: Treiber bei der Diepgen-Jagd
Der Berliner SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit droht wegen der Finanzkrise in der Hauptstadt mit dem Koalitionsbruch
Wieder einmal hat Klaus Wowereit die Zeichen der Zeit als Erster erkannt. So offen wie noch nie droht der Berliner SPD-Fraktionsvorsitzende dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) mit dem Bruch der großen Koalition – und das nicht einmal einen Monat nachdem die hauptstädtische Senatskrise mit dem Rücktritt des CDU-Fraktionschefs Klaus Landowsky schon beendet schien. „Wenn wir sagen, die Koalition ist beendet, dann ist sie beendet“, sagte Wowereit zu Pfingsten. Diepgen lässt den Sozialdemokraten gar keine andere Wahl: Seinen Versuch, das Milliardenloch im Landeshaushalt als Routinefall zu behandeln, kann die SPD nicht einfach hinnehmen.
Damit wiederholt sich das Szenario vom Frühjahr: Da hatte sich Landowsky, als Bankvorstand für das Finanzdesaster mitverantwortlich, so stur gestellt wie jetzt Diepgen. Auch damals war es Wowereit, der die Forderung nach Konsequenzen als Erster mit der Koalitionsfrage verband. Die Partei folgte ihm erstaunlich geschlossen, und zum ersten Mal seit zehn Jahren hatte die Berliner SPD ein Erfolgserlebnis: Landowsky trat zurück.
Innerhalb weniger Wochen war Wowereit damit vom nahezu unbekannten Newcomer zum Hoffnungsträger der Landespartei geworden. Der heute 47-jährige Jurist, lange Jahre nur in der Stadtteilpolitik aktiv, war erst 1995 ins Landesparlament gewählt worden. Als Finanzexperte unterstützte er dort die Sparpolitik der SPD-Senatorin Annette Fugmann-Heesing – gegen den Widerstand von Diepgen und weiten Teilen der eigenen Partei. Die kompromisslose Senatorin musste nach vier Jahren gehen, der flexiblere Wowereit stieg zum Fraktionsvorsitzenden auf.
Im neuen Amt zeigte der Politiker vom ersten Tag an mehr Selbstbewusstsein gegenüber dem Koalitionspartner, als es sein stets zerknirschter Vorgänger Klaus Böger je gewagt hätte. Ob Wowereit den CDU-Kultursenator beschimpfte oder das Verhältnis seiner Partei zur PDS entkrampfte – immer wollte er zeigen, dass die SPD auf die Koalition mit der CDU notfalls auch verzichten kann. Das war ganz nach dem Geschmack des SPD-Bundesvorsitzenden Gerhard Schröder. Dass ausgerechnet in der Hauptstadt noch ein CDU-Bürgermeister amtiert, war dem Kanzler schon immer ein Dorn im Auge.
Natürlich weiß auch Wowereit: Für die SPD wäre es besser, mit dem Bruch der Koalition noch eine Weile zu warten. Ein rot-roter Senat, ob mit oder ohne Beteiligung der Grünen, hätte derzeit einen denkbar schlechten Start – er müsste mit einem schmerzhaften Kassensturz beginnen. Diesen Offenbarungseid würde die SPD lieber Diepgen überlassen. Für Neuwahlen ist im Herbst 2002 immer noch Zeit. Dann könnte die Berliner Landespartei im Windschatten der Bundestagswahl segeln.
Der eigenen Kraft mag die Berliner SPD trotz der CDU-Affäre nicht ganz trauen. Zwar hat sich Diepgens Popularität in den letzten Umfragen fast halbiert – auf nur noch 33 Prozent. Doch an zweiter Stelle rangiert der PDS-Politiker Gregor Gysi. Wowereit liegt weit abgeschlagen bei sieben Prozent. Einer SPD, die seit zehn Jahren an der Seite der CDU regiert, trauen die Wähler den Neuanfang offenbar nicht zu. Aber gerade deshalb, das hat Wowereit erkannt, muss die SPD auf Distanz gehen – und Neuwahlen riskieren, die sie gar nicht will.
RALPH BOLLMANN
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