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Statt Negerkuss ein Schokokuss

Jeannine Kantara und Oliver George Seifert nervt vor allem, dass sie ständig erklären müssen, warum sie Deutsche sind. Ein Gespräch über Stolz, Deutschtum und andere Probleme und Forderungen der „Initiative Schwarze Deutsche“

von DENIS STUTE

taz: Frau Kantara, Herr Seifert, sind Sie stolz, Deutsche zu sein?

Jeannine Kantara: Natürlich, das kommt uns aus allen Poren. Aber im Ernst: Die Debatte ist so albern wie erschreckend, verweist sie doch auf die unaufgearbeiteten Identitätsprobleme der deutschen Bevölkerung. Ich beobachte mit Grauen, wie das als Wahlkampfthema funktioniert.

Tut es das?

Jeannine Kantara: Auch wenn es bei den vergangenen Landtagswahlen nicht funktioniert hat, lassen sich damit viele Leute kriegen. Stolz zu sein passt nicht wirklich zur deutschen Geschichte und Identität. Wenn es aber heißt: „Wir können das wieder von uns sagen“, springen viele darauf an. Aber ich will mich gar nicht auf diese Stolz-Debatte einlassen, um nicht zu diesem Blödsinn beizutragen. Wir haben andere Prioritäten.

Der Name ISD deutschtümelt ein bisschen. Warum „Initiative Schwarze Deutsche“?

Oliver George Seifert: Das liegt doch auf der Hand. Es gibt in Deutschland schon seit langer Zeit schwarze Menschen. Um die Vereinzelung aufzuheben, wurde die ISD gegründet. Man hat uns nie richtig deutsch sein lassen, obwohl wir Deutsche sind.

Jeannine Kantara: Die Selbstverständlichkeit, mit der heute der Begriff „schwarze Deutsche“ oder „Afrodeutsche“ verwendet wird, ist auch der ISD zu verdanken. Bei der Gründung 1986 war die Stimmung in Berlin noch anders. Wir bekamen bis dahin Bezeichnungen von anderen, die ich nicht in den Mund nehmen möchte. In Anlehnung an Afroamerikaner sind wir auf „schwarze Deutsche“ gekommen.

Heißt ISD nicht auch: „Werft uns nicht mit Einwanderern in einen Topf“?

Oliver George Seifert: Das ist weit hergeholt. „Schwarze Deutsche“ heißt natürlich, dass wir Deutsche sind, sei es, weil es in der Geburtsurkunde steht, sei es, weil wir uns auf diesem Territorium befinden, aber es bedeutet keine Abgrenzung. „Schwarz“ ist für uns mehr als nur die Hautfarbe Schwarz, Braun oder Hellbraun. Alle vom Rassismus betroffenen und verfolgten Gruppen könnten eigentlich diesen Begriff annehmen.

Ist also jeder willkommen?

Jeannine Kantara: Nein. Wir haben immer betont, dass der Begriff für alle Leute schwarzer Hautfarbe in Deutschland gilt. Ich finde es richtig, sich abzugrenzen. Wir werden immer gezwungen, uns zu erklären, werden ständig auf unsere Identität hin geprüft. Die Tatsache, dass wir uns selbst benennen, also unsere Identität selbst definieren, stärkt unsere Position.

Oliver George Seifert: Die ISD heißt vollständig übrigens „Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland“. Über die Frage „Deutsch oder nicht deutsch?“ muss ich nicht nachdenken. Ich bin es einfach und lasse mir das auch nicht wegnehmen von einer Gesellschaft, in der einige Menschen glauben, sie müssten mit mir in einfachstem Deutsch sprechen, weil sie denken, ich verstünde sie nicht

Ein schwäbelnder Cem Özdemir ist gern gesehen. Nicht so die fünfköpfige Familie, die eine Ziege auf dem Balkon schlachtet.

Oliver George Seifert: Das ist auch ein Klassenproblem.

Jeannine Kantara: Es spielt keine Rolle, ob du ein Diplom hast und von deiner Regierung hierher geschickt wurdest, wenn du dich durch Marzahn oder Eberswalde bewegst.

Skinheads unterscheiden das nicht, andere schon.

Jeannine Kantara: Da gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Die aufgeklärte Mittelschicht hat Hemmungen, ihre Meinung zu sagen, aber letztendlich ist das Gedankengut durch die Sozialisation ähnlich: Fremdenängste und Vorbehalte.

Oliver George Seifert: Die Nazis sind eher bereit, Gewalt anzuwenden, aber Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

Jeannine Kantara: Viele weiße Deutsche haben Probleme mit ihrer Identität und haben ständig dieses Schuldgefühl. Das projizieren sie auf mich als schwarze Person. Aber alltägliche Probleme machen diese „Multikulti-Fortschrittlichen“. Auch die zwingen dich ständig zu Erklärungen: „Woher kommst du? Ich habe auch afrikanische Freunde. Du kannst prima tanzen. Hat dich Boris Becker schon angerufen?“

Ist Rassismus in Deutschland besonders stark ausgeprägt?

Jeannine Kantara: In England gibt es auch Rassismus, aber dort musste man sich, auch wegen der Kolonialgeschichte, damit auseinander setzen. So gibt es dort den Race Relation Act und die Commission for Racial Equality mit weitreichenden Befugnissen zum Schutz ethnischer Minderheiten. An Universitäten wird zum Thema geforscht, und wenn man mit Leuten diskutiert, fehlt der Schuldkomplex. Wenn ich mich hier mit weißen Leuten unterhalte, heißt es: „Ich hab ja nichts gegen Ausländer“, obwohl es darum nicht geht, sondern darum, dass Rassismus gesellschaftlich verankert ist: In den Medien, bei Behörden oder bei der Wohnungssuche.

Hat sich durch Rot-Grün das Klima verändert?

Jeannine Kantara: Es hat sich etwas geändert. Im Zeitalter der Globalisierung gehen die „Kinder statt Inder“-Argumente der Konservativen an den Realitäten vorbei. Zuwanderung findet statt und ist notwendig. Junge Afrodeutsche lassen sich, anders als wir früher, vieles nicht mehr bieten. Sie haben ein anderes Selbstbewusstsein.

Wann hat Sie zum letzten Mal jemand darauf hingewiesen, dass Sie anders wahrgenommen werden?

Jeannine Kantara: Vor einer halben Stunde.

Oliver George Seifert: Die Frage ist mir zu albern.

Jeannine Kantara: Sprüche kamen auch im Rahmen der Becker-Geschichte. In den Medien lagen schwarze Frauen auf dem Seziertisch, es wurde diskutiert, was das Exotische an schwarzer Haut ist, und so genannte Experten erklärten im Fernsehen Boris Beckers Vorliebe für schwarze Frauen.

Oliver George Seifert: Diskriminierung ist auch ein zeitliches Problem. Ich war im Kiez der einzige schwarze Deutsche. An der Schule meiner Tochter sind mehrere schwarze Schüler, außerdem Kinder aus anderen Ländern. Zudem sind heute im Fernsehen öfter schwarze Menschen zu sehen, das war in unserer Jugend nicht so. Die heutigen Jugendlichen haben HipHop und Soul und müssen sich über einige Dinge weniger Gedanken machen.

Was fordern Sie?

Oliver Goerge Seifert: Wir sind keine Partei, sondern kümmern uns um Themen, die in keinem Programm stehen. Aber wir setzen uns für einige wichtige Sachen ein, etwa ein Antirassismusgesetz und die Abschaffung der Residenzpflicht für Flüchtlinge. Auch haben wir erreicht, dass der „Negerkuss“ nun andere Namen hat. Der wichtigste Punkt aber ist, dass man zu uns kommen kann, zu einer Gruppe von Schwarzen.

Jeannine Kantara: Es war ein gutes Gefühl, Leute mit ähnlichen Biografien zu treffen und festzustellen, dass du kein Außenseiter bist. Eine Forderung ist die Beteiligung der Betroffenen an Rassismusdiskussionen. Hat ein Überfall stattgefunden, erscheint ein sprachloses Opfer, und es wird über die Täter gesprochen. Auch die Zusammensetzung der Einwanderungskommission verdeutlicht: Betroffene bleiben draußen.

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