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„Wir brauchen mehr Politik“

Interview KATHARINA KOUFEN

taz: Herr Bové, Sie wurden bekannt, als Sie vor zwei Jahren im südfranzösischen Millau eine Filiale von McDonald’s „verwüsteten“. Haben Sie seitdem einen McDonald’s von innen gesehen?

José Bové: Nein, ich sehe diese Restaurants immer nur von außen. Selbst wenn ich es wollte, käme ich dort nicht hinein. Ich habe dort mein Image weg. Zum letzten Mal an einem McDonald’s vorbeigekommen bin ich in Québec auf dem amerikanischen Freihandelstreffen. Die hatten solchen Schiss vor uns, dass sie alles entfernt hatten, was nach McDonald’s aussah. Vor die Fensterfronten hatten sie grün lackierte Holzplanken genagelt. Alles sollte sehr freundlich wirken.

Warum sind Sie so sehr gegen McDonald’s?

McDonald’s ist ein Symbol für die Standardisierung und Industrialisierung von Nahrungsmitteln, für die Globalisierung.

Wollen Sie damit sagen: Jeder darf nur das essen, was aus der eigenen Region stammt? Nie wieder Bananen?

Jedes Land sollte zumindest in der Lage sein, seine eigene Bevölkerung zu ernähren. Die Europäische Gemeinschaft hat ihre Agrarpolitik 1958 mit dem Ziel begonnen, die Bevölkerung Europas ernähren zu können. Wir haben uns damit etwas herausgenommen, was andere Länder nicht dürfen – sich abzuschotten und den eigenen Nahrungsmittelmarkt zu behalten. Dieses Recht müssten wir auch den Entwicklungsländern zugestehen. Es sollte allen Ländern erlaubt sein, Schutzzölle auf Agrarprodukte zu erheben. Im Moment stammen 80 Prozent aller Agrarprodukte, die weltweit gehandelt werden, aus den USA und aus der EU, die ihre hoch subventionierten Produkte zu Dumpingpreisen verkaufen.

Viele Enwicklungsländer fordern aber, dass sie endlich mehr Agrarprodukte auch in die EU und die USA exportieren dürfen.

Ich verstehe ja, dass die Entwicklungsländer Devisen brauchen, um ihre Wirtschaft in Gang zu bekommen. Aber wenn sie Agrarprodukte exportieren, dann müssen sie woanders Nahrungsmittel importieren, damit ihre Bevölkerung etwas zu essen hat. Die Folge: Immer mehr Kleinbauern geben auf und verarmen. Nur die großen Agrarbetriebe produzieren in großem Stil für den Export. Seit Gründung der WTO 1994 haben die Entwicklungsländer ihre Nahrungsmittelimporte schon um 60 Prozent gesteigert.

Wenn Länder wie Argentinien freien Zugang zum EU-Markt hätten, wäre der Druck auf die europäischen und amerikanischen Bauern noch größer.

Nicht, solange es Subventionen gibt. Kein Land wird je in der Lage sein, zu niedrigeren Preisen zu exportieren als die USA und die EU.

Auf der WTO-Tagung 1999 in Seattle haben Sie gemeinsam mit Bauern aus Lateinamerika und Asien demonstriert. Hatten Sie da keine Meinungsverschiedenheiten, was den europäischen Agrarprotektionismus betrifft?

Die meisten Kleinbauern Südamerikas sind mit uns einer Meinung: Sie wollen für den Bedarf im eigenen Land produzieren. Es sind vor allem die großen Bauern aus Argentinien und Brasilien, die exportieren wollen.

Viele dieser Länder haben keine anderen Exportprodukte. Sollen sie generell auf Handel verzichten?

Ich spreche nur von den Grundnahrungsmitteln. Ich weiß, dass wir in Europa keine Bananen und keinen Kaffee anbauen können. Also müssen wir Bananen und Kaffee importieren. Aber wir müssten bereit sein, faire Preise für diese Importe zu bezahlen. Wir dürfen keine Preise akzeptieren, die unter den Produktionskosten liegen. Davon, dass Argentinien zum Beispiel wegen des Rinderwahns so viel Fleisch nach Europa exportiert, haben die Kleinbauern dort überhaupt nichts. Davon profitieren nur wenige Großbetriebe.

Was würden Sie also vorschlagen, um fairere Preise zu bekommen?

Es sollte unmöglich sein, Produkte unter den Herstellungskosten im Herkunftsland zu verkaufen. Die Europäer haben mit dem Export von subventioniertem, gefrorenem Fleisch schon genügend Märkte in Afrika kaputt gemacht.

Das heißt: Überhaupt keine Subventionen mehr?

Nicht generell. Subventionen sollte es aber nicht mehr zur Senkung der Exportpreise geben, sondern nur für die innere Organisation des EU-Marktes – um die Bauern bei der Stange zu halten, um Ökolandbau zu fördern und um die Konsumentenpreise zu senken.

Aber auch die Einfuhren aus den Entwicklungsländern, Kakao und Kaffee zum Beispiel, sind zu billig. Was wollen Sie gegen die Weltmarktpreise machen?

Diese Preise werden von den großen Konzernen gemacht. Wir müssen die Regeln ändern, nach denen diese Preise entstehen. Die EU muss eine politische Entscheidung treffen, und wir müssen Druck auf unsere Regierungen ausüben. Zum Beispiel die Schokoladenrichtlinie: Dass seit neuestem Pflanzenöl unter den Kakao gemischt werden darf, ist doch ein Schlag ins Gesicht der Kakaoexporteure! Oder: Vor einigen Monaten öffnete die EU ihren Markt für fast alle Agrarprodukte aus den ärmsten Entwicklungsländern. Das hilft den Leuten in den armen Ländern aber überhaupt nicht. Diese Länder dürfen jetzt zwar so viel Zucker exportieren, wie sie wollen – aber zum Weltmarktpreis.

Die neue deutsche Agrarministerin Renate Künast will den Öko-Landbau stärker fördern. Ist sie damit auf dem richtigen Weg?

Die Konzentration auf ökologischen Anbau reicht nicht. Renate Künast und die anderen EU-Agrarminister müssen vor allem etwas dagegen tun, dass immer mehr Bauern das Handtuch werfen. Die Konzentration auf Großbetriebe schreitet immer weiter voran. Wir müssen den Bauern helfen, ihre Produktion zu „desintensivieren“. Wir müssen die Kleinbauern schützen. Was hilft es uns, wenn wir zwar auf der einen Seite Öko-Essen haben, aber auf der anderen Seite lauter Bauernhöfe, die nur noch als Wochenendparks dienen. Wo wir unseren Kindern zeigen können: Guckt mal, so haben die Bauern gelebt.

Haben Sie nicht manchmal das Gefühl: Es ist sowieso out, Bauer zu sein?

Wenn Sie darauf anspielen, dass es so schwierig geworden ist, Erntehelfer zu finden: Das liegt daran, dass gerade im Obstanbau eine ganz starke Konkurrenz zwischen den Regionen herrscht. Und deshalb wird bei den Löhnen gespart. In Deutschland arbeiten Polen auf dem Feld, in Frankreich und Spanien sind es Nordafrikaner. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Regulierung. Dann könnten wir eine faire Bezahlung garantieren, dann würde diese Arbeit wieder attraktiver.

Und wie wollen Sie höhere Löhne garantieren? Von oben?

Wir müssen den Bauern garantieren, dass sie aus dem Verkauf ihrer Produkte ein ausreichendes Einkommen erzielen. Innerhalb der EU könnten wir die Preise durchaus mit dem Geld stützen, das bis jetzt in die Subventionierung der Exporte fließt. Idiotisch ist es aber, den Bauern direkt Geld zu geben, wie es seit den 90er-Jahren Praxis ist. Denn die EU darf Preise und Produktion nicht mehr subventionieren, weil sie sonst mit der WTO Probleme bekommt.

Sind die Nahrungsmittel bei uns nicht ohnehin viel zu billig?

In den reichen Ländern geben die Menschen nur 14 Prozent ihres Einkommens fürs Essen aus. Von diesen 14 Prozent gehen nur vier Prozent an die Bauern. Umgekehrt heißt das: Wenn die Bauern 20 bis 30 Prozent mehr für ihre Produktion bekommen würden, würden die Verbraucherpreise nur geringfügig steigen. Und ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen in Europa gerne ein bisschen mehr bezahlen würden – wenn sie dann wüssten, dass sie sichere und gesunde Nahrungsmittel erhalten.

Sie sind gleichzeitig Bauernidol und ein Star der Antiglobalisierungsbewegung. Hier in Deutschland haben die eher konservativen Bauern wenig mit den meist linken Globalisierungsgegnern zu tun. Wie passt das bei Ihnen zusammen?

Wir haben in Frankreich von Anfang an eng mit allen sozialen Bewegungen zusammengearbeitet. Wir waren uns bewusst, dass wir Bauern nur eine Minderheit in der Bevölkerung sind. Wenn wir also etwas ändern wollen, dann müssen wir es zusammen mit anderen Menschen tun. Außerdem geht die Landwirtschaft alle etwas an. Alle sollten eine Meinung dazu haben, was sie essen wollen und was nicht. Und alle zahlen Steuern für die Agrarsubventionen. Außerdem zerstört der Neoliberalismus nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch viele andere Lebensbereiche.

Sie waren auch auf dem Weltsozialgipfel in Porto Alegre, der Gegenveranstaltung zum Davoser Wirtschaftsforum. Porto Alegre war ein Aufbruch, ein wichtiges Zeichen – aber Ergebnisse gab es nicht.

Wir hatten schon vor dem Treffen gesagt: Das ist das erste Treffen, und wir wollen keine Abschlusserklärung. Das soll ein Treffen sein, wo Menschen aus allen Ländern der Welt kommen und sagen können, welche Probleme sie mit der Globalisierung haben. Erst nächstes Jahr, wenn wir uns das zweite Mal treffen, wollen wir auch Vorschläge formulieren. Wir wollen uns als Bewegung von unten bilden, alle sollen eingeschlossen sein. Wir wollen keine vorformulierten Beschlüsse. Natürlich sind die Davoser da effizienter: Sie treffen sich seit zwanzig Jahren und kennen sich.

Wieso hat die Angst vor der Globalisierung in den letzten Jahren so zugenommen?

Noch in den Achtzigern war die Welt zweigeteilt, und niemand hat mitbekommen, was auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs passierte. Das hat den Menschen auf eine gewisse Weise Sicherheit gegeben. In den Neunzigern hat die Wirtschaft begonnen, ihr Eigenleben zu entwickeln und der Politik immer stärker aus den Händen zu gleiten. Die Leute wollen wieder mehr politische Kontrolle. Die Wirtschaft wächst – und kümmert sich nicht um die Leute. Das macht Angst.

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