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Streitfall Arndtstraße

Eine Berliner Schülerinitiative engagiert sich für die Umbenennung der Arndtstraße in Kreuzberg. Bei ihren Recherchen stoßen die Abiturienten an die Grenzen deutscher Vergangenheitsbewältigung. Aufruf an Bundespräsident, Vorhaben zu unterstützen

von TILMAN STEFFEN

Barbara Schneidewind wirkt nicht so glücklich: „Ist der Brief nun endlich losgeschickt?“ Die energische Nachfrage gilt einem Bittschreiben an Bundespräsident Rau. „Mareike, warum legst du das da hinein!“ Der Brief verirrte sich in die dicke Aktenmappe auf den Tisch der Lehrerin, anstatt korrekt adressiert im nächsten Postbriefkasten zu landen.

Die Schülerinnnen und Schüler vom Deutsch-Leistungskurs der Ossietzky-Oberschule Kreuzberg wollen die dortige Arndtstraße umbenennen lassen. Während ihres Abiturs ist neben Turnvater Jahn oder dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte auch Ernst Moritz Arndt Gegenstand ihrer kritischen Prüfung geworden. Der 1769 geboreneDichter und Denker gilt einerseits als verdienstvolle Person der deutschen Romantik, andererseits gilt er heute auch als Vorbote des Juden-, Rassen- und Völkerhasses der Nazis.

Deshalb bleiben seit Monaten Kreide und Tafelschwamm im Klassenzimmer während des Deutsch-Leistungskurses unbenutzt, die Schüler treffen sich für das Projekt im selbst ernannten Planungsquartier. Reaktionen angesprochener Politiker und Senatsmitarbeiter sind auszuwerten und neue Briefe zu verfassen. Eine Plakataktion soll es geben, die Anwohner der Arndtstraße sollen befragt, auf dem Straßenfest am Chamissoplatz Anfang Juni ein Infostand betrieben werden. Am befreundeten John-Lennon-Gymnasium wurden erste Unterschriften gegen den umstrittenen Straßennamen gesammelt. Namensfavorit der Jugendlichen ist der antinational und französisch gesinnte Journalist und Arndt-Zeitgenosse Saul Ascher.

Die Aktensammlung auf dem Lehrertisch wuchs auf acht Zentimeter an, Protokolle, Briefe, Antwortschreiben, Kopien. „Als der Osten fiel, ging es ratzbatz mit der Umbenennung“, klagt Lehrerin Barbara Schneidewind über die heutige Trägheit von Politik und Behörde. Zurzeit ringen die Jugendlichen um ein Rederecht vor der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Im Kulturausschuss am 15. Mai war der strittige Straßenname Punkt zwei der Tagesordnung. „Von den Abgeordneten kam kaum Neues“, sagt Abiturientin Hannah Bröckers. Die Schüler müssten das historisch sehen, sie sollten erst mal bei den Anwohnern der Arndtstraße vorsprechen, beschied man ihnen. Das tun sie nun, die Infozettel für eine Postwurfsendung werden bereits kopiert. „Arndt war Mitbegründer der damals vorherrschenden Fremdenfeindlichkeit“, heißt es darauf. Die Nazis griffen hundert Jahre später auf Arndts Texte zurück, der Dichter wurde so zur Basis nationalsozialistischer Rassentheorie.

Tatsächlich finden sich in seinen Werken hochproblematische Passagen: „So weit die deutsche Zunge klingt – das, wackrer Deutscher, nenne dein!“ Er habe auch „wie kein anderer zur Verwechslung von Religion und Nation beigetragen, Arndt stand als Wegweiser am Anfang eines Irrweges“ bescheinigt ein Wissenschaftler dem Dichter heute.

Auch der Literaturwissenschaftler Gerhard Bauer (FU Berlin) sieht zwischen Arndt und den Nazis „eine glatte Linie“. Dennoch sei zu differenzieren: Als Ideologe der Aufständischen in der Erhebung gegen die napoleonische Herrschaft 1813–15 stärkte er die Rolle des Volkes. Mit Vorlesungsverbot belegt, 1820 von seiner Geschichtsprofessur in Bonn entbunden, wurde Arndt erst 1840 rehabilitiert und war 1848 ältester Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Arndt – ein Demokrat? Doch mit seinen Hasstiraden gegen alles Französische („Ich will den Hass nicht nur für diesen Krieg, ich will ihn für lange Zeit, ich will ihn für immer!“) erschreckte er nicht nur 1813 seine Gegner, sondern auch heute die Kreuzberger Gymnasiasten.

Arndt mit dem gleichen Bann zu belegen wie die Drahtzieher des Nationalsozialsimus macht für FU-Professor Bauer dennoch keinen Sinn: „Auch Luther war Antisemit.“ Den Namen vom Straßenschild zu tilgen, „dient nicht der Bewältigung der damit verbundenen Probleme“. Eine erklärende Tafel nütze da mehr.

Sibylle Wenk wohnt in der Arndtstraße: „Da müsste man vielleicht auch Wagner-Opern verbieten“, gibt sie den Schülern zu bedenken. Dem Komponisten werden gleichfalls antisemitische Züge nachgesagt. Doch „wenn es gute Argumente gibt“, könne sie sich die Namensänderung schon vorstellen. Die Kosten für den neuen Ausweis nähme sie in Kauf.

Beim „Respekt“-Programm des Senats hat die Ossietzky-Schule Geld für das Kreuzberger Anti-Arndt-Projekt beantragt. Maximal 10.000 Mark sind möglich, möglichst viel davon soll es sein, sagt die Lehrerin, nach der Höhe der Summe befragt. Ob ihre Schüler das Straßenschild tatsächlich noch ändern, bleibt unklar. Die Sommerpause naht, auf viele wartet ein Studienplatz. Die Lehrerin jedoch dürften die Fichtestraßen und Jahn-Sportplätze nicht zur Ruhe kommen lassen: „Den Turnvater nehmen wir uns als Nächsten vor“, plant sie weiter.

Die Bitte der Ossietzky-Gymnasiasten um Unterstützung wird Bundespräsident Rau nicht neu sein. 1998 erhielt der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen einen ähnlichen Brief: vom Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium Remscheid. Dessen Schüler schämten sich vor ihrer französischen Partnerschule, nach einem Franzosenhasser benannt zu sein. Trotz intensiver öffentlicher Diskussion ist der Name dort bis heute unverändert.

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