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Lawrence von Bayern

Nach „Motiven“ aus dem Leben und Sterben des homosexuellen Volksschauspielers Walter Sedlmayr hat Sat.1 ein sehenswertes Psychodrama produziert („Wambo“, am Muttertag, 20.15 Uhr, Sat.1)

von ARNO FRANK

Zum intimen abendlichen Rendevouz bringt der Stricher dem verehrten „Volksschauspieler“ Herbert Stieglmeier einen Strauß roter Rosen. Der öffnet nackt die Türe, den schwammigen Körper nur in eine Schürze gehüllt, pflückt eine Rose aus dem Bouquet, schnuppert gerührt an der Blüte – und bittet seinen Besucher, sie ihm in den Arsch zu schieben. Mit Dornen.

Nein, überraschend wenig überlässt die Sat.1-Produktion der Fantasie der Zuschauer. Vielmehr erhellt „Wambo“, was allzu lange der Phantasie des Publikums überlassen blieb: Das dunkle Doppelleben des 1990 ermordeten Walter Sedlmayr, der öffentlich den gemütlichen, wertfesten, bayerischen Kleinbürger gab, privat aber eine sadomasochistisch geprägte Homosexualität lebte. Thematisch natürlich ein gefundenes Fressen für die notorischen „TV-MovieMovieFilmFilmMovie“-Macher bei Sat.1. Umso ungewöhnlicher aber ist der Anspruch, mit dem Regisseur Jo Beier und sein beängstigend authentischer Hauptdarsteller Jürgen Tarrach die biografischen Spannungen in Szene setzen.

So beginnt und endet der Film mit Stieglmeiers Beerdigung, auf der die Beteiligten sich an das Leben des Verstorbenen erinnern – wie bei David Leans Epos „Lawrence von Arabien“, im Kern ebenfalls das tragische Porträt eines Sadomasochisten. Schwächen zeigt „Wambo“ nur dort, wo er küchenpsychologisch in der Vergangenheit gründelt, wo er versucht, eine traumatische Ursache für Stieglmeiers sexuelle „Macke“ zu konstruieren: Böser Papi, tapfere Mami, dazu plärrt Hitler aus dem Küchenradio.

Dass Stieglmeier/Sedlmayr genau dafür geliebt wurde, was er nicht war, ist die eigentliche Tragödie – und wird eindringlich geschildert. Noch am Tag seiner Ermordung ließ die Paulaner-Brauerei aus Sorge um konservative Kunden die Plakate mit ihrem Werbepartner Sedlmayr abreißen. Diese Scheinheiligkeit des Münchner Establishements wird in „Wambo“ an „Theresienbräu“ durchdekliniert. Dem Regisseur genügen Details, um die Einsamkeit Stieglmeiers in einer latenten Machowelt zu illustrieren: Wenn etwa der ach so ehrenwerte Fernsehdirektor seine Sekretärin mit einem lässigen Klaps auf den Po verabschiedet, wer ist dann das Schwein?

Jedenfalls nicht Stieglmeier, der sich sein barockes Schlafzimmer mit männlichen Putti dekoriert, im Heiligen Sebastian seinen privaten Schutzheiligen erkennt und die Mutter (brilliant verkörpert von Ruth Drexler) vergöttert. Da sei Sat.1 selbst die maliziöse Wahl des Sendetermins verziehen: Heute ist Muttertag. Sogar die Frage, wer ihn denn nun ermordet hat, wird am Ende buchstäblich durch die Blume beantwortet.

Wie aktuell das Thema heute noch ist, ließ sich übrigens kürzlich bei Tarrachs Promo-Besuch im „Boulevard Bio“ bestaunen. Der schwule Biolek, mit sich selbst offenbar im Reinen, plauderte offensiv über gedeckelte Homosexualität. Und ausgerechnet Tarrach geriet, eingedenk der kniffligen Situation, heftig ins Schlingern: „. . . jetzt habe ich den Faden verloren.“ Mit Schweiß auf der Stirn ruderte der Schauspieler nach Worten – und war plötzlich wieder ganz der verklemmte Stieglmeier.

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