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Die schattige Seite des Dokumentarfilms

TV-Dokus werden zum gnadenlosen Geschäft, Quoten auch in dieser Branche zum einzigen Kriterium: Kleine Produzenten bleiben auf der Strecke

Ein englisches TV-Bonmot sagt: „Dokumentarfilme sind etwas, was von der Mittelklasse für die Arbeiterklasse gemacht wird.“ Betrachtet man die Erfahrungen vieler Dokumentarfilmer heute, kann man den Eindruck gewinnen, als seien sie auf dem besten Weg, gewisse Erfahrungen des Kampfes der Arbeiterklasse sehr realistisch am eigenen Leib zu erfahren. Modernisierung, Monopolisierung, Globalisierung – auch in der Zukunftsbranche Medien gibt es Verlierer, und die Dokumentarfilmer gehören dazu. Wer sich nicht anpasst, bleibt draußen.

Es brodelt in der Branche. An Aufschreien fehlt es nicht. In DOX, dem Magazin des European Documentary Network, hat Kai Krüger kürzlich die finanziellen und institutionellen Nöte der deutschen Dokumentarfilmer drastisch beschrieben: Obwohl sie – zumindest für ARD und ZDF – das „kulturelle Alibi“ liefern, verdienten sie (bei völlig ungesicherten Arbeitsbedingungen), wenn es gut geht, etwa die Hälfte von Sekretärinnen.

Auch die „a.g. dok“, mit inzwischen 600 Mitgliedern die wichtigste Interessenvertretung der deutschen Dokumentarfilmer (www.agdok.de), weiß ein traurig Lied zu singen: Die Arbeit der Filmer ist „zum ‚Programm‘ und damit zur Handelsware geworden. Die Vertragsgestaltung mit den Verwertern ist ein permanenter Abwehrkampf gegen Buy-out-Tendenzen zu Billigtarifen geworden, und es ist insbesondere der Berufsstand der kleinen unabhängigen Filmemacher und Produzenten, dem dabei die Existenzgrundlage weggezogen wird.“ Während man bei Herrn Kirch locker bereit sei, für die Minute Fußball bis zu 200.000 Mark zu zahlen, werde der Minutenpreis für TV- Dokumentionen in Deutschland „seit einigen Jahren tendenziell und immer unverhohlener von 3.000 Mark auf 2.000 gedrückt“.

Szenen aus dem Überlebenskampf eines Berufs, einer Kunstform, einer Passion. Doch warum sollte ausgerechnet die filmische Dokumentation der Welt davon ausgenommen sein, zum gnadenlosen Geschäft zu werden, wenn doch eben das die Welt von heute ist? Immerhin, so eine Studie der italienischen RAI, handelt es sich beim Dokufilmmarkt weltweit um ein 500-Millionen-Dollar-Business (und damit um knapp 10 Prozent des gesamten TV- Marktes). John Marshall von „Docos Ltd.“, der die wichtigste Homepage zum internationalen Dokumentarfilm www.docos.com betreibt, sagt, dass der Markt sogar jedes Jahr um acht Prozent wächst: „Wir müssten also alle nächstes Jahr um mindestens acht Prozent reicher werden“. – Britische Ironie.

„Mit Dokumentarfilmen reich werden?“ hieß denn auch das Thema eines Symposiums das „Discovery Campus“, die europäische Fortbildungsstätte für Dokumentarfilmer, vergangene Woche in München veranstaltete. Für die anwesenden Filmemacher und „Rucksackproduzenten“, die dabei auf einige der wichtigsten Vertreter des Business trafen, war das Ergebnis erschreckend und erhellend zugleich – auch wenn es viele eh schon ahnten: Der Markt wird enger und heftiger umkämpft. Gerade, weil es um viel Geld geht, werden immer weniger reich – und keineswegs immer die Besten. Inhalte, gute Storys und sauberes Handwerk sind im zunehmend kommerzialisierten Fernsehen keine Erfolgsgarantie.

Dokumentarfilmer müssen heute vor allem Geschäftsleute sein – oder zumindest gewiefte Marketingstrategen und Produzenten an der Hand haben. „Analysiert die Quoten, studiert den Markt!“ war wohl der wichtigste Ratschlag, den die Vertreter von Discovery, Arte und verschiedenen erfolgreichen Doku-Produktionsfirmen den Filmemachern geben konnten. Denn genau das sei es, was die Sender, egal ob öffentliche oder private, seit Jahr und Tag machen. Dass die Vielzahl der Sender und Programme segensreich für die Produktion guter Dokumentarfilme sei, wollte keiner der Experten bestätigen. Zwar gebe es (Gott lob) noch verschiedene Senderprofile, aber letztlich kämpfen alle um denselben Markt.

Für Dokumentarfilmer, denen es nicht nur um „das Hecheln nach Zuschauern“ geht, mag sich bei diesen Perspektiven schon mal der Magen umdrehen. Doch ganz sollten sie die Hoffnung nicht aufgeben. Denn wohin der Markt sich bewegt, wissen auch die Experten nicht. Es kommt darauf an, ihn zu beeinflussen. Nicht die schlechteste Aufgabe für engagierte Filmemacher. THOMAS PAMPUCH

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