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Deutsche Seelenkrankheiten

Türken haben keinen Anspruch auf Psychotherapie in ihrer Muttersprache  ■ Von Heike Dierbach

Wer in Hamburg psychisch krank wird und kein Deutsch spricht, hat Pech: Es gibt keinen rechtlichen Anspruch auf Therapie in „einer anderen als der deutschen Sprache“. Mit diesem Argument hat der Zulassungsausschuss für Ärzte den Antrag eines türkischstämmigen Psychotherapeuten auf Sonderzulassung abgewiesen. Heute entscheidet der Berufungsausschuss über dessen Widerspruch.

Kaya Gülbeyaz hat in Hamburg Psychologie studiert und ist ausgebildeter Verhaltenstherapeut. Um mit den Kassen abrechnen zu können, braucht er – wie ein Arzt – eine Zulassung. Da aber Hamburg eine „Überversorgung“ mit Therapeuten hat, ist es fast unmöglich, hier zugelassen zu werden – es sei denn, man kann eine „Leistung“ anbieten, die andere Therapeuten nicht haben. „Therapie auf türkisch ist eine solche Leistung“, findet Gülbeyaz. Schließlich gebe es in ganz Hamburg – mit seinen rund 70.000 türkischen EinwohnerInnen – nur zwei zugelassene türkischsprachige TherapeutInnen, „die haben Wartezeiten von über einem Jahr“. Gülbeyaz bekommt pro Woche fünf bis zehn Anrufe von HamburgerInnen, die Hilfe suchen und kein Deutsch sprechen.

Und keinen Anspruch auf Therapie auf türkisch haben, findet der Zulassungsausschuss, in dem VertreterInnen der Krankenkassen, ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen sitzen. Er stützt sich dabei auch auf die Meinungen der Ersatzkassenverbände und der Kassenärztlichen Vereinigung, die Gülbeyaz' Antrag ebenfalls abgelehnt haben. Alle drei berufen sich auf ein entsprechendes Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG), nach dem „kein Anspruch auf Behandlung in der Muttersprache“ bestehe. „Es liegt am BSG oder am Gesetzgeber, das zu ändern“, sagt der Vorsitzende des Ausschusses Bernd Sievert. Die Frage sei allerdings, „wenn man einmal anfängt, für eine Sprache einen Bedarf festzustellen, wo man dann aufhört“.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, der Hamburger Professor Hakkl Keskin, ist „empört über so eine schiefe, aber leider auch typische Sichtweise“. Hier werde mit formalju-ristischen Argumenten eine Bevölkerungsgruppe – „zahlende Mitglieder der Kassen“ – von psychotherapeutischer Behandlung quasi ausgeschlossen: „Es ist absurd zu verlangen, dass die Leute erstmal ausreichend Deutsch sprechen.“ Er höre immer wieder, dass insbesondere türkische Frauen keine Hilfe fänden – „hier gibt es einen klaren Bedarf, nicht nur einen, sondern mehrere türkische Therapeuten zuzulassen“.

Sollte der Berufungsausschuss heute Gülbeyaz' Antrag wieder ablehnen, bliebe seinen KlientInnen nur, wie bisher, einzeln zu versuchen, ihre Therapie gegenüber ihrer Krankenkasse durchsetzen – manchmal zahlen diese dann doch. „Aber welcher Mensch, der psychisch krank ist, hat schon die Kraft für so einen Streit“, sagt Gülbeyaz. Noch dazu, wenn man wenig oder gar kein Deutsch spricht. Und welcher Sachbearbeiter einer deutschen Krankenkasse spricht schon türkisch.

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