: Still, freundlich, schweigsam
Seit gestern steht Rudolf Schindler im zweiten RZ-Prozess vor Gericht. Im Opec-Prozess wurde er freigesprochen
Ein schmaler, unauffälliger Mann mit asketischem Gesicht, scharfe Falten um den Mund. Die braunen Haare werden allmählich schütter über der Stirn. Rudolf Schindler (58) ist nicht mehr der Jüngste. Gelassen, freundlich, fast abgeklärt, die Augen oft hinter einer Sonnenbrille versteckt, saß er im Frankfurter Opec-Prozess auf der Anklagebank, oft fast übersehen und vergessen neben dem Hauptangeklagten und späteren Terrorismusaussteiger Hans-Joachim Klein und dessen prominenten Entlastungszeugen. Rudolf Schindler könnte Buchhalter sein, EDV-Spezialist, irgendwer, nach dem sich auf der Straße niemand umdrehen würde. Von Beruf ist er tatsächlich gelernter Feinmechaniker mit Elektronikkenntnissen.
Schindler wurde 1999 verhaftet, nachdem Klein ihn als Mittäter beschuldigt hatte. Das Frankfurter Landgericht sprach ihn Anfang des Jahres frei und hob den Haftbefehl auf.
Eine Beteiligung am Attentat auf die Ministerkonferenz Erdöl exportierender Länder (Opec) 1975 in Wien sei ihm nicht nachzuweisen gewesen, eine mögliche damalige Mitgliedschaft bei den Revolutionären Zellen (RZ) verjährt. Kurz darauf wurde er wieder verhaftet. In Frankfurt hatte Schindler zur Person und zur Sache auf Anraten seiner Anwälte geschwiegen, die ihn als Opfer einer Verwechslung verteidigten.
Ein eigens aus Nicaragua angereister Entlastungszeuge bestätigte das. Und dennoch ist die Bundesanwaltschaft bis heute felsenfest davon überzeugt, mit Schindler nicht nur ein Gründungsmitglied und einen führenden Kopf der Revolutionären Zellen gefangen zu haben, sondern auch den Mörder des hessischen Wirtschaftsministers Heinz Herbert Karry, der 1981 in Frankfurt von Unbekannten in seinem Bett erschossen worden war.
Schindler, sagte ein Berliner Kronzeuge aus, sei ein gefährlicher Mann. Er sei ein „Hardliner“ des bewaffneten Kampfes und bei den nun verhandelten Attentaten in Berlin „der Schütze“ der RZ gewesen. Er habe im Jahr 1986 den Chef der Berliner Ausländerbehörde, Hollenberg, und 1987 den Bundesverwaltungsrichter Korbmacher durch Schüsse in die Beine verletzt.
Beide Taten sind verjährt. Schindler steht dennoch seit gestern zusammen mit seiner Lebensgefährtin Sabine Eckle und drei weiteren Mitangeklagten auch in Berlin als Mitglied einer terroristischen Vereinigung vor Gericht.
Die Mitgliedschaft, so die Anklage, sei nicht verjährt, weil er sie Mitte der 80er neu begonnen habe. RZ-Mitglied ist er, lässt sich nach dem Frankfurter Verfahren rekonstruieren, möglicherweise bis 1978 gewesen, dann ist er im Ausland untergetaucht. Die Ermittlungen gegen ihn wurden 1988 eingestellt.
Seine Anwälte wiesen alle neuen Vorwürfe zurück. Schindler komme auch deshalb nicht als Täter infrage, weil er erst danach endgültig nach Deutschland zurückgekehrt sei. Im Fall Karry entlastete ihn inzwischen auch eine DNS-Analyse. Schindler lebte seit 1990 legal in Frankfurt am Main. Dort saß er im Stadtteil Bornheim gerne im Café, galt als still, als angenehmer, besonnener Diskussionspartner. Freunde sagten aus, sie seien „aus allen Wolken gefallen“, als sie von seiner Verhaftung erfuhren. Von einer RZ-Mitgliedschaft hätten sie nichts geahnt.
HEIDE PLATEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen