Der kleinste Trainer der Welt geht heim

Woher dieser Hass? Seltsam berührt nimmt die Generation Berti heute endgültig Abschied von Berti Vogts

OUT Paulina saß auf der Bettkante, machte ihre lustigen Augen und krähte: „PapaPez, wer ist Bäddivock?“ Häh, Bäddivock? Woher soll PapaPez das wissen. Wer soll das sein? Irgendein Zwerg? Ein Gnom? Ein böser Wichtel? Stunden später dämmert es. Irgendjemand hatte aus unbekannten, aber hundertprozentig sentimentalen Gründen die Stefan-Raab-Platte aufgelegt. Bäddivock? Ah: „Böörti Vogts“! Vielleicht hatte sogar irgendjemand im Kinderzimmer das Lied vor sich hin gesungen. Wer war das? Und warum?

Weil Berti heute geht. Für immer. Uff. Man muss das einmal ganz klar sehen: Thirtysomethings kennen ja praktisch kein Leben – ohne Berti Vogts. Wir sind die Berti-Dschänäräschän (bitte lesen Sie dazu auch den Spiegel, nächste Woche). Wir sind doch in den 90ern erwachsen geworden – also alt – in dem Glauben, unser Bundestrainer müsse eben der kleinste Trainer der Welt sein. Und alle Energie darauf verwenden, ein beleidigtes Gesicht zu machen, sich und uns in der ganzen Welt unmöglich zu machen und dazu auch noch Scheißfußball spielen zu lassen.

Aber Berti war eben da, seit wir denken konnten. Also seit Wembley 1972. Der Unterschied zu später war nur: Damals war es ein Segen, dass er auf der Bank saß. Damals klang sein Name noch geheimnisvoll. Berti Vogts. Wenn man in die Welt der Fantasie (also den kicker) eingetaucht war, dann fragte man sich: Was mochte sich hinter „Berti Vogts“ alles verbergen?

Heute weiß man es.

Aber: Berti oder nicht Berti – das war nie die Frage. Kohl oder nicht war ja auch nie die Frage.

Revolution? Hihihi.

Es wusste doch gar keiner aus unserer apolitischen Versagergeneration, dass man möglicherweise die Wahl hatte. Bis zum Sommer 1998. Es brauchte schon die Katharsis von Lyon, bis selbst wir genug hatten. Von beiden.

Bei seinem Comeback als Bundesligatrainer von Bayer Leverkusen hatte Berti ja nicht nur versucht, die Kontamination der Kohl-Vergangenheit abzuwaschen und fröhlich in die Schröder-Republik zu hüpfen. Er wollte mehr: vom Anachronismus zur Avantgarde werden. Vom Technokraten, der selbst den Speiseplan noch selbst bestimmen will, zum modernen Teamplayer, der Arbeit und Verantwortung delegiert. Vor allem wollte er begreifen, dass man mit und nicht gegen die Pressearschlöcher arbeiten muss.

Letzten Samstag nach Monaten eigens noch einmal in ein Fußballstadion gerannt. Nur für Berti. Da saß er dann. Zupfte an der rotblauen Unternehmenskrawatte. Hob die Augenbrauen wie eh und je. Schaute in die Gegend, wie nur er es kann. Sagte die alten Sätze. Benutzte die alten Lieblingsworte. Ordnung! Tja: Sie wurde einmal mehr „nicht gehalten.“ Obwohl man „verdammt“ dem Klub etwas „schuldig“ war. „Leichtfertig“ wurden Dinge „hergeschenkt“. Nicht von Berti allerdings.

Alles ein Irrtum. Diese Welt war eben doch nicht mehr die Welt von Berti (54). Eigentlich war sie es schon nicht mehr seit dem 30. Dezember 1946.

Wohin gehst du jetzt, Berti Vogts? Nicht nach New York, um deine Einsamkeit auszuleben. Nicht an den Südzipfel Chiles, um dort den Königspinguin in freier Natur zu beobachten. Auch nicht in die Disco „Lovers’ Lane“, um die geilsten Weiber abzuschleppen. Nein, du steigst heute nach Ende des letzten Bundesligaspieltags in deinen Dienst-Mercedes und fährst rüber von Leverkusen nach Korschenbroich, Ortsteil Kleinenbroich. Zu Frau und Kind.

Hahaha.

Berti hat nie die Intellektuellen oder die Philosophen inspiriert. Nur uns. Er hat nie großen Fußball gespielt oder spielen lassen. Er hat nur immer darüber geredet. Letztlich waren es natürlich Sachzwänge, die ihn an der Verwirklichung des Schönen hinderten, das er eigentlich wollte. Das schwere Leben. Die doofen anderen.

Sagen wir es rundheraus, es weiß ja eh schon jeder: Wir hassen Berti, weil WIR Berti sind. Es ist so furchtbar. Nein, wir lieben ihn jetzt und haben unseren Frieden mit ihm gemacht.

Er soll weggehen.

Er soll dableiben.

Er soll dem Kaninchen eine Möhre extra geben.

Ins Badezimmer eingeschlossen. Stundenlang geweint. Dann kam der rettende Gedanke. Unsere Kinder. Sie könnten in einer Welt ohne Berti Vogts aufwachsen. Das ist doch eine Chance! „Du willst wissen, wer Bäddivock ist, Paulina?“, sage ich. Der Name des Schauers, der mir über den Rücken läuft, ist Sentimentalität. „Bäddivock ist eine kleine böse Maus, die die Katze gefressen hat.“

– ??? –

Ich lasse alle „Warums“ unbeantwortet. Basta. Man muss sein Leben ändern. Man muss. Als erstes die Raab-CD entsorgen. Morgen. Demnächst muss auch endlich mal mein Berti-Poster von der Schlafzimmerwand.

IN Tocotronic/Let There Be Rock: „Und alles was wir hassen / Seit dem ersten Tag /Wird uns niemals verlassen / Weil man es eigentlich ja mag.“