: Währung mit Nebenwirkungen
Bereits jetzt fordern die Finanzmärkte ihren Preis für das Überleben des Euro – und fördern erfolgreich eine Fortsetzung von radikaler Liberalisierung und Privatisierung
Die Bundesbürger geraten langsam in den Euro-Rausch, freuen sich auf die ersten echten Münzen und Scheine. Allerdings sorgen sich auch nicht wenige um pfenniggroße Preisanhebungen durch raffgierige Ladeninhaber während der Umstellungsphase 2001/2002. Dabei geraten jedoch die grundlegenden Schwierigkeiten des Projekts vollkommen aus dem Blick: Der Euro könnte eines Tages platzen wie ein Luftballon.
Allerdings sind es gerade nicht die bekannten schlechten Nachrichten, die Sorgen bereiten sollten. Dass beispielsweise in den Vereinigten Staaten die Konjunktur abflaut, lässt sich als normale konjunkturelle Delle sehen, und an das japanische Dilemma haben wir uns längst gewöhnt. Seit 1989 stottert Japans Wirtschaftsmotor, trotz eines Leitzinses nahe null und der keynesianischen Ankurbelungsprogramme der Regierung in Tokio, die umgerechnet hunderte von Milliarden Mark verschlingen. Auch dass sich das Wachstum des Welthandels halbiert hat, kann den Euro nicht wirklich gefährden. Dies können noch nicht einmal die schlechten Nachrichten aus Euroland selber, wie die dauerhafte Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar, die schwachen Konjunkturdaten aus Frankreich und Deutschland oder die importierte Inflation. All diese negativen Entwicklungen bedrohen zwar das Wirtschaftswachstum, machen die Armen ärmer und belasten die angeschlagenen öffentlichen Haushalte. Aber sie zerschlagen nicht den Euro.
Statt solch normaler Wirrnisse der kapitalistischen Ökonomie gefährden jedoch mindestens drei bedrohliche Konstruktionsfehler den Euro. (Der Skeptiker und Wirtschaftsprofessor Wilhelm Hankel zählt in seinem jüngsten Buch sogar zwölf strategische Fehlentscheidungen beim Euro auf. Wer nachlesen will: Das Buch heißt „Die Euro-Illusion“ und ist bei Rowohlt erschienen.)
Der Vertrag von Maastricht schrieb 1992 strenge Beitrittsvoraussetzungen für die Wirtschafts- und Währungsunion fest, unter anderem wurde die Staatsverschuldung stark eingeschränkt. Elf Staaten erfüllten zunächst diese Euro-Maastricht-Kriterien und legten feste Umtauschkurse für ihre Währungen fest. Seit dem 1. Januar 1999 ist der Euro als Buchgeld offizielle Währung. Nachdem nun auch Griechenland die Maastricht-Kriterien erfüllt, werden im kommenden Jahr zwölf Länder den Euro als neues Bargeld einführen.
Der erste Konstruktionsfehler der neuen europäischen Währung: die Vorreiterrolle der Ökonomie. Trotz einheitlichen Geldes befinden wir uns politisch weit entfernt von einer (west-) europäischen Integration. Erinnert sei an den lauten Aufschrei in Paris, als Bundeskanzler Schröder über eine Stärkung der politischen EU-Institutionen nachdachte. Frankreich beharrt dagegen auf seinem Nationalstaat und einer gemeinsamen kulturellen Vision von Europa, die freilich nirgends zu entdecken ist. Auch das notorische Euro-Abseits von Großbritannien ist Besorgnis erregend.
Trotz dieser politischen Ungereimtheiten schränkt der Euro durch seine harten Maastricht-Kriterien den Handlungsspielraum der nationalen Regierungen gewaltig ein. Darin liegt Sprengstoff. Was wird Berlusconi tun, wenn seine üppigen Wahlkampfversprechen auf eine abflauende Konjunktur treffen? Was passiert, wenn Griechenland in eine Wirtschaftskrise rauscht und Deutschland boomt? Die ökonomische Dominanz im Euro-Projekt sperrt dann gleichwohl alle Staaten in ein enges Haus. Viele werden die bedrückende Enge dieses Euro-Hauses über kurz oder lang verlassen wollen.
Der zweite Geburtsfehler ist noch gravierender. Sie betrifft den Kern des Euro: die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Wirtschaft und Preise der zwölf Euro-Länder befinden sich auf äußerst unterschiedlichen Niveaus. Wer will ernsthaft Portugal und Griechenland (oder gar Polen und Ungarn) mit der Bundesrepublik und Frankreich vergleichen? Daran konnten auch die fast willkürlich festgelegten Euro-Kriterien im Vertrag von Maastricht nichts ändern. Wie aber kann die eine Zentralbank auf alle Fragen, die daraus erwachsen, mit nur einem einzigen, europaweit einheitlichen Leitzins antworten? Eigentlich gar nicht!
Schauen wir beispielsweise auf die Inflation, deren Bekämpfung die eigentliche Aufgabe der EZB ist. In Irland erreichte der Preisverfall schon die Sechs-Prozent-Marke, ähnlich schlecht schneiden Portugal und Finnland ab, während andere Länder bislang eine zwei vor dem Komma halten. Zugleich liegt jedoch der Geldversorgungssatz der EZB bei 4,5 Prozent. Irische Banken zahlen daher unterm Strich einen Minuszinssatz an die EZB, bekommen faktisch Geld geschenkt. Wenig ermutigend klingt es da, wenn Bundesbankpräsident Welteke in einem Interview mitteilt, dass die großen Unterschiede in der Inflationsentwicklung für die EZB eigentlich keine Rolle spielen.
Neben dem politischen und dem wirtschaftlichen Geburtsfehler gibt es einen dritten wichtigen: Der Euro wird auch sozialpolitisch gefährdet – durch die wiederum ökonomisch dominierte Osterweiterung. So sehr diese auch an sich wünschenswert sein mag, sie wird in Westeuropa zum weiteren Sozialdumping beitragen und Länder wie Polen und Ungarn dauerhaft zum industriellen Hinterhof machen. Denn der Wegfall der eigenen Währung ist gerade für ökonomisch schwache Länder ein Problem. Der „schwache“ Wechselkurs von Forint, Zloty oder Lewa senkt die Preise für Exportartikel drastisch und macht viele Maschinenteile, Paprika und Salami erst weltmarktfähig. Ohne diesen Währungsschutz überleben dann nur die ausländischen Konzerntöchter, die im osteuropäischen Billig-Lohn-Paradies produzieren.
Nun kann niemand in die Zukunft schauen. Ob der Euro tatsächlich an seinen inneren Widersprüchen zu Grunde geht, ist noch historisch offen. Aber gewiss werden wir für ihn einen hohen Integrationspreis zahlen, denn längst zehren das Euro-System und die Osterweiterung am Sozialstaat des rheinischen Kapitalismus, wie ihn Frankreichs Premierminister Jospin erhalten will. Die Finanzmärkte fordern ihren Preis für das Überleben des Euro und fördern erfolgreich eine Fortsetzung von radikaler Liberalisierung und Privatisierung – denken wir an Rentenreform und „private Altersvorsorge“. Nur wenn die Staaten weiter bis zum dürren „Lean Government“ abspecken, versprechen die Finanzmärkte eine Trendwende zu Gunsten des Euro, der bislang ein Viertel seines Wertes verloren hat.
So könnte der Startschuss im Mai für die DM-Rückgabekampagne von „Schlafmünzen“ den Anfang eines bitteren Endes markieren – selbst wenn der „Euro“ nicht wie ein Luftballon platzen sollte. HERMANNUS PFEIFFER
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