Schüler dürfen NS-Zeit erforschen

Der CSU-Bürgermeister von Gersthofen wollte Gymnasiasten den Zutritt zum Stadtarchiv verwehren, weil diese die Geschichte der Zwangsarbeiterfirmen erhellen wollten. Das Augsburger Verwaltungsgericht machte jetzt den Weg für die Studie frei

aus Gersthofen KLAUS WITTMANN

Siegfried Deffner, der Bürgermeister von Gersthofen, einer 20.000 Einwohner zählenden Stadt vor den Toren Augsburgs, ist immer gut für Schlagzeilen. Vor gut eineinhalb Jahren sorgte das Mitglied der Christlich-Sozialen Union international für Furore. Der Anlass war damals eigentlich freudiger Natur für die Bürger seiner Kommune, ließ er ihnen doch Gelder zukommen. Wegen des vorhandenen Haushaltsüberschusses erhielt jedes Mitglied der Gemeinde 100 Mark ausbezahlt. Jetzt steht das Stadtoberhaupt wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Diesmal allerdings handelte er sich, zumindest bei einem Teil der örtlichen Bevölkerung, gehörigen Ärger ein. Deffner versuchte, Schüler des örtlichen Gymnasiums bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit den Zugang zum Stadtarchiv zu versagen.

Aus diesem Grund musste sich die 8. Kammer des Augsburger Verwaltungsgerichts in den vergangenen Tage mit einem ungewöhnlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung befassen. Beantragt worden war dieser durch eine Schulklasse des Gersthofener Paul-Klee-Gymnasiums und von ihrem Geschichtslehrer. Adressaten waren: die Stadt und Bürgermeister Deffner.

Der CSU-Politiker hatte mit seiner Maßnahme zu verhindern versucht, dass Firmen und Personen im Zusammenhang mit Nachforschungen über Zwangsarbeiter in Misskredit gebracht werden. Doch der Einsatz Deffners war umsonst. Das Verwaltungsgericht entschied nun und verpasste dem Bürgermeister eine herbe Abfuhr: Das Stadtarchiv muss für die Schüler zugänglich gemacht werden.

Bürgermeister Deffner hatte zuvor geltend gemacht, er wolle Belange Dritter schützen. Es sollten vor allem durch die Nachforschungen und die Arbeit der Gymnasiasten keine bereits verstorbenen Personen an den Pranger gestellt werden. „Der Lehrer hat erklärt, dass alle, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, in einer Liste veröffentlicht werden, und das wollte ich nicht“, sagte das Stadtoberhaupt auf Anfrage.

Vor dem Verwaltungsgericht machte der Bürgermeister zudem geltend, dass die Antragsteller, also Schüler und Lehrer, von „Sklavenarbeitern“ gesprochen hätten. Dies, so das Stadtoberhaupt, indiziere, „dass deren Arbeitgeber Sklavenhalter gewesen seien“. Dies aber entspreche nicht der historischen Wahrheit, so der Gemeindechef weiter. Die Zwangsarbeiter seien als Ersatz für die zum Kriegsdienst herangezogenen deutschen Männer vom Staat zugewiesen worden.

Deffner verstieg sich schließlich sogar zu der Formulierung, dass „die Beschäftigung von Zwangsarbeitern nichts über die charakterliche Qualität“ besage. Der Argumentation Deffners wollte das Gericht jedoch nicht folgen.

Abweichend von der sonst üblichen Verfahrensweise bei Eilanträgen nahm es auch eine Hauptsacheentscheidung vorweg, um den Schülern den Abschluss ihrer Arbeit noch im laufenden Schuljahr zu ermöglichen. Es hat dies mit der Begründung getan, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Hauptsache mit keiner anderen Entscheidung zu rechnen sei.

Die Schutzwürdigkeit persönlicher Belange sieht das Gericht durch die Schüler und ihren Lehrer nicht gefährdet, zumal diesen beim Staatsarchiv im benachbarten Augsburg durchaus Einblick in die Unterlagen gewährt wurde. Eine Verpflichtungserklärung, dass das Bayerische Archivgesetz eingehalten werde, sei schließlich möglich. Ausdrücklich heißt es in der Begründung der 8. Kammer: „Die Verarbeitung solcher Daten (über Personen, die Zwangsarbeiter beschäftigten; d. Red.) im Rahmen einer Forschungsarbeit, die [...] ausgewertet und gegebenenfalls auch veröffentlicht werden, führt nicht zur Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange (AZ: Au 8 E 01.762).