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Die spärlich gedeckten Tische der Macht

Brutale Schmucklosigkeit in der Chefetage, Gold und Orientteppiche daheim: Jacqueline Hassink hat die Arbeits- und Wohnzimmer von weiblichen Unternehmensvorständen fotografiert. Ihre Serie „Queen Bees – weibliche Machtzentren“ wird derzeit im Zürcher Museum für Gestaltung ausgestellt

von DOROTHEE WENNER

Eine der perfidesten Erscheinungsformen der Globalisierung ist das Einswerden von Gegnern und Freunden: Es gibt keine klaren Feindbilder mehr. Die Macht ist fast vollkommen entpersonifiziert. Menschfreundliche Führungsqualitäten zeichnen die modernen Chefs und Chefinnen aus, die – je höher man in der Wirtschaftshierarchie tätig ist – austauschbar und in beständiger Rotation bleiben müssen.

Solchen Machtmenschen, dieser scheuen Beute, hat sich die niederländische Fotografin Jacqueline Hassink in den vergangenen Jahren wie eine hoch spezialisierte Jägerin verschrieben. Sie porträtiert Topmanager und Bankdirektoren, indem sie die Orte fotografiert, an denen sich ihre Macht manifestiert: die Besprechungszimmer der Chefetagen multinationaler Konzerne und Banken. Die Chefs selbst kommen auf ihren Bildern nicht vor. Dem Betrachter ermöglicht der Blick in diese Sanktuarien das Entdecken einer symbolischen Ordnung. Allein: Heutzutage gibt es keinen allgemeingültigen Kanon mehr, der die Bedeutung von Machtinsignien festlegt. Es ist keine leichte Aufgabe, in Tischordnungen, Ledersesseln, Deckenbeleuchtungen und Wandschmuck die zeitgenössischen Äquivalente zu Thron, Hermelin, Krone und Zepter zu entdecken.

Nach „Table of Power“ und „Banks“ stellt das Zürcher Museum für Gestaltung derzeit die dritte Fotoserie von Jacqueline Hassink aus: „Queen Bees“, Bienenköniginnen. Für diese Ausstellung suchte Hassink weibliche Führungskräfte und kam auf 51 Topmanagerinnen in leitender Position. 33 dieser Frauen leben in den USA, sechs in Großbritannien, vier in Frankreich, drei in Japan, zwei in Kanada und jeweils eine in Deutschland, der Schweiz und Spanien. Nicht ganz ohne Komplikationen gelang es Hassink, 14 dieser Frauen zur Mitarbeit zu überreden. Sie wollte nämlich nicht nur die Konferenztische fotografieren, sondern auch den privaten Esstisch daheim – gedeckt und hergerichtet nach dem persönlichen Geschmack. In der Ausstellung hängen die komplementären, großformatigen Farbfotos jeweils nebeneinander; dreimal hängen Weißbilder anstelle der Esstische, da war der Zugang zum Privaten verwehrt.

Eine Broschüre klärt über Alter und Familienstand der Frauen, ihre wichtigsten Karrieredaten, Sitzordnung an den Tischen und die Umsätze der Konzerne auf. Wer die Lektüre auf später verschiebt, hat den Vorteil, die Bilder wie einen Test eigener Wahrnehmungsfähigkeiten ansehen zu können: Auf den ersten Blick könnte man die innersten Machtzentren von Eastman Kodak, Cigna-Versicherungen oder British Aiways auch für die Gruppenberatungszimmer vom Berliner Mieterverein halten. Eine fast brutale Schmucklosigkeit und beige Neutralität bestimmen das Ambiente, das unumwunden zur Konzentration auf das Wesentliche auffordert. Der einzige Luxus, den sich alle Chefinnen leisten, sind jeweils identische Stühle der gehobenen Büroausstatter, die auf nichts so sehr achten wie auf wirbelsäulenfreundliches Sitzen.

Die verblüffende, fast komplette Verweigerung von Möbeln, Objekten, Dekorationselementen, die auf traditionelle Weise Reichtum repräsentieren würden, hat etwas Gespenstisches. Man erkennt diese Haltung vor allem in Kontrast zum Beratungszimmer von Ms. Betsy DeHaas Holden von „Kraft Food“. So stellt man sich die Räume vor, in denen Milliardenverträge ausgehandelt und über das Schicksal ganzer Industriezweige entschieden wird: ein mit edlem schwarzem Holz vertäfelter Saal, in dem ein jedes Ding – vom Kandelaber bis zum Teppich und den Ölportraits der mutmaßlichen Firmengründer – Stärke anzeigt. Wie eine „Zwischenlösung“ von Zurschaustellung und Abstinenz wirkt das Chefzimmer von Ms. Catherine A. Rein im „Metropolitan Life Insurance“-Building, New York. Es ist ein Hybridstil aus Wohn- und Arbeitszimmer: Kamin und Kronleuchter, Schreibtischstühle und in die Decke eingelassene Büroneonleuchten. Hassinks Konzept, in dieser Tischserie das Private und Öffentliche nebeneinander zu präsentieren, soll den Blick für das „spezifisch Weibliche“ im Führungsstil von Topmanagerinnen schärfen. Tatsächlich sind die meisten Büros nämlich nicht nur anonym, sondern auch betont geschlechtsneutral eingerichtet. Konsequent ist jede Äußerung von „Persönlichkeit“ ins Eigenheim verbannt, wo man mit einer wilden Entschlossenheit zur Kompensation konfrontiert wird. Auffallend ist die Neigung der weiblichen Global-Players zu Antiquitäten, Gold, Kerzen, Stofftapeten und Orientteppichen. In diese, der Familie und den Freunden vorbehaltenen Sphäre hat sich verlagert, was in früheren Zeiten in den öffentlichen Repräsentationsräume der Schlösser zu finden war.

„Queen Bees“ zeigt nur zwölf, sehr unterschiedliche Ansichten weiblicher Machtzentren, was schon statistisch jede verallgemeinernde Interpretation verbietet. Es ist aber eine überaus inspirierende Erfahrung, auf den Fotos nach Bedeutungen zu suchen, die nicht unmittelbar ins Auge springen. Hassinks Bilder wecken eine detektivische Lust: Die Ausstellung funktioniert wie ein Gesellschaftsspiel, das mit künstlerischem Geschick und unbefleckt von Agitprop-Methoden feinste, politische Aufklärungsarbeit leistet.

„Queen Bees“, bis zum 1. 7., Museum für Gestaltung, Ausstellungsstrasse 60, 8005 Zürich

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