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Ohne Polizeischutz geht nichts

„Feinde des Volkes“ sind in den Augen der ETA alle, die nicht nationalistisch denken. „Ich bin auch Baskin“, sagt eine Anhängerin der Volkspartei

aus Barakaldo und Getxo REINER WANDLER

Noch in der Vorhalle des Schauspielhauses beginnt die Verwandlung. Die Menschen wirken bei jedem Schritt angespannter. Sie reden immer leiser. Sobald sie durch die große, gläserne Flügeltür hinaus auf die Straße treten, lassen sie scheu ihre Blicke schweifen, dann verschwinden sie schnell in den Seitenstraßen. Kaum einer wählt den Weg hinauf, über den nur wenige Meter entfernten, weitläufigen Rathausplatz von Barakaldo, einem Industrieort bei Bilbao.

Eben noch haben die knapp tausend Besucher im Theater dem Mann zugejubelt, dem sie am nächsten Sonntag ihr Vertrauen schenken wollen: Jaime Mayor Oreja von der in Madrid regierenden Volkspartei (PP). Jetzt weichen sie der Frage aus, was sie sich vom ehemaligen spanischen Innenminister erwarten, sollte er Chef der Autonomieregierung im Baskenland werden. „Alles“, mindestens „vieles“ soll er besser machen als der jetzige Chef der Autonomieexekutive, der baskische Nationalist Juan José Ibarretxe. Schnell dahingemurmelte Gemeinplätze, mehr ist nicht in Erfahrung zu bringen.

„Die Menschen haben Angst“

Nur eine bleibt stehen. „Ich hoffe, dass er mit ETA Schluss macht, damit wir endlich in Freiheit leben können“, sagt eine Frau Mitte fünfzig mit lauter, sicherer Stimme. Blanca heißt sie und ist Hausfrau und Mutter von drei Kindern. Ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen. „Ich bin genauso Baskin wie die von der PNV“ – der regierenden Baskisch-Nationalistischen Partei – fügt sie hinzu, dann folgt sie ihrem Mann, der bereits einige Meter weitergegangen ist, um nicht befragt zu werden.

„Die Menschen haben Angst“, erklärt Rafael Carriegas. Der 36-Jährige ist Gemeinderat für die PP in Barakaldo. „Die Freiheit gewinnt“, steht auf den Handzetteln, die Carriegas und die Seinen in der Vorhalle zum Theater verteilen. Auf die Straße geht er nicht: „Zu gefährlich.“

Der gesamte Vorplatz wimmelt von Herren in Lederjacken mit dem Knopf eines Funkgerätes im Ohr. Unter der Achsel sind die Jacken ausgebeult. Ein paar dutzend Meter weiter kontrollieren Beamte der Baskenpolizei Ertzaina die Straße. Die kugelsicheren Westen lassen die Uniformierten besonders martialisch erscheinen.

Wenn Carriegas Worte wie „Angst“ oder „Gefahr“ ausspricht, weiß er, was er sagt. Sein Leben ist von der Gewalt der ETA geprägt. 1979 erschoss die Separatistenorganisation seinen Vater, die Nummer 2 auf der Kandidatenliste der rechten Union Foral del País Vasco bei den Wahlen zum Parlament in Madrid. Während der ältere Bruder den Schock nie überwand, beschloss der damals gerade 14-jährige Carriegas, selbst einmal in die Politik zu gehen.

1991 wurde er für die PP Gemeinderat in Barakaldo. „Seither kann ich mich nur noch mit Leibwächtern bewegen“, erzählt er und spielt dabei nervös mit seinem vergoldeten Kugelschreiber. 13 Vertreter seiner Partei wurden in den letzten Jahren Opfer der ETA. 800 Gemeinderäte und politische Funktionäre der beiden nichtnationalistischen Parteien, der konservativen PP und der sozialistischen PSOE, müssen sich rund um die Uhr bewachen lassen.

„Feinde des baskischen Volkes“

Für die ETA und ihr Umfeld sind alle, die nicht nationalistisch denken, „Fremde“, „Feinde des baskischen Volkes“. Selbst wenn sie wie Carriegas oder Mayor Oreja im Baskenland geboren sind. Die ständige Bedrohung geht nicht nur von den bewaffneten Kommandos aus. Radikale Jugendgangs nehmen sich Wochenende für Wochenende Wohnungen und Pkws von Politikern und deren Familienangehörigen zum Ziel.

Carriegas ändert regelmäßig seinen Tagesablauf. Er besucht nie zweimal hintereinander die gleiche Kneipe. Spaziergänge durch den Ort oder am nahe gelegenen Atlantik sind tabu. „All das wäre ja einzusehen, wenn ich Regierungschef wäre, aber als einfacher Gemeinderat . . .“ Er schüttelt den Kopf.

Carriegas und mit ihm viele andere PP-Politiker haben durchgehalten. „Nur wenige Leute trauen sich, offen ihre Sympathie für uns zu bekunden. Trotzdem bekommen wir immer mehr Stimmen.“ Längst haben sich die PP-Politiker mit ihrer standhaften Haltung auch im Umfeld der baskischen Nationalisten Respekt verschafft. So mancher, der bisher PNV wählte, wechselt. Zwar liegt Mayor Oreja nur auf Platz zwei hinter dem Kandidaten der PNV, Juan José Ibarretxe, aber Dank eines Paktes mit dem politischen Gegner in Madrid, der PSOE, könnte es ganz knapp zur absoluten Mehrheit reichen.

„Die haben uns einfach keine andere Möglichkeit gelassen, als mit der PP zu paktieren“, sagt Jesús Gil. Der alte Mann gehört zu den Sozialisten, die selbst zu Zeiten der Franco-Diktatur in den Fabriken am Ufer des Nervions politisch aktiv waren. Zweimal bezahlte Gil dafür mit Gefängnis. „Dass wir jetzt mit den Rechten zusammengehen müssen, das fuchst mich schon“, sagt er wütend. Er nippt an seinem Wein, den er wie jeden Nachmittag in der Kneipe im Sitz der PSOE trinkt. Für ihn sind die radikalen baskischen Nationalisten aus dem ETA-Umfeld „Nazis“. Vier Sozialisten hat die ETA alleine in den letzten beiden Jahren ermordet. Unzählige PSOE-Büros gingen in Flammen auf.

Gil beschuldigt die PNV, nach 17 Jahren Koalitionsregierung die Zusammenarbeit mit der PSOE aufgekündigt zu haben, um mit dem ETA-nahen Wahlbündnis Euskal Herritarrok (EH) den Weg in die Unabhängigkeit zu gehen. Die aufgezwungene Schützengrabenmentalität schmerzt den Alten sichtlich. Er fühlt sich verraten, denn mit so manchem Nationalisten verbindet ihn eine gemeinsame Vergangenheit im antifranquistischen Widerstand, während viele PP-Politiker aus den franquistischen Familien Spaniens und des Baskenlandes stammen.

„Wir müssen einfach gewinnen, alles andere wäre eine Katastrophe für das Baskenland“, sagt ein Mann auf dem Bahnhofsvorplatz in Getxo, einer Hochburg der Nationalisten, auf der anderen Seite des Nervion-Flusses. Er besucht eine Veranstaltung von PNV und der kleineren Baskischen Solidarität (EA). Anders als in Barakaldo pressen sich in Getxo keine grauen Wohnblocks eng an die Hänge der hügeligen Flusslandschaft. Hier ist alles weitläufig. Große Plätze gibt es und eine grüne Uferpromenade. In Getxo wohnt das baskische Bürgertum.

„Wir sind die Einzigen, die von hier für hier regieren“, hallt die Stimme des bisherigen Chefs der Baskenregierung, Juan José Ibarretxe, über den Platz. Die baskische PP und PSOE sind für ihn „von Madrid aus ferngesteuert“. Zwei aufblasbare Gummiriesen tanzen durch die Menge, die Kinder drängen sich an der Waffelbude oder hüpfen ausgelassen auf einem Lufttrampolin. Die Terrassen der umliegenden Kneipen sind voll besetzt. Eine Handvoll Polizisten beobachtet gelangweilt das Wahlfest.

„Wir müssen gewinnen!“

Ibarretxe wird immer wieder von stürmischem Beifall unterbrochen. Der Applaus befreit für kurze Augenblicke von den tief sitzenden Verlustängsten. Bei den letzten spanischen Parlamentswahlen im März 2000 hat die PP in Getxo erstmals die PNV knapp überholt. Die Hochburg droht dieses Mal endgültig an die spanienweit agierenden Konservativen verloren zu gehen. Schuld daran ist nicht zuletzt die Politik des PNV-Bürgermeisters von Getxo. Iñaki Zarraoa regiert mit der Unterstützung von EH. Das Bündnis brach selbst dann nicht auseinander, als ETA zwei Autobomben in Neguri, dem reichsten Stadtteil von Getxo, zündete und radikale Jugendliche die Wohnung der Schwester einer PP-Gemeinderätin in Brand steckten. EH weigert sich, die Gewalt zu verurteilen, die PNV sieht trotz heftiger Proteste der Opposition gelassen darüber hinweg.

„Wir müssen gewinnen“, sagt ein älterer Herr mit Baskenmütze. „Wir werden gewinnen“, verbessert ihn seine Frau. Dass es für PNV und EA auf keinen Fall zur absoluten Mehrheit reichen wird und die gemäßigten Nationalisten deshalb Unterstützung von einer anderen Fraktion brauchen, ist auch den beiden klar. Nach kurzem Schweigen platzt es aus ihr heraus: „Warum nicht mit EH regieren, wenn ETA die Waffen niederlegt?“ Dass darauf nichts hindeutet, darüber wollen die beiden nicht reden. „Komm!“, sagt der Mann und nimmt seine Frau am Arm. Das Paar wendet sich ab und schlendert gemächlich hinüber zu den Lufttrampolins. „Multiobstáculo“ steht über der Springburg, in der sich ihr Enkel vergnügt. Übersetzt heißt das „viele Hindernisse“.

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