piwik no script img

Gut, dass wir’s gesendet haben

Auf dem 29. Evangelischen Kirchentag in Frankfurt reichen sich Kapital, Kommerz und Kirche die Hände. Fehlt nur die Kritik, doch damit hält sich das Fernsehen vor lauter Nächstenliebe zurück. Ministerpräsident Roland Koch kann es nur recht sein

von GITTA DÜPERTHAL

Es ist Party in Frankfurt. Massen sind unterwegs. Also ist auch das Massenmedium Fernsehen zur Stelle, hält brav die Kamera auf alles, was sich bewegt. Live-Übertragung, eine feine Sache. Der 29. Evangelische Kirchentag ist medial präsent, die Republik kann am Mega-Event teilhaben. Halleluja, Amen. Besonders gern verweilt die Kamera des Hessenfernsehens auf dem fröhlich singenden hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), der neben der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) bei der Eröffnungsveranstaltung auf dem Römer und der ARD in der ersten Reihe sitzt und auf diese Weise ohne große Anstrengung unverdient Public Relation erfährt. Unverdient? Nicht ganz.

Eine Vorleistung hat er ja erbracht. 5,1 Millionen gab es vom Land Hessen für die Mega-Party, 4 Millionen von der Stadt Frankfurt. Um den Hals hat Koch locker den weißen Kirchentags-Schal mit der Aufschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ geschwungen (siehe Foto). Jenen Schal, über den wir gerade erfahren haben, dass der Kirchentag damit ein Zeichen setzen wolle: gegen jede Gewalt, vor allem aber gegen rechte Gewalt. Wohlgemerkt: Dies ist derselbe Roland Koch, der während seines Wahlkampfes mit der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft dumpfe Ressentiments gegen Ausländer schürte und mit Sprüchen wie „Kinder statt Inder“ die Stammtischhoheit eroberte. Statt aber längst überfällige Fragen zur Korrumpierbarkeit der Kirche durch Politik und Kapital zu stellen, ergießt sich erbarmungslos ein Kessel Buntes über den Fernsehzuschauer. In der Hessenschau rollert die junge Reporterin Natascha Pflaumbaum froh gelaunt durch die Frankfurter Messehallen und empfiehlt: Wenn partout kein Kirchentags-Feeling aufkommen wolle, gebe es ja immer noch T-Shirts, Bembel – ach ja, und natürlich den weißen Koch-Schal. Service-Charakter nennt man das.

Koch ist’s zufrieden, schürzt andächtig die Lippen und hält sein Gesicht in die Fernsehkamera, derweil der Moderator auf dem Römer eifrig für die Anti-Rassismus-Kampagne des Kirchentags wirbt. So vielfältig kann die Welt sein. Und das im ehemaligen „Rotfunk“ HR, der jetzt offenbar – unter der erst kürzlich von der Landesregierung vollzogenen christdemokratischen Vorherrschaft im Rundfunkrat – endgültig diszipliniert scheint, nicht mehr muckt und zuckt. Unfreiwilliger Witz entfaltet sich dann in der HR-Sendung „Götterdämmerung“. Moderatorin Susanne Fröhlich nötigt Bischöfin Margot Käßmann Jugendlichkeitsattitüden ab. So joggen beide auf dem Laufband, während Käßmann sich kurzatmige Statements abringt: „Der Dax ist der neue Gott.“ Im Halbsatz plädiert sie dafür, lieber Gott anzubeten als den Dax. Kurz: Der Evangelische Kirchentag ist in der Spaßgesellschaft angekommen. Das fernsehgerechte Motto: Wir wollen alle füreinander Verständnis haben. Bettler für Banker; Gentechnologie-Kontrahenten für agile Forscher, die den Menschen gern im Reagenzglas neu erfinden möchten; Flughafen-Ausbau-Gegner, die unter Lärmbelastung ächzen, weil über ihre Häuser Flieger im 30-Sekunden-Takt jagen, für Politiker, die als verlängerter Arm von Kapitalinteressen agieren. Wer mag schon bei einer coolen Fete als Spaßverderber gelten? Kommt bei der Jugend ganz schlecht an, ist überhaupt nicht hip. Aber gut, dass wir miteinander geredet haben.

Ähnlich sieht es offenbar auch die Kirchentags-Generalsekretärin Friederike Woldt im Interview mit dem merklich weniger gleichgeschalteten ZDF-Redakteur Ingo Witt. Witt unternimmt gezielte Versuche, Bedenken zu artikulieren – allerdings nicht, ohne sie anschließend wieder zu zerstreuen: Während des Kirchentags sei eine Veranstaltung mit dem Titel „Die Erotik des Geldes“ geplant, andererseits aber – außerhalb des offiziellen Programms – ein Protestmarsch am 15. Juni gegen den „Terror der Ökonomie“.

Die Kommerzialisierung des Kirchentags – ein Thema, über das es nachzudenken gilt? Nicht für Woldt. Und Witt? Muss das wohl „schön“ finden, steht unter Zeitdruck, die Sendung nähert sich ihrem Ende. Und wie sagte Woldt? Bei über 2.000 Veranstaltungen ist für jeden etwas dabei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen