„Die Drahtzieher sitzen im Westen“

Der türkische Innenminister wirft europäischen Staaten vor, den Hungerstreik in türkischen Knästen zu unterstützen. Die Berichterstatterin des Europarates verweist auf Gesetzesänderungen zugunsten der Gefangenen. Die verschärfen ihren Protest

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der türkische Justizminister Hikmet Sami Türk hat mehrere europäische Länder beschuldigt, den seit 216 Tagen andauernden Hungerstreik in mehreren türkischen Gefängnissen zu unterstützen. Bei einem Auftritt vor der parlamentarischen Versammlung des Europarates, die drei Tage in Istanbul tagte, behauptete Türk, der Hungerstreik, bei dem bereits 22 Menschen gestorben sind, würde von Amsterdam, Brüssel und Paris aus gesteuert. Von dort könnten die „Terrororganisationen“ die den Hungerstreik durchführen, ungehindert agieren.

Als der holländische Parlamentarier Eric Jürgens diese Anschuldigungen als „idiotisch“ zurückwies und den Terrorismusbegriff des türkischen Justizministers als unsinnig bezeichnete, entgegnete Türk, auch in Holland würden Leute, die die Verfassung gewaltsam abschaffen wollten, Terroristen genannt.

Um seine Behauptungen zu belegen, ließ Türk an die Parlamentarier Fax-Kopien verteilen, die angeblich von Amsterdam versandt wurden und in denen dazu aufgefordert wird, Ärzte, die sich an Zwangsernährungsmaßnahmen bei Hungerstreikenden beteiligen, zu ermorden.

Die Hungerstreiks in der Türkei waren bei dem Parlamentariertreffen ein Tagesordnungspunkt unter anderen und sollten mit einem Bericht der Vorsitzenden des Antifolterkomitees, Silvia Casale, abgehakt werden. In ihrem Statement berichtete Casale, dass ihr Komitee sich gerade in der Mitte einer „fact-finding mission“ zur Situation in den Gefännissen befände und dass dies bereits die vierte Türkei-Mission innerhalb der letzten fünf Monate sei.

Sie erinnerte daran, dass Europarat und europäisches Parlament in der Vergangenheit das türkische Gefängnissystem kritisiert hätten und im Prinzip für das neue System kleinerer Zellen sei. Allerdings müsse gewährleistet sein, dass dies nicht zu Isolation führe oder andere Rechte von Gefangenen verletze.

Bei der anschließenden Pressekonferenz bezeichnete Casale die letzten Gesetzesänderungen, die Gefangenen die Teilnahme an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen in den Anstalten erlauben, als Schritt, der „das Potenzial hat, den Hungerstreik zu beenden“. Allerdings müsse man sehen, wie das Gesetz in der Praxis angewandt werde.

Zu den Vorwürfen, die Gefangenen würden in den neuen Gefängnissen gefoltert und misshandelt, wollte sie sich nicht äußern, weil der Bericht der Kommission der Vertraulichkeit unterliegt. Sie bekräftigte aber die Forderung, eine unabhängige Kommission sollte die Möglichkeit bekommen, die Todesfälle während des Sturms auf die Gefängnisse im letzten Dezember, zu untersuchen.

Die hungerstreikenden Häftlinge haben die Gesetzesänderungen, die die Isolation in den neuen Gefängnissen mildern soll, als unzureichend kritisiert und den Hungerstreik durch eine neue Staffel, die sich an dem so genannten Todesfasten beteiligt, verschärft. Die Regierung versucht weitere Todesfälle durch vermehrte Zwangsernährung zu verhindern. Nach Angaben von Türk befinden sich 164 hungerstreikende Gefangene in Krankenhäusern. Gegen vier Ärzte, die sich geweigert haben, Zwangsernährungen durchzuführen, sind Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.