der Zank beginnt

aus Altwarp THOMAS GERLACH

Kein Zweifel, die „Adler Princess“ muss sich verirrt haben. Was macht ein vierzig Meter langes Schiff im Hafen von Altwarp? Wie ein gestrandeter Wal liegt es in diesem verschilften See in Vorpommern. Hier wird das Schiff havarieren, auf Grund laufen, es braucht Meerwasser unterm Kiel. Kapitän Bernhard Genschow bleibt ruhig. Er macht nicht den Eindruck, als suche er das offene Meer. Irrfahrt? Ausgeschlossen.

Genschows Arbeitsplatz ist luftig wie ein Penthouse, Steuerpult mit Radar, Echolot, Satellitennavigation, die Seekarte liegt ausgebreitet, nur das Steuerrad fehlt, ein Hebel tut’s auch. Die letzten Passagiere kommen gerade an Bord. Genschow steht ganz oben, Wimpel flattern, Leinen los und ab auf große Fahrt. Eine Seemeile hin und eine zurück, die „Princess“ tuckelt über den Neuwarper See im Oderhaff, über Binsen und Wasser. Das Schiff wird hier die EU-Außengrenze queren, in Neuwarp, dem polnischen Nowe Warpno, anlegen und umkehren, Zeit genug für die Passagiere, im Schiffsbauch zollfrei Schnaps und Zigaretten zu kaufen. Zurück an Land werden sie zufrieden in Autos steigen und nach Hause fahren. Im vergangenen Jahr taten das eine Million Besucher – eine Invasion in Deutschlands nordöstlichster Festlandgemeinde wie in Oberammergau zur Festspielzeit. Heerscharen zogen durch das 750-Seelen-Dorf hinunter zum Wasser, bestiegen Schiffe und fuhren für einen Steuervorteil übern See.

Goldgräberstimmung am Haff

Eine Grenze ist ein Hindernis, für Altwarp ist sie ein Segen: Butterfahrt – ein sattes Wort. Und fette Gewinne. Drei Reedereien mit insgesamt fünf Schiffen teilen sie untereinander auf. Die größte ist die Insel- und Halligreederei mit den mächtigen „Adler“-Schiffen. Der Kuchen ist groß, das Jahr 2004 nicht fern. Dann tritt Polen der EU bei, dann wird auch hier zollfreies Einkaufen verboten sein. Es herrscht Goldgräberstimmung.

Ein ausgefeilter Fahrplan samt Sonderangeboten köderte noch bis vor kurzem immer mehr Menschen. „Goldkrone“ für 8,99 – ein ganzer Liter. Der ostdeutsche Weinbrand gluckste und lockte. Die Boote fischten Menschen. Rauf aufs Schiff, rüber nach Polen, mit Schnaps und Tabak zurück – und tschüs! Bis zum nächsten Mal. Möglichst bald. Abfertigung im Halbstundentakt. Das Karussell aus Booten drehte sich schneller und schneller, von früh bis spät, hin und her, sommers wie winters, Nebel und Sonne, Kasse auf, Kasse zu, hier war immer Saison, hin und her und über die Grenze, ein Pingpong mit Booten und Menschen darin. Da konnte manchem schwindlig werden.

Doch das Spiel ist aus. Seit März kriechen die Boote nur noch über das Oderhaff. Das Seeamt in Stettin, dem polnischen Szczecin, hat einseitig die Zahl der Überfahrten von 50 auf 24 reduziert, zwei „Adler“-Schiffen hat es sogar Anlegeverbot erteilt, Begründung: zu hohe Motorleistung. Das Seeamt, das die Aufsicht über den polnischen Teil des Neuwarper Sees führt, beklagt, dass der übermäßige Schiffsverkehr zu Unterspülungen im Hafen von Neuwarp führe, diese gefährdeten die Sicherheit der Kaianlage. Außerdem habe die polnische Pass- und Zollkontrolle Probleme, den Besucherstrom abzufertigen. Seitdem legt nur noch die „Adler Princess“ ab, sechs Mal am Tag und mit reduzierter Motorleistung.

Das Seeamt Stettin hat den Kuchen beschnitten. Da werden die Großen nicht mehr satt. Als ob sie ankerten, liegen die Schiffe auf dem See, sie dürfen nicht mehr, wie sie könnten. Kapitän Genschow darf nicht zu früh in Neuwarp anlegen, muß sein Schiff auf Kurs halten, zwischen den zwei Bojen hindurch, in Schrittgeschwindigkeit auf Polen zu, vorsichtig angelegt, Papier gestempelt und langsam nach Deutschland zurück. Gebrumm liegt über dem Wasser, Dieselqualm steigt auf, die Schiffe haben viel Zeit. Die Logistik stockt, Kunden bleiben aus, Busse fahren seltener. Aus der Butterfahrt ist Warten geworden: Warten aufs Schiff, Warten auf dem See, Warten im Laden, Warten auf die Rückfahrt. Auf den Schiffen ist’s eng, in den Läden noch enger. Wer in Polen an Land geht, riskiert seinen Platz für die Rückfahrt. Auf einem schilfigen See Zeit verplempern? Der Spaß ist vorbei. Der Zank beginnt.

Konkurrenz im Fahrwasser

„Quatsch! Der Neuwarper Hafen ist doch nicht unterspült.“ Kapitän Genschow zeigt aufs Echolot: keine Ausspülungen, die Kaimauer steht. Der polnische Hafen ist neu, so neu wie der Hafen in Altwarp. „Die machen eben einen Haufen Pillepalle.“ Bernhard Genschow bleibt ruhig, jetzt lernt er sogar Polnisch wegen Pillepalle. Genschow soll das polnische Lotsenpatent ablegen, dabei fährt er seit dreißig Jahren nach Stettin. Ein Vokabelzettel liegt auf dem Pult: Norden heißt północ, Süden południe, und Dobra noc heißt Gute Nacht.

Wind kräuselt die Wasseroberfläche, die „Adler Princess“ wendet wie ein Schwan, ein schönes Schiff. „Zehn Jahre alt.“ Der Käpt’n ist stolz. „Der da ...“ er lacht kurz „ist fünf Mal so alt.“ Die „Arno 1“ fährt auf Gegenkurs, das polnische Boot ist klein, schwarzer Rumpf, gelbe Planen, ein Spielzeug, ein Entlein. Und ein Konkurrent. Es ist die ewige Begegnung zwischen Klein und Groß, Arm und Reich, zwischen Mercedes und Trabbi zu Wasser. Die „Adler“-Schiffe waren die Platzhirsche und die Deutschen die Ersten, sie haben am meisten verdient.

Als das Seeamt im März Ernst machte mit dem reduzierten Fahrplan, hat die Insel- und Halligreederei mit zwei Schiffen die Fahrrinne blockiert, einen „unzulässigen Eingriff in den Wettbewerb“ beklagt und Entlassungen angekündigt: 50 von 86 Mitarbeitern müssten gehen. Das Seeamt blieb hart, nach einem Tag zogen die Schiffe ab. Heute fahren die beiden polnischen Schiffe zwölf Mal am Tag, der andere deutsche Konkurrent sechs Mal, die „Adler Princess“ ebenfalls sechs Mal – Gleichstand im ungleichen Länderspiel.

„Die hatten ja nie Zeit“

„Was? Das polnische Schiff hat zu früh abgelegt? Das schreiben Sie aber!“ Inge Bocklage kocht. Sie kocht seit Anfang März. Die „Arno 1“ dampft eine Viertelstunde zu früh nach Altwarp. Für die Geschäftsführerin der Insel- und Halligreederei untrügliches Zeichen polnischer Wirtschaft. „Das sollten wir mal wagen!“ Empörung pur. Inge Bocklage spricht’s, zieht noch einmal an der Zigarette und presst die Kippe in einen Becher. „Natürlich muss man auch mal Kies in den Hafen nachkippen. Das ist nun mal so, wenn Schiffsverkehr ist. Wenn ich in diesem Markt mithalten will, muss ich mich darauf einrichten!“ Dann müssten eben auch die Polen größere Schiffe einsetzen.

Inge Bocklage ist blond und blauäugig, eine Frau von der Küste mit Jugend im Gesicht. Die Geschäftsstelle der Reederei ist ein Hinterzimmer voller Akten. „Wir verdienen die schnelle Mark, sagen die.“ Sie schaut auf, ihre Augen sind unschuldig. „Und? Was machen die anders?“ Die haben bloß kleinere Schiffe. Sie greift eine neue Zigarette. „Der Pole macht alles kaputt.“ Um über fünfzig Prozent sei der Umsatz seit März zurückgegangen, Summen nennt sie nicht. Jetzt verhandeln Staatssekretäre aus Warschau und Berlin. Ergebnisse seien im Juni zu erwarten. „Im Juni?“ Inge Bocklage versteht nichts mehr. „Im Juni erst? Da können wir dichtmachen.“ Sie stößt eine Rauchsäule in den Raum. Die schnelle Mark ist langsam geworden.

So langsam, wie die „Adler Princess“ wieder in Altwarp anlegt. Drei Fischer schauen zu. „Das ist jetzt schön ruhig hier,“ sagt der eine. „Ausspülungen? Na klar gab’s Ausspülungen“, sagt der andere. „Die sind ja schon über unser Netz gefahren“, sagt der dritte. „Das hätten Sie mal sehen sollen, wie die losgeprescht sind. Die hatten ja nie Zeit.“ Ein blauer Kahn schaukelt zu ihren Füßen. Einer reicht das Wort zum Nächsten. „Das war doch nicht mehr auszuhalten.“ Als der Hafen ausgebaggert wurde, habe die Reederei den Sand nachts abfahren lassen, um die Butterfahrten nicht zu stören. „Man kam ja nicht mal mehr mit dem Auto vom Hof. Staus im Dorf und vor dem Dorf auch.“ Langsames Kopfschütteln. „Der Hafen wurde eigentlich für den Tourismus gebaut. Dafür gab’s Geld aus Brüssel. Das da“ – die Hand geht zum Schiff – „hat doch nichts mit Tourismus zu tun. Da verdient doch nur einer dran.“ Der Chef der „Adler“-Schiffe sitze auf Sylt. „Na, nu ist ja Schluss.“ Solche Widerrede ist selten. Hier in Altwarp arbeiten viele bei der Insel- und Halligreederei. Da lobt man den Erfolg – oder schweigt.

Die „Adler Princess“ ist vertäut. Von den renitenten Fischern weiß der Kapitän nichts. „Mal sehen, wie das weitergeht.“ Bernhard Genschow steht in seinem Penthouse, unten wandern Kisten in den Schiffsbauch – neue Ladung für morgen, Flaschen klirren, das Schiff vibriert. „Vielleicht haben wir’s auch übertrieben“, sagt der Kapitän. Der blaue Kahn schaukelt noch, die Fischer sind längst weg.

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