: Rettet die Möpse!
Radfahrer sind, anders als Köche, tierfreundlich. Diesem Umstand ist die Geburtsstunde des Radballspiels zu verdanken. Die Palette der Sportarten auf Ein- und Zweirädern ist breit, ihre Anhängerschaft jedoch nach wie vor überschaubar
von HOLGER KLEMM
Ein Mops kam in die Küche / und stahl dem Koch ein Ei. / Da nahm der Koch den Löffel / und – wie es weiter geht, ist bekannt. Weniger bekannt hingegen ist die Geschichte von dem Mops und dem Radfahrer.
Eines Tages lief dem Kunstradfahrer Nicholas Edward Kaufmann ein kleiner Hund vor das Velo. Rasch hob er das Vorderrad und beförderte damit den Mops, so sanft es ging, aus dem Weg – sich vor einem Sturz, das Tier vor Verletzungen rettend.
Dieses Kunststück feilte der amerikanische Rad-Akrobat aus und präsentierte es der Öffentlichkeit – am 14. September 1883 zusammen mit einem Spielpartner im überfüllten Washington-Ring seiner Heimatstadt Rochester. Radsportler sind tierfreundlich, anders als Köche: Als Mopsersatz diente ein Poloball. Es war die Geburt des Radballspiels.
Das Duell um den Ball hoch zu Ross, gespielt wurde auf einer Art Hochrad, dem American-Star-Bicycle, wurde schnell populär und kam über den Großen Teich. Zwei Berliner Kunstradfahrer, Paul und Otto Lüders vom Bundesverein Sport Berolina, waren vor genau 100 Jahren die ersten Europäer, die offiziell Radball spielten.
Auf Antrag des Bundes Deutscher Radfahrer wurde sowohl Zweier-Radball als auch Sechser-Rasenradball 1930 Weltmeisterschaftsdisziplin. Während das Radballspiel zu sechst dem Fünferradball gewichen ist (hier gibt es jedoch keine internationalen Meisterschaften), ist der Zweierradball mittlerweile auch in Japan, Singapur und Malaysia populär. Dominierend sind in dieser Disziplin allerdings weiterhin die Europäer. Besonders hervor tun sich die Deutschen heute mit dem Kunstradfahren, der stärksten Disziplin des Bundes Deutscher Radfahrer e. V. (BDR). In über 1.200 Vereinen trainieren landesweit Radkünstler für die Kürläufe. In Berlin und den neuen Ländern sind es eher wenige. Dem Osten geht es halt weniger um künstlerische Ästhetik, sondern mehr um die schnöde Schnelligkeit. Im Straßenrennsport haben sie die Nase vorn.
Dabei liegt hohes Tempo nicht mehr im Trend. Der Geheimtipp für den Trendsport von morgen ist Singlespeed: Mountainbike fahren ohne Gangschaltung. Mann gegen Rad. Im Schweiße des Angesichts. Am 3. Juni trägt England die Singlespeed-WM aus, am 7. und 8. Juli treten die Avantgardisten in Stuttgart zum Marathon an.
Die Lust am einen Gang wurde in Deutschland vorangetrieben von Peter Horsch, Mechaniker der Radfirma Riese und Müller in Darmstadt. Er hatte die Nase voll von der täglichen Verschleißteilreparatur immer komplizierterer High-Tech-Räder.
Seit anderthalb Jahren strampelt er mit nur einem Ritzel durchs Land, auch wenn der Pulsmesser oft in den roten Bereich ausschlägt, und schart Anhänger hinter sich. Rund fünfzig sind es inzwischen, beim ersten bundesweiten Rennen im vergangenen Jahr, von Horsch organisiert, waren es erst dreißig.
Getoppt wird der eine Gang nur noch vom einen Rad. Die Akrobatikvariante ist bisher mehr aus der Zirkusmanege als aus dem Stadion bekannt; eher etwas für Einzelkämpfer. Als Mannschaftssport sind Einradhockey und -basketball im Kommen, Kunst- und Schnellfahren ebenso.
Im Süddeutschen formieren sich am 30. Juni das 1. Internationale Einradhockey-Turnier und Einradrennen. Der BDR verfolgt es mit Interesse. Ihr PR-Stratege Rolf Bläser weiß von mehr als 70 Millionen Chinesen, die sich mit einem Rad unterm Sattel begnügen. Wahre Freiheit, nichts mehr zu verlieren zu haben. Nicht mal die Kette.
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