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Justiz kennt keine Faulheit

Weil tausende Jobsuchende gegen Beschäftigungsvorschläge des Arbeitsamtes klagen, ist das Sozialgericht gefragt. Gestern wurden drei Fälle verhandelt. Die Kläger sind nicht chancenlos

von KATJA BIGALKE

Seit Bundeskanzler Gerhard Schröder im April die Arbeitslosen aufs Korn nahm, ist eine Debatte um das „Recht auf Faulheit“ entbrannt. Im Berliner Sozialgericht wird dies schon seit über dreißig Jahren verhandelt. Das nennt sich zwar nicht „Faulheit“ sondern „selbstverschuldete Arbeitslosigkeit“. Wenn Arbeitslose ihre Arbeitslosigkeit selber mitverschulden, dann werden ihnen die Arbeitslosengelder gesperrt (siehe Kasten). „Es gibt laut Gesetz kein Recht auf Faulheit“, betont Michael Kanert, Sprecher des Sozialgerichts. „Aber in Fällen der Ablehnung eines Arbeitsverhältnis kann man noch lange nicht von faulen Arbeitslosen sprechen.“ Die Beschäftigung müsse den Arbeitslosen zumutbar sein. Und das ist keine Frage der politischen Wertung, sondern wird akribisch vor Gericht geprüft. Gestern wurden beim Sozialgericht Berlin drei solcher Fälle verhandelt.

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Petra B. ist seit Januar 1999 arbeitslos. Früher war sie Erzieherin, dann wurde ihr im letzten Jahr ihres Mutterschaftsurlaubs gekündigt. Sie kennt das Arbeitsamt Berlin-Ost in- und auswendig. Vier Angebote hat sie abgelehnt, weil sie nicht bis in den späten Abend arbeiten wollte. Das fünfte hätte eigentlich gepasst. Erzieherin in einem Jugendclub eines freien Trägers. Der einzige Schwachpunkt: Petra B. ist Mitglied der Hellersdorfer CDU-Fraktion. Und die lehnt freie Träger in Hellersdorf ab. Außerdem sitzt Herr D. im Vorstand des Jugendclubs. Den kennt Petra B. vom Jugendhilfeausschuss Hellersdorf. Und er ist in der PDS. „Das wäre, wie beim Klassenfeind arbeiten“, argumentiert Petra B. vor Gericht. Mobbing wäre sicher zum großen Problem geworden, sagt sie. Petra B. lehnte das Angebot ab und verlor daraufhin für drei Monate ihre Arbeitslosenhilfe. Politische Motive gehören zu den „personenbezogenen Gründen“, die gegen eine Sperrzeit geltend gemacht werden können. B. hat es sich laut Gericht jedoch etwas zu einfach gemacht. Ohne sich überhaupt einmal mit dem potenziellen Arbeitgeber zu unterhalten, habe sie das ansonsten zumutbare Angebot abgelehnt. Der Klage gegen die Sperrzeit wird nicht stattgegeben.

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Nach Frau B wird Elka Z. ins Gericht gebeten. Im Gegensatz zu der resoluten Petra B. mit den blondierten Haaren und dem beigen Jackett, wirkt Elka Z. eher schüchtern, eher geknickt. Sie bezieht eine Arbeitslosenhilfe von 1.100 Mark monatlich. Eine Sperrzeit von drei Monaten bedeutet für die unverheiratete Frau den Entzug der Existenzgrundlage. Als das Arbeitsamt ihr eine Stelle in einem Kinderprojekt des Demokratischen Frauenbunds angeboten hatte, war Z. erst sehr enthusiastisch. Probleme hatte Z. nur mit ihrem Gehalt. Ihr war ein Bruttogehalt von 1.971 Mark genannt worden. Netto wären ihr nach eigener Rechnung 1.400 Mark geblieben. Selbst dieses Gehalt hätte sie in Kauf genommen. Nachdem sie aber die Arbeitgeberin Marie Luise Ortlieb nach ihrem exakten Nettogehalt fragte, reagierte diese sehr zögerlich, obwohl beide ursprünglich großes Interesse an einer Zusammenarbeit zeigten. Danach war die Stimmung hin. Ortlieb fasste die zaudernde Haltung der Klägerin als Ablehnung auf und meldete dies dem Arbeitsamt. Daraufhin wurde Elka Z.s Arbeitslosenhilfe gestrichen. Die Ablehnung eines Arbeitsverhältnisses dessen Gehalt 200 Mark über der Arbeitslosenhilfe liegt, sei nicht akzeptabel, so das Arbeitsamt. Weil es aber offenbar zu Missverständnissen zwischen Elka Z. und Ortlieb gekommen war, ließ das Gericht mildernde Umstände gelten. Sechs Wochen Arbeitslosenhilfe werden Elka Z. zurückerstattet.

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Karin B. ist ganz gut gelaunt. Die Frau mit den feuerrot gefärbten Haaren sitzt neben ihrer Rechtsanwältin und holt ein Buch hervor, das sie vor fünf Jahren in Berlin zum Thema Juden in Friedrichshain mit herausgegeben hat. Bei diesem Projekt habe sie einen 75-jährigen, nach Amerika emigrierten Juden kennengelernt, der mit der Zeit zu einem guten Freund geworden sei. Dass sie den Beruf bei einem Behindertenverband nicht angenommen hätte, habe mit diesem Freund zu tun. Der hätte sich mit seiner Familie für einen Besuch in Berlin angemeldet. Zwei Wochen wollte sie den älteren Menschen ein neues Berlin zeigen. Bei ihrem Vorstellunggespäch habe sie daher nach einem zweiwöchigen Urlaub gefragt. Der wurde ihr aber verwehrt. Karin B. findet es unzumutbar, dass ihr dafür kein Urlaub gewährt wird und ihr zudem noch das Arbeitslosengeld gestrichen wird. Bei dem potenziellen Arbeitgeber hatte sie ihr Anliegen aber nicht detailliert genug beschrieben. Ihre Einschätzung war: „Wenn ich denen sage, dass mich ein jüdischer Freund besucht, das hätten die überhaupt nicht verstanden.“ Das Gericht lässt auch in diesem Fall mildernde Umstände gelten. Auch Karin B. bekommt sechs Wochen Arbeitslosengeld zurückerstattet.

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