Schwäbischer Frühjahrsputz

Weil das baden-württembergische Finanzministerium eines ihrer Gebäude renovieren lassen will, soll Olaf Metzels „Stammheim“-Skulptur in Stuttgart abgerissen werden

1984 wurde in Teilen der Linken über eine Amnestie inhaftierter RAF-Mitglieder diskutiert. Auch die Kunst beteiligte sich an der Debatte über den Umgang mit politischen Gefangenen in der Bundesrepublik: Der Berliner Bildhauer Olaf Metzel setzte im gleichen Jahr seine „Stammheim“-Arbeit in den Innenhof des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart. Das Ensemble besteht aus einem drei Meter hohen und drei Tonnen schweren Ehrenkranz aus Beton, der an einer Wand lehnt, auf die als weiße Graffitischrift „Stammheim“ geschrieben wurde.

Metzels Griff zum Monument war eine Reaktion auf Politikeräußerungen, nach denen verurteilte RAF-Mitglieder frühestens „im nächsten Jahrtausend“ hätten Gnadengesuche einreichen dürfen. In solchen Statements wurde das Feindbild quasi verewigt. Geschichte, so legt es dagegen die Installation nahe, ereignet sich als Konflikt in der Gegenwart. Dieser Konflikt, die Frage nach Opfern, Tätern und möglichen Märtyrern hat Metzel beschäftigt, noch vor Gerhard Richters „RAF“-Zyklus von 1988.

Der Terrorismus der frühen 80er-Jahre ist tatsächlich zum historischen Material geworden. Doch von einer Begnadigung Christian Klars ist keine Rede im Jahr 2001. Stattdessen will das baden-württembergische Finanzministerium, dem das Gebäude in der Stuttgarter City gehört, die Installation Metzels abreißen lassen. Weil das Haus renoviert werden muss, heißt es offiziell – und weil das Kunstwerk, das Metzel dem Kunstverein als Dauerleihgabe überlassen hat, die Hausbesitzer stört. Nicht ideologisch, wie der Ministeriumssprecher Uwe Köhn erklärt, sondern „weil die Arbeit niemals von uns genehmigt wurde“. Jetzt soll das Gebäude wieder „im Originalzustand hergerichtet werden, das ist entschieden“. Als Kunst am Bau will man Metzel nicht übernehmen, da er von keiner dafür zuständigen Kommission ausgewählt worden ist, „das wäre nicht demokratisch“. Und ohne eine solche Zustimmung würde das Finanzministerium, so Köhn in der Stuttgarter Zeitung, selbst „eine Fettecke von Beuys ablehnen“.

Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst sieht es allerdings anders. Dort findet man die Maßnahme „sehr befremdlich“, wie Gunter Schanz als Sprecher des Ministeriums erklärt, „wenn ein solches Kunstwerk durch Bauarbeiten nicht nur an einen neuen Bestimmungsort verbracht, sondern ganz abgerissen würde“. Rückgängig machen kann man den Entscheid nicht, da die Finanzbehörde über sämtliche Liegenschaften des Landes verfügt – den Sitz des Kunstministeriums inklusive. Deshalb kann Schanz seine Kollegen nur auf den hohen künstlerischen Stellenwert Metzels hinweisen, der Rektor der Kunstakademie in München war und bald für den Park vor dem Bundeskanzleramt in Berlin eine Skulptur realisieren soll.

Auch der Leiter des Kunstvereins, Andreas Jürgensen, hält den verspäteten Frühjahrsputz seines Vermieters für eine kunstfeindliche Aktion. Über die Renovierungsmaßnahme wurde er durch die lokale Presse informiert, der Brief des Ministeriums ist erst in diesen Tagen bei ihm eingetroffen. Gleichwohl weiß Jürgensen, dass schon bei früheren Sanierungsarbeiten, für die der Innenhof neu gestaltet wurde, eine Beseitigung von Metzels Arbeit nie zur Debatte stand. Den aktuellen Anlass hält er für absurd. Offenbar denkt die Finanzbehörde auch deshalb über den Abriss nach, weil sie sich an den Graffiti stört, die als Kommentar neben der „Stammheim“-Signatur an die Wand gesprayt worden sind. Aber dann könnte man fast alle öffentlich aufgestellte Kunst räumen.

Und Metzel? Tobt. Auch er hat nur durch Zufall von einer Journalistin erfahren, dass das Finanzministerium notfalls auf Kosten des Künstlers den Betonkranz entfernen wird. Neu ist die Diskussion für ihn nicht – immerhin hatte das Ministerium schon vor einem Jahr damit gedroht, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen. Was das heißt? „Mich erinnert das Vorgehen an einen Hausbesitzer, der seinen Mietern sagt, was für Bilder sie an der Wand hängen haben dürfen und welche nicht“, so Metzel. Momentan prüft er mit seinen Anwälten, ob man den Abtransport nicht stoppen kann. Immerhin geht es um eine seiner wichtigsten Arbeiten im öffentlichen Raum. Und um Geschichte. HARALD FRICKE