: Er hält nicht still
aus Berlin KATHARINA BORN
Normalerweise versuchte er es mit dem Blick. Direkt in die Augen. Meistens sahen die Skins dann zu Boden, gaben es auf, ihm zu drohen. Doch als Cornelius Yufanyi auf dem Heimweg vom Büro der Flüchtlingsorganisation „The Voice“ die drei kahl geschorenen Köpfe im Dunkel auf sich zukommen sah, rannte er. Er schrie nicht, er rannte nur, bis er sie nicht mehr hinter sich spürte. Selbst wenn die Polizei gekommen wäre – in Jena war er illegal. Die Skins aber waren hier zu Hause.
Für sein Menschenrecht auf freie Bewegung sei er bereit, ins Gefängnis zu gehen und bis zum Europäischen Gerichtshof, sagt Yufanyi. Deutschland ist das einzige europäische Land, in dem eine Residenzpflicht für Asylbewerber gilt. Ohne Genehmigung der zuständigen Ausländerbehörde dürfen die Flüchtlinge den Landkreis nicht verlassen – um die Regionen gleichmäßig zu belasten und wegen der besseren Integration, heißt es. „Aber wie können wir alle unsere Probleme lösen, wenn wir nicht einmal aus dem Heim herauskommen und Leute sehen dürfen?“
In dem Kreuzberger Hinterhoftreppenhaus strahlt warm die Sonne durch das Fenster. Sein T-Shirt soll unbedingt mit aufs Foto. „BGS“ steht vorne drauf, für Bundesgrenzschutz, auf dem Rücken: „Menschenjäger, Schreibtischtäter“. Der 27-jährige Kameruner hat die Hände ein wenig unsicher in den Jeanstaschen, das Kinn gereckt, die tiefe Stirn glatt unter dem wuscheligen Haar. „Bin ich schön?“ „Beautiful“, sagt die Fotografin, und sie lachen.
Er spricht ein ganz weiches Deutsch, nach zwei Jahren fast fehlerfrei, „weil ich gleich reinkommen wollte in die Gesellschaft“, sagt er. „Weil ich die Leute direkt ansprechen wollte, um sie zu berühren.“ Das sei für ihn „challenge“, Herausforderung, und „conviction“, Überzeugung, und solche Dinge sagt er lieber in seiner Muttersprache, auf Englisch.
Über Yufanyis Asylantrag ist noch nicht entschieden. Er darf bleiben, weil er seine Göttinger Freundin geheiratet hat. Wegen der Papiere? Nein, aus Liebe. „Ich mag Heiraten und so was.“ In Berlin, wo er mit den übrigen Mitgliedern von „The Voice – Africa Forum“ und anderen Organisationen die Protesttage gegen das Residenzpflichtgesetz organisiert, übernachtet Yufanyi, wo gerade Platz ist, im Büro der Antirassistischen Initiative, bei Freunden oder im Kreuzberger Mehringhof. Den politischen Protest trägt er wie sein T-Shirt mit sich herum. „Wenn du was verändern willst, musst du dich bewegen“, sagt er.
Yufanyi kam im Januar 1999, nur mit einem T-Shirt und einer kaputten Jeans, direkt aus der Zelle in Kamerun ins frostige Deutschland. Das Heim für Asylsuchende zwang ihn wie alle anderen zum Abwarten. Ein Mitbewohner, ein Vietnamese, habe nach fast neun Jahren des Wartens auf den Asylbeschluss im Heim kaum noch ein Wort hervorgebracht, erzählt Yufanyi. Einen anderen habe nur noch ein psychiatrisches Gutachten aus tiefer Depression retten können – er durfte in die nächstgrößere Stadt ziehen. Ein Flüchtling schließlich war verzweifelt genug, sich zu erhängen. Yufanyi stockt nicht, er hat die Geschichte schon zu häufig erzählt.
„Or something like that“, relativiert er jeden Satz, der seine eigene Geschichte erzählen soll. Als wüsste er nicht mehr, ob er geweint hat auf der Polizeiwache in Osnabrück nach der Flucht. Als habe er vielleicht gekämpft gegen die Missstände am Biochemischen Institut der Universität der Hauptstadt Jaunde, wo aufmüpfige Akademiker spurlos verschwanden – „oder so etwas in der Art“. Als habe er dafür nicht zweieinhalb Jahre im Gefängnis gesessen.
Mitten im Wald des thüringischen Kreises Eichsfeld, abgeschnitten vom Leben selbst der kleinsten Nachbarortschaft, mit Gutscheinen für den Sonderladen und einem Taschengeld von 80 Mark wollte Yufanyi die Entscheidung anderer über seine Zukunft nicht abwarten. Allein um die Ausnahmegenehmigung von der Residenzpflicht einzuholen, musste er 15 Mark Fahrgeld zahlen. Wochentags fuhr der Bus zweimal die 35 Kilometer bis nach Heiligenstadt, am Wochenende gar nicht.
Zuerst hielt er sich noch an die Regeln, „um zu zeigen, dass ich die Gesetze meines Gastlandes respektiere“. Der Respekt hielt nicht lange an: „Nicht die Nazis sind das Problem, sondern die Gesetze. Die Nazis sagen ‚Ausländer raus‘, und der Staat sorgt dafür, dass es geschieht.“ Yufanyi richtet sich auf. Die großen Worte erscheinen ihm nicht zweifelhaft. „Das Gesetz erlaubt eine Art Apartheid deutschen Stils. Eine bestimmte Gruppe von Menschen darf in diesem Land nur an bestimmten Orten sein, in bestimmten Läden gegen Gutscheine einkaufen und bestimmte Ärzte besuchen. Die Deutschen merken das gar nicht. Wenn sie eine Kontrolle sehen, sieht das für sie aus, als seien wir kriminell.“
Der zuständige Beamte in der Ausländerbehörde Heiligenstadt fragte sich, wie oft er eigentlich dem Flüchtling Yufanyi eine Ausnahmegenehmigung zum Verlassen des Heims erteilen solle. Schließlich müsse er doch auch gegenüber anderen Flüchtlingen ein Maß finden. Mit der Bitte um Einschätzung wandte er sich an das thüringische Innenministerium. Ein- bis zweimal im Monat, muss die pauschale Antwort gelautet haben.
Die politischen Aktivitäten Yufanyis überschritten dieses Maß schnell. Als er im Juni 1999 in Köln für die Freiheit von Öcalan demonstrierte, wurde er verhaftet, saß sechs Stunden in einem deutschen Gefängnis, hatte keine Sondergenehmigung und bekam eine Geldstrafe. Im Sommer vergangenen Jahres organisierte Yufanyi in Jena einen Kongress über die Ausgrenzung von Flüchtlingen. Die Ausländerbehörde, laut Gesetz zur Prüfung jedes einzelnen Antrags angewiesen, verweigerte ihm erneut die Reise – das Maß sei überschritten. Yufanyi fuhr trotzdem.
Als der Beamte in Heiligenstadt das aus einem Zeitungsinterview erfuhr, leitete er es weiter mit dem Hinweis, der Asylsuchende habe die Residenzpflicht verletzt. Diesmal weigerte Yufanyi sich, die 600 Mark Strafe zu zahlen. Während gegen den Flüchtling das Verfahren eröffnet wurde – auf wiederholte Verletzung der Residenzpflicht stehen bis zu 5.000 Mark Strafe, ein Jahr Gefängnis oder letztlich Abschiebung –, erlaubte sich die Ausländerbehörde ein Schreiben an das Bundesamt für die Anerkennung von Asylsuchenden: Yufanyi nutze seinen „zur Zeit gestatteten Aufenthalt vorwiegend dafür, politisch tätig zu werden“, hieß es darin. Sein Aufenthalt im Wohnheim beschränke sich auf die Tage, an denen Geld gezahlt werde. Es werde davon ausgegangen, dass Herr Yufanyi an den übrigen Treffen ohne Erlaubnis teilnehme. Zudem werde der Flüchtling oftmals von einer deutschen Studentin aus Niedersachsen begleitet.
Diese deutsche Studentin, mittlerweile Yufanyis Frau, betrat, so erzählt er, jedesmal zuversichtlich mit ihm die Behörde in Heiligenstadt und verließ sie weinend vor Wut. „Die meisten Flüchtlinge haben keine Unterstützung so wie ich.“ Gegen die Residenzpflicht führen Yufanyis Anwälte das Grundrecht auf Meinungs- und Bewegungsfreiheit an, das „bei einem in hohem Maß politischen Menschen wie Yufanyi durch die Residenzpflicht entschieden beschnitten“ sei.
„Zuweilen müssen legitimierte Gesetze eben auch ordnungsgemäß durchgesetzt werden“, sagt der zuständige Mitarbeiter der Ausländerbehörde Heiligenstadt am Telefon. Herrn Yufanyi sei über das eigentliche Maß viel Bewegungsfreiheit zugestanden worden. Ihn selbst habe man nun sogar als faschistoid beschimpft. Yufanyi sei seiner Meinung nach durch die Einschränkungen „in Ehre und Würde nicht berührt“ worden. Bisher konnten die Anwälte nur bewirken, dass der sonst in einer halben Stunde abgehandelte Fall vertagt wurde. Das Amtsgericht Worbis wollte das Verfahren nun wegen Geringfügigkeit einstellen. Der Beklagte hat das abgelehnt. „Ich provoziere die Ungerechtigkeit, damit die Menschen sehen, wie mir Unrecht geschieht.“
Jetzt würde Yufanyi gerne wieder studieren. Aber die Vergangenheit, der politische Kampf, die Erniedrigung sind zu präsent. Inzwischen besucht er Asylbewerberheime, spricht in Schulen über Leben und Situation der Flüchtlinge. „Was hast du gelernt?“, fragt er die deutschen Schüler am Ende immer, und die antworten nicht. Aus Schüchternheit? Yufanyi sagt: „Die werden auch schüchtern sein, wenn das nächste Mal was passiert.“ Wieder richtet er sich auf, und die größten Worte sind gerade groß genug: „Meine Kinder werden hier aufwachsen. Und ich will daran arbeiten, dass diese Gesellschaft eine bessere wird.“
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