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Pleitegeier überm Alex

Fehlende Kontrollmechanismen bei der Bankgesellschaft Berlin haben an der Spree die größte Bankenkrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst. Bank und Stadt stehen vor dem Ruin

von ANDREAS SPANNBAUER

Es ist ausgerechnet ein Geldinstitut, das Berlin in die totale Pleite treibt: „Vier Milliarden DM plus X“ muss das Bundesland jetzt nach Einschätzung seines Finanzsenators Peter Kurth (CDU) im schlimmsten Fall in die zu 56,6 Prozent landeseigene Bankgesellschaft Berlin pumpen, um die größte Bankenpleite in der Geschichte der Bundesrepublik zu verhindern. Dass Berlin vier Milliarden bezahlen muss, gilt inzwischen als sicher. Die Höhe des Betrages X und damit das ganze Ausmaß der Katastrophe aber wird erst am Freitag sichtbar werden, wenn das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) seinen Sonderprüfungsbericht über die Bankgesellschaft auf den Tisch legt.

Nun entwickeln Politik und Konzernvorstand hektisch einen Rettungsplan für den Finanzkonzern vom Alexanderplatz, der zu den zehn größten deutschen Banken zählt und dessen operatives Geschäft im ersten Quartal dieses Jahres um 60 Prozent eingebrochen ist. Galt es bisher als Sakrileg, am Sinn einer Mehrheitsbeteiligung des Landes Berlin zu zweifeln, schließen inzwischen auch die Koalitionsparteien CDU und SPD eine Trennung von Anteilen an der Bankgesellschaft nicht mehr aus.

Das Ausmaß der Krise war nur Schritt für Schritt ans Tageslicht bekommen. Dass die Bankgesellschaft angeschlagen ist, war seit längerem bekannt. Doch plötzlich war selbst eine Insolvenz nicht mehr ausgeschlossen: In einem Brief an den Berliner Senat warnte der Aufsichtsratschef Dieter Feddersen vergangene Woche davor, dass die Eigenkapitalquote der Bankgesellschaft unter die gesetzlich vorgeschriebene Quote von acht Prozent zu fallen drohe. Spätestens seitdem stehen alle Alarmleuchten auf Rot. Denn in diesem Fall hätte die Bankenaufsicht ein Kreditverbot aussprechen müssen und damit faktisch eine Einstellung des Geschäftsbetriebs bewirkt.

Die Konsequenzen wären fatal. Denn mit rund 16.000 Angestellten zählt die Bankgesellschaft Berlin zu den größten Arbeitgebern an der Spree-Metropole. Schon jetzt werden durch die Krise wahrscheinlich 3.000 Bankangestellte ihre Arbeitsplätze verlieren. Noch bis vor kurzem war lediglich vom Abbau von 1.600 Stellen die Rede.

Verursacht wurde der erhebliche Kapitalbedarf der Bankgesellschaft, die 1994 aus mehreren landeseigenen Kreditinstituten entstanden war, durch einen gestiegenen Wertberichtigungsbedarf bei der Kreditvergabe sowie notwendige Rückstellungen für drohende Verluste im Immobiliensektor. Schuld an der Misere ist nach Ansicht von Experten die unübersichtliche Konzeption des Geldtrusts. Zur Bankgesellschaft gehören die Berliner Bank, die Landesbank Berlin und die ihr angeschlossenen Sparkassen, Allbank, Weberbank und die Berlin-Hannoversche Hypothekenbank (Berlin-Hyp). „Die Verschachtelung zwischen Privatbank, Immobiliengeschäft und einem öffentlich-rechtlichen Institut ist schwer zu kontrollieren“, kritisiert der Finanzexperte Wolfgang Gerke von der Universität Erlangen.

Auch unter den Parteien war die Konstruktion von Anfang an umstritten. Denn zum einen hält das Land Berlin die Mehrheit an der öffentlich-privatwirtschaftlichen Holding, sodass letztlich der Steuerzahler für die klaffenden Kapitaldefizite aufkommen muss. Zum anderen aber, so kritisiert der PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf, ist eine parlamentarische Kontrolle der Risiken der Bankgesellschaft weitgehend unmöglich. Finanzsenator Peter Kurth (CDU), Mitglied des Aufsichtsrats der Bankgesellschaft, bekam in den Sitzungen des Gremiums immer wieder die – falsche – Antwort, die Risikovorsorge sei ausreichend. Auch der Landesrechungshof kritisiert in seinem Jahresbericht die „verworrene und komplizierte Konstruktion“ der Bank.

Neben dem Land Berlin hält die NordLB rund 20 Prozent der Anteile an der Holding, rund 7,5 Prozent befinden sich in der Hand der Parion-Versicherungsgruppe, den Rest halten Kleinaktionäre. Doch bei der NordLB beurteilt man eine Erhöhung der Beteiligung skeptisch. Das Geldinstitut, so heißt es, könnte in einem solchen Fall allerdings die operative Führung bei der Bankgesellschaft am Berliner Alexanderplatz übernehmen. Im Roten Rathaus geht man seit einer Sondersitzung der Koalitionsspitzen am Sonntag davon aus, dass das Land zunächst zahlen muss. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) kündigte an, das Land Berlin werde wohl um eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung um sechs Milliarden nicht herumkommen. Vier Milliarden Mark Kredite müssen innerhalb der nächsten sechs Wochen aufgenommen werden, um eine Einstellung des Geschäftsbetriebs der Bank zu vermeiden. Weitere zwei Milliarden Kredite werden notwendig, weil die im Haushalt 2001 bereits vorgesehenen Einnahmen aus dem Verkauf von Anteilen an der Bank nun nicht realisiert werden können. Der Aktienkurs der Bankgesellschaft ist auf rund 8,47 Euro gefallen, vor sechs Monaten lag er noch bei über 15 Euro.

Ein Investor von außen, der zu einer kurzfristigen Deckung des immensen Kapitalbedarfs bereit wäre, ist bisher nicht aufgetaucht. Zwar kursieren immer wieder Meldungen über eine Rettung von außen, die der Landeskasse den Gnadenschuss ersparen würde. Doch beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband, mit der Kurth derzeit Gespräche über eine Beteiligung an dem Tochterinstitut Landesbank Berlin führt, stößt der Senat mit seiner Bitte um eine schnelle Kapitalzufuhr bisher auf taube Ohren: Der Verband sei an einer sorgfältigen Prüfung interessiert, heißt es lediglich.

Denn mit der Krise der Bankgesellschaft wird auch der alte Konflikt zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Geldinstituten neu ausgetragen. Der Konzern ist im Großraum Berlin mit 3,3 Millionen Privatkunden und einem Marktanteil bei den Girokonten von 50 Prozent Marktführer im standardisierten Kleinkundengeschäft. Für private Geldinstitute bietet eine Totalprivatisierung, wie sie der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Alexander Kaczmarek ins Spiel gebracht hat, eine Möglichkeit für den Einstieg in das lukrative so genannte Retail-Banking in der Hauptstadt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Wowereit steht daher einer Entflechtung skeptisch gegenüber. „Es besteht die Gefahr, dass wir vor allem die profitablen Bereiche der Bankgesellschaft, etwa das Sparkassengeschäft, weit unter Wert verkaufen müssen.“

Die Grünen, die dem Konstrukt schon immer skeptisch gegenüberstanden, drängen nun auf eine Entflechtung der Bankgesellschaft und wollen den Anteil des Landes auf die Sperrminorität von 25,1 Prozent reduzieren. Vor allem das Immobiliengeschäft mit seinen hohen Wertberichtigungen müsse „schnellstmöglich“ abgestoßen werden, fordert der grüne Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland. „Die Bankgesellschaft Berlin hat sich als ein unkontrollierbares Monstrum erwiesen, das Vermögen in großen Stil vernichtet.“

In der Tat kommt die Rettung der Bank auch die Retter teuer zu stehen. Für jede Milliarde Mark Schulden muss das Land jährlich rund 50 Millionen an Zinsen bezahlen.

SPD und Oppositionsparteien sehen durch die Bankenkrise die rigiden Einsparungen von mindestens fünf Jahren zunichte gemacht. Nur der Regierende Bürgermeister Diepgen demonstriert angesichts dieser Probleme noch Optimismus: „Berlin entwickelt sich gut, nur dem Haushalt geht es schlecht.“ Nicht so den Managern der Bankgesellschaft: Der Konzern will trotz der Krise 19 Villen behalten, die von Führungskräften der Bank bewohnt werden. Die Anschaffungskosten beliefen sich auf rund 82 Millionen Mark. Weil die Manager nur „marktübliche Vergleichsmieten bezahlen“, muss die Bank langfristig Verluste von 45,2 Millionen Mark verbuchen.

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