: Verbale Gewaltbereitschaft
Die eine objektiv einsehbare Geschichte der Repression muss her: Eine Diskussion über Andres Veiels Dokumentation „Black Box BRD“ in der Akademie der Künste
Über die RAF wird wieder einmal geredet. Drei Wochen nach dem Kinostart wurde am Mittwochabend Andres Veiels Dokumentation „Black Box BRD“ im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Filmgespräche in der Akademie der Künste gezeigt und anschließend diskutiert. War das jetzt die dritte oder vierte Generation, die sich hier in der Akademie der Künste tummelte?
Der Filmsaal platzte jedenfalls aus allen Nähten, beinahe noch einmal so viele Menschen mussten wieder nach Hause geschickt werden. Lustvolle Panik, als eine Veranstalterin wie eine Stewardess auf die Notausgänge zeigte. Letzte Woche gab es ein kleines Problem mit dem Brandschutz. Explosiv war die Stimmung noch nicht. Aber jeder wusste, dass es bei der Premiere in Frankfurt zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen war. Während der Vorführung hielt man sich zurück
„Black Box BRD“ ist kein Film, der sich bewusst angreifbar macht, wenn er zwischen den Leben von Alfred Herrhausen und Wolfgang Grams hin- und herschaltet. Die jovialen Bosse der Deutschen Bank entlockten manchem noch ein ungläubiges Lachen, genauso wie Grams’ von Foto zu Foto länger werdender Jesusbart. Nach bravem und zum Teil ergriffenem Beifall quälten sich die Zuschauer ins Foyer, um festzustellen, dass der aufs Podium geladene Edzard Reuter, ehemals Chef von Daimler-Benz, mittlerweile ohne Bodyguards auskommt. Regisseur Veiel wertete es später als gutes Zeichen für den Beginn eines neuen Dialogs, dass man sich bei einem solchen Treffen nicht mehr vor Buttersäurewerfern fürchten muss. Reuter sprach von einem „fabelhaften, notwendigen Film“, konnte aber mit der Parallelmontage der beiden Leben wenig anfangen. Wie auch mit einigen Kleinigkeiten: Im Film ist er selbst zu sehen, wie er gerade mit Herrhausen den Rüstungsdeal zwischen Daimler-Benz und MBB klarmacht. Inhaltlich sah er die Friedensmission auf einen granatenstarken Firmentrailer reduziert. Aber „bösartig“ fand das außer Reuter eigentlich keiner im Saal. Als Konsens stand das Lob für einen Film, der dem Terroristen und dem Opfer, Repräsentanten eines Systems, ihre Menschlichkeit zurückgibt.
Die Spiegel-Redakteurin Carolin Emcke, als Kind oft beim Ehepaar Herrhausen zu Gast, sah durch die biogrfische Individualisierung die Struktur der Gewalt dekonstruiert. Der RAF-Experte Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung bemerkte bei Herrhausen und Grams gar eine „Ähnlichkeit des Unbedingten“, für die Veiel „deutsche Parameter“ verantwortlich machte.
Es waren solche Vergleiche und „Reduzierungen“, die immer wieder Murren im Publikum hervorriefen. Während man auf dem Podium betont sachlich blieb, zeichneten sich Lager ab. Nicht nur Reuter meinte, es sei ein Unterschied, ob einer zur Zielscheibe von Mordkommandos deklariert wird oder ob einer auf einem Fahndungsplakat erscheint. Für erstes Frösteln sorgte die Moderatorin Claudia Lenssen mit der wiederholten Frage, ob man mit Herrhausen, zum Schluss Befürworter eines Schuldenerlasses für Entwicklungsländer, vielleicht den Falschen ermordet habe. Da spürte man jene „Grenze des Sprechenkönnens“, die der bedächtige Kraushaar schon zuvor zum Knackpunkt der Diskussion bestimmt hatte. Nie sei die Sprache wie der Film imstande, zu emotionalisieren, ohne zu polarisieren.
Da wusste er noch gar nicht, wie sehr er Recht hatte. In der Publikumsdiskussion fiel das Gespräch erwartungsgemäß auseinander. Wie er mit Reuter an einem Tisch sitzen könne, wurde Veiel gefragt. Warum der Film nicht klar mache, dass Grams ermordet wurde. Die eigene Geschichte, stellte sich heraus, ist nicht für jeden interessant; die eine Geschichte musste her, die objektiv einsehbare, durch Schmauchspuren und Schweigebefehle nachvollziebare Geschichte der Repression.
Eine auswärtige Beobachterin bemerkte eine „verbale Gewaltbereitschaft“ in dieser deutschen Debatte. Und Veiel musste sehen, dass manche diese auch nach seinem Film in den „alten Parametern“ führen wollten. Dabei bot er doch – mit einem Augenzwinkern P noch so viele interessante Fragen an. War der Haarfund des BKA eine Reaktion auf seinen Film? Der Überfall auf einen Geldtransporter die Geburt einer vierten Generation im Geiste der Black Box? Mit einem Appell für Amnestie und ein Gesprächsangebot der RAF endete die Diskussion. Sie war sehr lang. Und doch nicht lang genug. PHILIPP BÜHLER
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