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Teure Schlapphüte

Das Berliner Wirtschaftsministerium bastelt immer noch an einer neuen Verordnung zur Überwachung der Telekommunikation: Die Polizei schnüffelt, die Unternehmen bezahlen

von WOLFGANG GAST

Sauer sind jetzt wirklich alle. Die einen sprechen von einem Lauschangriff, andere von einem Verfassungsbruch, die Rede ist auch davon, dass die ganze Branche dauerhaften Schaden nimmt. Mit ihrem Entwurf einer Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) hat sich die rot-grüne Regierung wahrlich keine Freunde gemacht. Vom Zentralen Kreditausschuss über den eco-Verband der deutschen Internet-Wirtschaft bis zur Deutschen Telekom, von der Opposition in Berlin bis zum Chaos Computer Club – der Anfang des Jahres vorgelegte Entwurf, der Strafverfolgern und Geheimdienst den Zugriff auf alle elektronischen Kommunikationsformen sichern soll, stößt auf harsche Kritik. Der Katalog der Vorwürfe reicht von „Überregulierung“, „schlampig abgefasst“ bis zu „bürokratisches Monster“ und „enorme Kostensteigerung“.

Nicht alles neu, aber vieles sollte besser werden – das hatten Bundeswirtschafts- und Bundesinnenministerium versprochen. Auch der noch in der Ära Kohl erstmals vorgelegte Entwurf einer TKÜV sollte überarbeitet, den Interessen von Bürgerrechtlern und Industrie Rechnung getragen werden. Ein Sturm der Entrüstung war im Sommer 1998 losgebrochen, als die Pläne bekannt wurden. Juristen und Netzaktivisten kritisierten vor allem, dass die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen gegen ihren Willen zum verlängerten Arm der Strafverfolgungsbehörden gemacht würden. Die Wirtschaftsverbände dagegen schossen sich in erster Linie auf die Kostenseite ein. Mit 40 Milliarden Mark bezifferten die Lobbyisten damals das anfallende Investitionsvolumen, das Provider und sonstige Netzbetreiber bei der technischen Umsetzung der Verordnung aufzubringen hätten – wohl kaum einer der kleineren Anbieter hätte die Umsetzung wirtschaftlich überlebt.

Alarmiert stoppte der damalige Wirtschaftsminister Rexrodt die Pläne seines Ressorts. Doch davon kann heute unter rot-grüner Regie keine Rede mehr sein. Symptomatisch ist ein im Bundeswirtschaftsministerium erarbeitetes achtseitiges Eckpunkte-Papier, das im April 1999 vorgestellt wurde und auf dem der überarbeitete Entwurf für eine TKÜV fußt. Nach wie vor halten die Beamten des Wirtschaftsressorts an der Notwendigkeit der Überwachung der Telekommunikationsdienste fest. Sie verweisen dazu auf die Vorschriften der Strafprozessordnung, des Außenwirtschaftsrechts und die Bestimmungen zur Einschräkung des Brief- und Postgeheimnisses, nach denen die Geheimdienste bisher Briefe, Telefone und Faxgeräte überwachen dürfen.

Der Gesetzgeber, hieß es in dem Papier lapidar, habe bei der grundsätzlichen Verpflichtung, die Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation zu ermöglichen, keine Ausnahmen vorgesehen. Auch bei den umstrittenen Kosten sahen die Beamten im Wirtschaftsressort keinen Spielraum: Forderungen, dass die Unternehmen die Kosten für die technische Einrichtung der angeordneten Überwachungsmaßnahmen nicht zu tragen hätten, können nicht aufgegriffen werden.

Und so ist es nicht so sehr verwunderlich, dass der Neuentwurf der TKÜV sich von der alten Vorlage nur wenig unterscheidet. Unter dem Strich gibt es nur ein Zugeständnis. Der Kreis derjenigen, die verpflichtet werden sollen, die technischen Überwachungsmöglichkeiten vorzuhalten, wird neu definiert. So brauchen Anbieter keine Überwachungstechniken vorzuhalten, wenn ihre Anlagen ausschließlich der Verteilung oder dem Abruf von Informationen dienen. Laufen auf einem Server nur an die Öffentlichkeit gerichtete Web- oder Chat-Angebote, in die sich die Strafverfolger ohnehin einklinken können, müssen keine Abhörschnittstellen eingerichtet werden. Betreibern von Telekommunikationsanlagen, die nicht mehr als 2.000 Endnutzer versorgen, haben die Möglichkeit, sich den Gerätepark für den Lauschangriff mit anderen Verpflichteten zu teilen. Abgemildert wurden auch die Vorschriften für die Betreiber von Nebenstellenanlagen, unternehmensinternen Telekommunikationsanlagen und Firmennetzen. Deren Daten sollen zwar weiterhin grundsätzlich anzuzapfen sein, aber die Anbieter müssen nicht mehr wie im Vorgängerentwurf technische und finanzielle Vorleistungen erbringen.

Blinder Beamtenfleiß

Für die Deutsche Telekom zielt auch dieser Entwurf auf die Ausdehnung staatlicher Überwachung. Anders als die bisher gültige Fernmeldeüberwachungsverordnung von 1995 sieht die neue TKÜV vor, dass auch im Netz genutzte Hardware (Telefon, Fax, Computer, Server, Speicher) wie auch alle Internetdienste (Telefonie, E-Mail, E-Commerce, Fax, Datenbanken) dem Zugriff unterliegen. Der Entwurf konterkariere damit das erklärte Ziel der Bundesregierung, die Informationsgesellschaft in Deutschland entscheidend voranzubringen und Internet für alle Wirklichkeit werden zu lassen. Seine Umsetzung zwinge die Unternehmen, Milliarden in neue Überwachungstechnik zu investieren. Der Zentrale Kreditausschuss, in dem Banken und Sparkassen zusammengeschlossen sind, moniert, dass auch Betreiber nicht öffentlicher Telekommunikationsanlagen die Kosten allein tragen müssen. Und die könne man nach Aussage einer Großbank mit einem dreistelligen Millionenbetrag ansetzen. Ein mittelgroßes Kreditinstitut, so der Kreditausschuss weiter, bei dem ein Konzernunternehmen für die anderen sechs Konzernunternehmen Telekommunikationsdienste erbringt, rechnet mit einem Aufwand von 400.000 Mark.

Scharfe Kritik übt auch der Branchenverband eco, in dem Deutschlands größte Internet-Provider organisiert sind. „Technisch völlig unausgegoren“, heißt es zu den Plänen des Wirtschaftsministeriums. Verbandsvorsitzender Michael Rotert: „Wir müssen nicht den Hilfssheriff der Nation auf eigene Kosten spielen.“ Sollte der Entwurf umgesetzt werden, rechnet eco mit dem Konkurs von einem Drittel der Internet-Provider.

„Untauglich und unverhältnismäßig“, urteilt auch die Initiative D21, ein gemeinnütziger Verein, der 1999 gegründet wurde und dessen 200 Mitgliedsfirmen Deutschlands Entwicklung von der Industrie- zur Informationsgesellschaft beschleunigen wollen. Die Überwachungspläne der Bundesregierung machen das Internet nicht sicherer, schreibt die Initiative, Polizei und Strafverfolger brauchten Rechner und Internetzugänge, aber keine aufwendige Überwachungstechnik, unter deren Folgen alle Anwender leiden müssen, erklärt etwa Joachim Riess von DaimlerChrysler, Mitglied der D21-Arbeitsgruppe Ordnungsrahmen. Die Verpflichtung zur Bereitstellung teurer Überwachungstechnik führe nur zur Abwanderung der Service-Provider ins nicht regulierte Ausland.

Für den Juni immerhin hat der Unterausschuss für Telekommunikation im Bundestag eine öffentliche Anhörung anberaumt. Fachliche Beratung hätten jene Beamten allemal nötig, die auch unter Wirtschaftsminister Werner Müller fleißig die Bemühungen des eigenen Hauses unterlaufen, das Internet als Wirtschaftsfaktor zu entwickeln. Traditionell vertritt das Wirtschaftsressort eine eher liberale Linie, beispielsweise wenn es um den Einsatz von Verschlüsselungstechnologien geht. Seinen Ausdruck fand dies unter anderem im Juni 1999, als mit einem Kabinettsbeschluss versichert wurde, das Anliegen der Bundesregierung sei der verbesserte Schutz deutscher Nutzer in den weltweiten Informationsnetzen durch Einsatz sicherer kryptografischer Verfahren. Und die können selbst die besten – und teuersten – Lauscher nicht knacken.

wgast@web.de

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