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Der lange Schatten der PDS

Dem Phänomen Gysi haben die Grünen wenig entgegenzusetzen. Doch eine Niederlage in Berlin würde ihren Ruf als Metropolenpartei beschädigen

aus Berlin SEVERIN WEILAND

So viel Weltläufigkeit haben sich die Berliner Grünen schon lange nicht mehr geleistet. Zwei Ortsfremde im Senat, parteilos und Frauen zudem: In früheren Zeiten wäre dies als mittlere Sensation gewertet worden. Doch als Adrienne Goehler, nun für Berliner Kultur zuständig, und Juliane Freifrau von Friesen, die Wirtschaftsfachfrau, auf dem Gruppenfoto des Übergangssenats posierten – da schien es fast so, als seien die beiden Neulinge schon immer da gewesen.

Was die Grünen in der Hauptstadt derzeit auch anpacken, sie werden so recht nicht wahrgenommen. In den Talkshows geht es nur um einen Namen: Gysi, Gysi, Gysi. Renate Künast, einst von der Berliner Politik an die Bundesspitze gelangt, nennt den PDS-Kandidaten einen „glänzenden Rhetoriker, aber auch einen glänzenden Demagogen“. Und Kerstin Müller, die Fraktionchefin im Bundestag, greift zu einem Vokabular, das bislang den Bürgerrechtlern vorbehalten war: Gysi übertünche nur die „reaktionären“ Ansichten der PDS.

Am selben Montagnachmittag, da Müller wortgewaltig wurde, trat mit Konrad Weiß ein weiterer prominenter Bürgerrechtler bei den Bündnisgrünen aus. Jetzt, wo fast keine Bürgerrechtler mehr mit ihren Verweisen auf SED-Vergangenheit und Stasi stören, reden die Westspitzen umso ungenierter von der Vergangenheit der PDS.

Der scharfe Ton fällt in eine Phase, in der die Grünen zutiefst verunsichert sind. Gysi bringt die Grünen in eine bedrohliche Situation. Nicht nur ihre Beteiligung am künftigen Senat, sondern auch ihr bundespolitisches Gewicht hängt vom Ausgang der Abgeordnetenhauswahlen ab. Wo, wenn nicht in Berlin, wäre der Ruf der Grünen als Metropolenpartei beschädigt – und das ein Jahr vor der Entscheidung im Bund.

Schon bei der letzten Berliner Wahl im Herbst 1999 musste die Partei Verluste einfahren: Die Hoffnung, die PDS einzuholen, wurde bitter enttäuscht. Die Partei kam nur noch auf knapp 10 Prozent. Mehr als 60.000 Wähler, fast ein Viertel der Gesamtwählerschaft, gingen verloren. Blieben die Grünen im Westteil der Stadt mit annähernd zwölf Prozent halbwegs auf dem Niveau früherer Wahlen, büßten sie im Osten fast die Hälfte der Wähler ein. Von der Misere der Bundespartei blieb die traditionelle Hochburg Berlin nicht verschont.

Und jetzt kommt auch noch Gregor Gysi, der Popstar der Berliner Republik – und droht das grüne Reservoir im Osten noch weiter abzuschmelzen. Und auch im Westen, in den Grünen-Hochburgen Kreuzberg und Schöneberg, dürfte Gysi bei einem beachtlichen Teil des grünen Hauptstadt-Mileus ankommen: irgendwie hip und irgendwie links.

Noch Mitte der 90er-Jahre hatten die Grünen in Berlin gehofft, die PDS irgendwann zu überrunden. Mit ihrem Personaltableau im Berliner Abgeordnetenhaus ragte die Partei zeitweise über die anderen Parteien hinaus. Seit Michaele Schreyer als EU-Kommissarin nach Brüssel wechselte und Renate Künast zur Verbraucherschutzministerin aufstieg, ist die bedrückende Personallage offenkundig. Kein Wunder, dass Schreyer jetzt wieder ins Gespräch gebracht wird – als mögliche Spitzenkandidatin für die Wahl im Herbst.

Ein führender Kopf wie der heutige Justizsenator Wolfgang Wieland, einst ein schlagfertiger Polemiker im Parlament, war zuletzt kaum noch vernehmbar. Das lag nicht nur am Bedeutungsverlust der Stadtpolitik seit dem Regierungsumzug. In Wielands Gesichtszügen spiegelte sich jene verzweifelte Mattigkeit wieder, die die haupstädtischen Grünen insgesamt befallen hatte. Es war, als hätte sich das grüne Führungspersonal in den zehn Jahren der großen Koalition aufs Altenteil begeben. Der Nachwuchs blieb schlichtweg aus. Strategisches Denken, der Ausbruch aus gewohnten Mustern war im Berliner Landesverband kaum erwünscht. Wer die Partei aus dem Berliner Milieu herausholen wollte, der resignierte irgendwann und trat gar nicht mehr an. Schon lange vor Gysi hatte die PDS die Schwäche der Grünen für sich zu nutzen gewusst. In der Bankenkrise wurde PDS-Fraktionschef Harald Wolf, einst selbst Mitglied der Westberliner Alternativen Liste, zum anerkannten Experten. Damit sprang er in jene Lücke, die Michaele Schreyer hinterlassen hatte.

Wolf tat, was der SPD auf Bundesebene gelungen war: er verschaffte seiner Partei finanzpolitische Kompetenz. Selbst SPD-Senator Klaus Böger, der PDS bis vor kurzem strikt abgeneigt, lobte Wolfs „interessante“ und „bemerkenswerte“ Vorschläge zur Konsolidierung des Landeshaushalts.

Die Grünen haben dem Phänomen Gysi kaum etwas entgegenzusetzen. Noch sucht die Partei verzweifelt nach einem Spitzenkandidaten. Eine Frau soll es sein, so, als wäre damit allein schon ein Akzent gesetzt. Andrea Fischer wäre ein Wahl, doch ist kaum eine Stimme zu vernehmen, die nach der Exbundesgesundheitsministerin wirklich ruft. Möglich, dass es die Berliner Grünen der CDU nachmachen – und mit der örtlichen Fraktionschefin ins Rennen gehen, nachdem sie die Bundesprominenz erfolgreich vergrault haben. Die lokale Favoritin Sibyll Klotz könnte sich in das Denken vieler PDS-Wähler jedenfalls hineinversetzen: Die schnell redende Berlinerin war früher SED-Mitglied.

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