piwik no script img

Annäherung an eine Unbekannte

In Spanien und bei der Nato in Brüssel hatte Präsident Bush fast ein Heimspiel. Mit lauter Kritik muss er erst heute beim EU-Gipfel in Göteborg rechnen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die Reiseregisseure im Weißen Haus meinen es gut mit ihrem neuen Präsidenten. Bei seinem Antrittsbesuch auf dem Alten Kontinent gibt man ihm Zeit, sich auf die ungewohnte politische Umgebung einzustellen. Die erste Station am Dienstag in Madrid war fast ein Heimspiel. Ein geschmeichelter Regierungschef Aznar genoss sichtlich die unerwartete Beförderung zum engsten Vertrauten von Big Brother. Er revanchierte sich mit der Bemerkung, über das von Europa bislang vehement abgelehnte US-Raketenabwehrsystem NMD müsse neu nachgedacht werden. „Zwischen Spanien und den USA besteht nun eine Interessengemeinschaft, wie sie bis vor kurzem undenkbar war“, jubelte die konservative spanische Zeitung ABC. Die paar Demonstranten gegen Aufrüstung und Todesstrafe konnten die Stimmung nicht verderben.

Auch gestern in Brüssel durfte sich George W. Bush auf vertrautem Terrain bewegen. Das Nato-Hauptquartier ist ein Stückchen USA auf belgischem Boden. Bushs NMD-Pläne sehen aber außer Spanien alle weiterhin skeptisch. Sie halten den zu erwartenden Schaden – eine neue Runde im Wettrüsten – für größer als den von Bush gesehenen Nutzen: Er will sich gegen Terrorakte der „Schurkenstaaten“ Nordkorea, Irak, Iran und Libyen absichern.

Erleichtert haben die Europäer die amerikanische Zusicherung aufgenommen, sich weiter an der Friedenstruppe im Kosovo zu beteiligen. „Zusammen hinein, zusammen heraus“, hatte Bush vor dem Abflug nach Europa versprochen. Auch im Nahen Osten ziehen die Nato-Partner und der außenpolitische Vertreter der EU, Javier Solana, an einem Strang und stimmen ihre Verhandlungen aufeinander ab.

Während der US-Präsident Brüssels amerikanisches Getto im Nato-Viertel nicht verließ, kam Ehefrau Laura beim Damenprogramm in Löwen mit europäischer Kultur und Geschichte in Kontakt. Die Bibliothekarin besichtigte die berühmte Universitätsbibliothek. Man wird ihr erzählt haben, dass der Bestand in beiden Weltkriegen bei deutschen Angriffen vernichtet wurde. In der heißen Phase des Sprachenstreits zwischen Flamen und Wallonen machten dann die Belgier selbst ihre Bibliothek kaputt: Die Flamen vertrieben alle Französisch sprechenden Studenten aus der Uni und gaben ihnen die Hälfte der Bücher für die Neugründung Louvain-la-Neuve mit – nicht den französischen Bestand, sondern jeden zweiten Buchstaben des Alphabets.

Ganz so dramatisch dürfte es beim Gipfeltreffen zwischen USA und EU heute in Göteborg nicht zugehen. Der mächtigste Staatschef der Welt wird sich aber auf rauere Töne als in Brüssel und Madrid einstellen müssen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Bushs Reise und der Hinrichtung des Oklahoma-Mörders Timothy Veigh wirkte in allen europäischen Hauptstädten wie eine Ohrfeige. Bushs Abkehr von den gemeinsamen Klimaschutzverpflichtungen empfinden die Schweden als besondere Provokation. Die schwedische Umweltkommissarin bekam Bushs Verachtung bei ihrem Besuch in Washington zu spüren. Und der derzeitige Ratspräsident Göran Persson, der Nachhaltigkeit zum Schwerpunkt seines letzten EU-Gipfels machen will, sieht die Erfolgsbilanz schwinden, wenn der weltweit größte Klimakiller aus dem Kioto-Abkommen aussteigt.

Neuen Konfliktstoff gibt es auch in Handelsfragen. Zwar einigten sich die EU und die USA Mitte März auf einen Kompromiss im Bananenstreit. Aber: „Kaum sind die Bananen vom Tisch, haben wir ein Stahlproblem“, stöhnte ein EU-Diplomat im Vorfeld des Bush-Besuchs. Da die USA Staatsbeihilfen für Stahlbetriebe als Dumping betrachten, schützen sie ihren Markt mit Strafzöllen. British Steel klagte bei der WTO gegen diese Praxis und bekam Recht. Dennoch hat Washington die Zölle für andere Stahlunternehmen beibehalten.

Atmosphärisch sind das keine guten Ausgangsbedingungen, um die im November in Katar geplante neue Runde der WTO-Verhandlungen einzuläuten. Ein Glück nur, dass beim eigentlichen EU-Gipfel Freitag und Samstag keine brenzligen Themen auf dem Programm stehen. Da können sich die Europäer dann entspannen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen