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Die Opfer warten weiter

Die Stiftungsinitiative beharrt darauf: Alle „relevanten Klagen“ gegen deutsche Unternehmen müssen abgewiesen werden

von PHILIPP GESSLER

Ist das der Durchbruch? Die New Yorker Richterin Shirley Kram hat die Klagen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter gegen deutsche Banken, in Sammelklagen zusammengefasst, abgewiesen. Damit ist paradoxerweise ein entscheidender Schritt getan, dass die zwischen 750.000 und 1,5 Millionen Opfer der Nazis das Geld erhalten, das ihnen die Wirtschaft und die Bundesregierung schon seit zwei Jahren zugesagt haben.

Zehn Milliarden Mark sind zur Entschädigung der während des Krieges nach Deutschland verschleppten Männer, Frauen und Kinder vorgesehen. Die Wirtschaft besteht bisher jedoch darauf, dass alle „relevanten Klagen“ gegen deutsche Unternehmen vor einer Auszahlung der Gelder abgewiesen werden müssen. Nur dann sei „Rechtssicherheit“ gegeben – und nur dann könne man zahlen, ohne befürchten zu müssen, zu weiteren Zahlungen verdonnert zu werden.

Wann also bekommen die mittlerweile alten Menschen ihr Geld? Der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski, bekräftigte gegenüber der taz erneut, es dürfe erst ausgezahlt werden, wenn alle „relevanten Klagen“ abgewiesen seien. Doch welche der etwa zwei Dutzend anhängigen Einzelklagen dies sind, wollte er gestern nicht sagen.

Richterin Kram hatte sich bisher zweimal geweigert, die Sammelklagen gegen die deutschen Unternehmen abzuweisen, obwohl selbst die Anwälte der Opfer dies befürwortet hatten. Sie fürchteten, dass sonst das Geld zu spät kommen würde: Schon jetzt seien seit der Einigung auf Entschädigung hunderttausend Menschen gestorben, die Anspruch auf eine Entschädigungszahlung gehabt hätten, meint der Vizevorsitzende des Internationalen Auschwitz-Komitees, Noah Flug.

Richterin Shirley Kram hatte beim ersten Mal eine Abweisung der Klage abgelehnt, da sie monierte, dass die Entschädigungssumme noch nicht vollständig aufgebracht sei. Daraufhin hatte die Wirtschaft für ihren Anteil von fünf Milliarden Mark die Garantie abgegeben, das Geld zur wirklich Verfügung zu stellen. Bisher allerdings ist diese Summe immer noch nicht aufgebracht worden.

Doch auch diese Zusicherung der Wirtschaft reichte Richterin nicht: Sie lehnte überraschenderweise erneut eine Abweisung der Klagen ab, da sie die in Österreich ausgebeuteten NS-Zwangsarbeiter noch nicht ausreichend entschädigt sah. Die Entschädigungssumme von 40 Millionen Dollar aus einem österreichischen Entschädigungsfonds war von der Richterin selbst nach Verhandlungen festgelegt worden. Offenbar hatte sie sich jedoch darauf verlassen, dass die österreichischen Banken bei deutschen Banken noch zusätzliche Gelder für die Zwangsarbeiter locker machen würden. Als absehbar war, dass dies wohl nicht möglich sein würde, so vermuten Insider, habe sie ihren Fehler erkannt und versucht, durch zusätzliche Forderungen an die deutsche Seite die Entschädigungssumme für die Zwangsarbeiter der österreichischen Seite zu erhöhen.

Gegen die Entscheidung zur Abweisung der Sammelklage hatten die deutschen Banken Berufung eingelegt. Dazu sollte am Dienstag kommender Woche eine Anhörung stattfinden sollte. Offensichtlich aber habe Richterin Kram absehen können, so heißt es sowohl von der Seite der Wirtschaft als auch von Seiten der Opfervertreter, dass sie bei der Berufung scheitern würde. Deshalb habe sie sich nun entschlossen, ihre eigene Entscheidung zu revidieren und die Sammelklagen tatsächlich abzuweisen.

Allerdings knüpfte die Richterin dies an zwei Bedingungen, die es nicht zuletzt ermöglichen sollen, dass sie ihr Gesicht wahrt: Zum einen drückte sie die Erwartung aus, dass die Entschädigungsgelder noch vor dem Sommer ausgezahlt werden können. Zum anderen sichern die mittel- und osteuropäischen Opfer-Vertreter zu, sich dafür einzusetzen, dass die früheren Zwangsarbeiter österreichischer Unternehmen ebenfalls Geld aus dem deutschen Entschädigungstopf erhalten. Klar ist jedoch nur eines: Die Opfer müssen weiter warten.

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