: „Leichte Ansätze zum Terrorismus“
Verfassungsschutzpräsidentin Claudia Schmid warnt vor steigender Gewaltbereitschaft von Rechtsextremisten. In der Szene kursieren sogar Anleitungen zum Waffenbau. Fast alle rechten Straftäter wohnen im Ostteil der Hauptstadt
taz: Frau Schmid, was macht Ihnen mehr Sorgen? Der Rechtsextremismus oder der Linksextremismus?
Claudia Schmid: Einer der Schwerpunke des Verfassungsschutzes ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus, wobei wir auch die linksextremistischen Bestrebungen im Visier haben.
Hat die Bedrohung von ganz rechts zugenommen?
Die rechtsextremen Straftaten sind angestiegen. Bemerkenswert ist, dass der überwiegende Teil der Straftaten im Ostteil Berlins begangen wird. Insgesamt wurden 283 Tatverdächtige festgestellt, davon wohnten 225 in Ostbezirken.
Wie erklären Sie sich das?
Sicherlich ist der Tatort darauf zurückzuführen, dass viele Demonstrationen im Ostteil stattfinden, so sind beispielsweise von den in Mitte registrierten 71 Straftaten 22 im Zusammenhang mit NPD-Demonstrationen verübt worden. Was die Verteilung der Wohnsitze der Täter angeht, bedarf es der genaueren Analyse.
Welche Hinweise gibt es auf einen rechten Terrorismus?
Wir beobachten das mit großer Intensität. Bei Hausdurchsuchungen wurden letztes Jahr eine Rohrbombe und ein Gewehr gefunden; wir sehen leichte Ansätze zum Rechtsterrorismus, die wir intensiv verfolgen.
Handelt es sich um Einzeltäter oder um eine Organisation?
Eine terroristische Vereinigung, die gezielte Anschläge plant, gibt es nicht. Allerdings beobachten wir Aufforderungen zum Waffenbau im Internet oder auch die Diskussion in der Szene über Gewalt gegen politische Gegner sehr wachsam.
Welche Folgen hat die Verbotsdiskussion auf die Stimmung in der Szene gehabt?
Bemerkenswert ist, dass die NPD trotz der Verbotsdiskussion einen Mitgliederzuwachs verzeichnet. Erst haben wir eine relative Zurückhaltung beobachtet. Jetzt geht die NPD wieder zunehmend an die Öffentlichkeit.
Müssen auch die Kameradschaften verboten werden?
Die Bedeutung der Kameradschaften ist zurückgegangen. Verbotsvoraussetzungen sind schwer anwendbar, weil es sich oft um lose Zusammenschlüsse handelt. Das Musik-Netzwerk Blood & Honour wurde durch das Verbot erheblich geschwächt.
Im Ostteil der Stadt wird in Geschäften Propagandamaterial verkauft. Müssen die Behörden härter durchgreifen?
Vor allem der Vertrieb der höchst gewaltfördernden rechtsextremen Musik muss unterbunden werden. Musik fungiert als Aufputschmittel.
Wie entwickelt sich der Linksextremismus? Am 1. Mai gab es wieder schwere Krawalle.
Im linksextremistischen Bereich hat sich das Personenpotenzial nicht geändert. 21 Prozent aller gewaltbereiten Linksextremisten von ganz Deutschland versammeln sich in Berlin. Das Potenzial am 1. Mai hat sich allerdings verändert. Es hat sich herausgestellt, dass am 1. Mai viele gewaltbereite Kids unterwegs sind, die offenbar keiner extremistischen Organisation angehören.
Sind es überhaupt noch organisierte Gruppen, die am 1. Mai die Ausschreitungen anzetteln?
Die Qualität der Verbindungen zwischen Linksextremisten und Gewalttätern wird derzeit intensiv analysiert.
Gibt es im linksextremistischen Bereich ein terroristisches Potenzial?
Nein, das können wir nicht beobachten. Wir haben keinerlei Anhaltspunkte für neue terroristische Organisationen.
Sie haben vor fünf Monaten die Leitung des Verfassungsschutzes übernommen. Was hat sich seitdem geändert?
Wir haben die Möglichkeit, eine im Wesentlichen neue Behörde aufzubauen und können neue, wissenschaftlich vorgebildete Mitarbeiter einstellen, die hochwertige Analysen vorlegen.
Sie waren zuvor stellvertretende Datenschutzbeauftragte. Mussten Sie Ihre Mitarbeiter schon einmal ermahnen?
Ich habe weder damals noch heute Verstöße gegen Recht und Gesetz akzeptiert. INTERVIEW:
ANDREAS SPANNBAUER
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