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Bürgerschreck-Aktionen in der Mausefalle

Im Vorfeld seiner „Hamlet“-Inszenierung in Zürich hat Christoph Schlingensief manch mediale Schlacht gewonnen. Nun lief die Premiere über die Bühne – und es zeigt sich, dass der Regisseur an jenes Theater glaubt, das er zu verneinen meint. Die aussteigewilligen Rechtsradikalen rocken dabei das Haus

Die Debatten hatten eine Heftigkeit, von der Theater sonst nur träumen können

von TOBI MÜLLER

Fortinbras ist dieser positiv denkende Krieger aus Norwegen, der am Ende gewinnt. Kommt mit seiner schlagkräftigen Truppe einfach so von Norden her nach Dänemark, um alte Rechnungen der Väter zu begleichen, und erbt den Thron. Weil alle tot sind.

Christoph Schlingensief spielt in seinem Zürcher „Hamlet“ den Fortinbras. In den Wochen zuvor aber, während all den heftig kommentierten Straßenaktionen, gab er vor, Hamlet zu sein. War es am Ende nicht umgekehrt? Schlingensief / Fortinbras ist dieser positiv denkende Krieger aus Deutschland, der mit seinen Rechtsradikalen ans Schauspielhaus Zürich kommt und gleich König der Medien wird. Weil alle tot sind, die Schlingensief als Aktionist zitiert: Beuys, Fassbinder, Luxemburg.

Und nun sitzt man da, im Plüschtheater am Pfauen, schaut sich anderthalb Stunden das Produkt dieser Aufregung an und spürt kaum mehr etwas von der Hitze, die seine Herstellung freisetzte. Man sieht ein bisschen Antikunst im Kunstgewand. Wobei sich das Anti auf eine Kunst bezieht, die auch im Theater schon länger tot ist. Denn der 1963er-Hamlet von Gustaf Gründgens läuft vom Band, Hamlet trägt ein schwarzes Wams, und es gibt mal richtigen Rechtsrock, ganz laut, wobei das berühmte Spiel im Spiel, die Mausefalle, ihren Dienst verweigert, weil der zu überführende Königsmörder König Claudius pennt. Vor fünf Jahren ging der letzte „Hamlet“ über die Zürcher Pfauenbühne, da gab es Deep Purple, ganz laut, und Claudius war ebenso unberührt vom schauspielerischen Treiben. Ein Rückblick.

Trotz bestens dokumentierten Projekten Schlingensiefs schien Zürich nicht gefasst auf das, was da kam. Vielleicht erwartete man wieder Behinderte (wie meistens), etwas mit Asylbewerbern (wie in Wien, wo per Ted die Bewohner eines Asylcontainers weggewählt werden konnten) oder sonst was Lustiges wie die eine oder andere lokalbezogene Parodie. Vielleicht etwas zu Geld und Sauberkeit, bitte?

Als alter Popguerillero weiß Schlingensief, dass man sich die schlimmsten Fremdzuschreibungen am besten gleich zu eigen macht. Zum Beispiel solche: Deutsche reißen immer gleich ihr Maul auf, sondern voreilige Kommentare zur Schweiz ab und meinen dabei Deutschland. Als bekannt wurde, dass im Zürcher „Hamlet“ deutsche, von der Bundeszentrale für politische Bildung finanzierte, zum Ausstieg entschlossene Neonazis die Schauspieltruppe darstellen würden, hielt sich die Empörung aber noch in Grenzen. Wenn das Berliner Theatertreffen die Neonazi-Szenen nachträglich und unbesehen einlädt, dann muss das ja schließlich Kunst sein. Und das darf der Deutsche immer: Kunst machen.

Nur die Schweizerische Volkspartei (SVP), die in den letzten Jahren mit einem rechtspopulistischen und oft genug ausländerfeindlichen Kurs viele Erdrutschsiege errungen hat, sieht das traditionsgemäß etwas anders. Ausgerechnet Christoph Mörgeli, einer der profiliertesten SVP-Scharfmacher, versuchte letztes Jahr den berühmtesten Schweizer TV-Komiker Viktor Giaccobo vor die Rassismuskommission zu bringen, weil dieser mit seiner Inderfigur eine Volksgruppe verunglimpfe. Mörgeli war zumindest gefitzt genug, seinen Vorstoß nachträglich selbst als Satire zu bezeichnen. Darauf wartet Zürich jetzt noch. Bereits im Januar nämlich forderte die Zürcher SVP im Stadtparlament, man müsse Schlingensiefs „Hamlet“ rechtzeitig prüfen. Wehe, es würden rassistische Sprüche auf der Bühne fallen. Ob jemand an allfällige Prozesskosten gedacht habe? Die SVP, so musste man befürchten, schlägt Schlingensief mit seinen eigenen Waffen, sie antizipiert ihn.

Schlingensief schlug im April zurück, wie es ökonomischer gar nicht mehr geht. Ein Tisch, ein Megafon, ein paar rote Jacken und Armbinden mit der Aufschrift „naziline.com“, dem Internetpartner der Aussteigeraktion. Und genau zwei Parolen, eine Woche lang auf öffentlichen Plätzen verbreitet: Verbietet die SVP, verbietet den Eishockeyclub ZSC-Lions (der personell mit der SVP verbandelt ist und ein massives Hooliganproblem nicht entschieden genug angeht). Die zirkuläre Rede wurde nun immer schneller: Die SVP benutzt die Waffen Schlingensiefs benutzt die Waffen der SVP benutzt . . .

Das war die eigentliche Mausefalle, und sie ist mit einer Heftigkeit zugeschnappt, von der Theater nur träumen. Die Meldungen und Interviews jagten sich täglich, man diskutierte über Kunst oder Nichtkunst, Ernst oder Spaß, Sein oder Nichtsein eben. Wer weiß, was in den letzten Jahren unter anderem in Hamburg, Berlin oder Wien passiert ist, musste etwas traurig werden. Denn im Vergleich zu den großen Städten geschah in Zürich nichts mit prozessualem Charakter: Schlingensief zeichnete bloß jene Linien nach, die jede innenpolitische Diskussion der Schweiz seit rund zehn Jahren prägen. Da die bellende SVP, dort die Gutmenschen, die immer klatschen, wenn jemand für sie sagt: Die SVP ist blöd. Der SVP wieder mal auf die Füße zu treten: Das kommt jedem dritten Assistenten in den Sinn, jedem Touristen, fast jedem Schweizer in letzter Zeit leider auch. Ich glaube, so was hieß mal reaktionär (mit ungebrochenem Erfolg: viele Schmähbriefe sind im Programmheft, Trophäen gleich, abgedruckt).

Erst als die Rechtsradikalen endlich in Zürich eintrafen, entstand eine Irritation quer durch die Lager. Verschafft man denen nur ein Forum für ihre Zwecke, wird Schlingensief missbraucht, gibt es Zoff, werden Übergriffe die Premiere stören? Die Aussteigewilligen sollen nicht R.A.U.S. (so heißt das bundesdeutsche Projekt) aus der Szene, sondern rein in die Gesellschaft, erzählte Schlingensief jedem Mikrofon, jeder Kamera. Und siegte endlich ganz nach Punkten: nicht als Klischee-Deutscher, nicht als Fortinbras, sondern als gescheiter, charmanter, aggressiver Christoph Schlingensief, der noch die berüchtigtsten Talkmeister gnadenlos sympathisch in die Ecke trieb und sowohl die „Politclown“- wie die „bloßer Provokateur“-Vorwürfe wortreich abwehrte. Denn Schlingensief meint es immer ernst, dummerweise hat das fast nur die SVP begriffen.

Dummerweise nimmt Schlingensief aber auch das Theater furchtbar ernst. Die Inszenierung, das Produkt, müht sich ab an einem vielfach fantasierten, aber kaum mehr existierenden Deklamationstheater, kleidet sich in das historische Gewand deutscher Nachkriegs-Theaterrestauration, für die hier Gründgens steht. Schlingensief manifestiert just in der Abgrenzung seinen Glauben an das „verstaubte“ Theater. Dieses Theater ist genau so ein Phantom wie der Vatergeist bei Shakespeare, der Hamlet den Auftrag erteilt, zu töten. Die „Nazis“ haben ihre paar Auftritte, verlesen ein Manifest, das ihren Willen zum Ausstieg kund tut, und dürfen einmal das Haus rocken. Das sieht aus wie (auch hier: totes) Bürgerschrecktheater, das sich die großen Häuser vor Jahren schon geleistet haben. Ökonomisch heißt eben auch: dass Prozesse (die Aktionen) im warenförmigen Produkt verschwinden. Dieser „Hamlet“ ist extrem warenförmig.

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