: Erst getrennt und dann geschlagen
Fast 2.000 Albaner flohen allein gestern aus den Gebieten im Norden Makedoniens vor den Angriffen der makedonischen Armee. Internationale Menschenrechtsorganisationen registrieren eine steigende Zahl von Misshandlungen an Flüchtlingen
aus Skopje ERICH RATHFELDER
Übermüdet, mit Tränen in den Augen – so steigen die Frauen und Kinder aus den Bussen, die sie in die makedonische Provinzstadt Kumanovo gebracht haben. Sie stammen aus dem Ort Matejce, der in den letzten Tagen Ziel massiver Artillerieangriffe seitens der makedonischen Armee gewesen ist.
Die Frauen bleiben stumm. Als sie sich am Morgen aus dem etwa 4.000 Einwohner zählenden Dorf Matejce aufmachten, waren die Familien noch vollständig. Doch dann trennte die Polizei Männer und Frauen. Die Männer wurden in die Polizeistation gebracht. „Wir haben Angst, dass sie unsere Männer schlagen“, sagt eine. „So wie die anderen Flüchtlinge, die unsere Dörfer verlassen haben.“
Der Mitarbeiter von Human Rigths Watch, einer Menschenrechtsorganisation aus New York, Fred Abraham, befragt die Flüchtlinge. „Jetzt läuft der gleiche Film ab wie in Vaksince und in Rumnice“, befürchtet er. Als eine Flüchtingskolonne letzte Woche den umkämpften Ort Vaksince verlassen musste, seien die Frauen und Kinder ebenfalls von den Männern getrennt und viele Männer bei den Befragungen durch Polizisten geschlagen worden. „Vor allem in die Nieren und die Geschlechtsorgane.“ Rumnice sei am Montag vor einer Woche zerstört worden. Armee und Polizei hätten das kleine Dorf gestürmt, die Bewohner vertrieben und die Häuser angezündet. „Die Männer und Jugendlichen wurden geschlagen, sechs von ihnen schwer verletzt, ein Junge starb“, sagt Abraham
Das Vorgehen der makedonischen Sicherheitskräfte widerspricht ihrer Propaganda. Ständig behaupten die Medien, die UÇK benutze die Bevölkerung als Schutzschild. Doch bald wird klar, dass die Angst vor der Polizei die Menschen zurückhielt, nicht der Befehl der UÇK. Sie wollten nicht in die Hände der makedonischen Polizei fallen, daher seien sie in der Kampfzone geblieben, sagen die Frauen aus Matejce: „Doch jetzt schlugen die Granaten überall ein, die Armee griff von allen Seiten an.“
Seit Tagen ist die Frontlinie verbreitert worden. Dörfer, die südlich der bisher umkämpften Dörfer Vaksince und Slupcane liegen und noch letzte Woche als „friedlich“ galten, sind jetzt Operationsgebiet der makedonischen Armee geworden. Viele Menschen fliehen in das Zentrum des Aufstandsgebietes, vornehmlich in den 2.000 Einwohner zählenden Ort Lipkovo. 9.000 Menschen drängeln sich dort. Es gibt keinen Strom, Essen ist knapp. „Brotsuppe, mehr gibt es nicht“, sagt eine Flüchtlingsfrau. Die Menschen säßen dicht gedrängt in dunklen Kellern. „Die Kinder werden traumatisiert“, sagt Aqif Ajdini, Präsident der Hilfsorganisation al-Hilal in Kumanovo. „Es gibt zu wenig Medikamente und Reinigungsmittel, um Seuchen zu verhindern.“
Seit Wochen bemühen sich einige wenige internationale Hilfsorganisationen, humanitäre Hilfe in das Gebiet zu bringen. Dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) ist es bisher 10-mal gelungen, in das umkämpfte Gebiet vorzudringen. Pressesprecherin Annick Bouvier berichtet, es seien vorige Woche zwei Tonnen Babynahrung, Medikamente und Hygieneartikel geliefert worden. „Seit Tagen aber wird so schwer gekämpft, dass wir das Leben unserer Mitarbeiter nicht riskieren können.“ Brita Heleland, die Sprecherin der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR, erklärt, insgesamt würden 12.144 Flüchtlinge außerhalb der Kampfgebiete versorgt.
Im Ganzen wird jedoch zu wenig unternommen. Wo sind die vielen Organisationen, die sich im Kosovo und in Bosnien auf die Füße traten? Aus diplomatischen Quellen verlautet dazu: Anstrengungen der Hilfsorganisationen seien politisch nicht opportun, ihre Tätigkeit würde die UÇK nur aufwerten. Skopje blockiere ohnehin. Und die UÇK? Sie nehme das Leiden der Zivilbevölkerung in Kauf, um Sympathie zu erhalten. Und wieder sind es die Zivilisten, die politischem Kalkül geopfert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen